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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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leichterung ihrer Lage hatte man sich nicht entschlossen. Ehe die Konstitution
ins Leben trat, was nie geschah und nie beabsichtigt war*), bildete sich auf
russisches Anstiften unter Anführung von Felix Potocki und Xaver Branicki
am 14. Mai 1792 die berüchtigte Konföderation von Targowitz zum Umsturz
derselben. Von Neuem Bürgerkrieg und russische Drohungen. Preußen erbot
sich für die Abtretung von Thorn und Danzig zur Hülfe. Dieser Antrag ward
abgewiesen. Der Kampf begann, und da derselbe die preußische Action im
Westen lähmte, Friedrich Wilhelm der Zweite kein Interesse hatte, sein Land
für die Polen ohne jeden Gewinn den Chancen eines Krieges auszusehen, so
ging er zu den Feinden über. Da endlich die polnischen Helden, durch die
fortwährenden innern Streitigkeiten ihrer Magnaten gelähmt, nicht einmal an
ihrem König einen Rückhalt und keine regelmäßigen Heere zu ihrer Verfügung
hatten, so war der Koalition leichtes Spiel gegeben. Am 22. Juli, resp.
14. October 1793 erfolgte die zweite Theilung. Polen ward auf 4007 Q. M.,
seine Armee auf 15,000 Mann beschränkt. Preußen erhielt Danzig, Thorn
und was ihm von Groß-Polen noch fehlte bis an die Weichsel und Pilica.

Nun brach der große Polcnaufstand aus. in dem Kosciuszko seine ruhmwür¬
digen Schlachten schlug, und welchem die französische Republik ihre Unterstützung
zusagte. Aber das Volk war nicht zu begeistern. Es sah entweder in dem
Adel seinen offenen Feind, durch dessen Sünden das Land ins Unglück gekom¬
men, und höhnte ihn durch das Liedchen:


'?anowie! ?ano>vis! -- Ihr Herren! Ihr Herren!
(Un6ele mieli n gtovis, Was hattet Ihr im Kopfe,
^coelo lig,8 üclracliiili -- Daß Ihr uns Verriethet
I lcraj s^vöj üZudili -- Und unser Land verspieltet,

oder es nahm keinen Antheil an der Sache, da es ihm gleich sein konnte,
wem es leibeigen war. Als Kosciuszko den Bauern Freiheiten geben wollte,
drohte der Adel mit Abfall, und der Dictator wagte den Schritt nicht, mit
dem er allein siegen konnte. Nun noch schlechte Führer und Rathgeber, die
Schimpflichste Empfänglichkeit für russisches Geld und zum Theil damit zusam¬
menhängend der ewige innere Streit. "War denn je bei uns in der Re¬
publik Einigkeit?" klagt Wybicki. Er könnte hinzusetzen: "Und hatten die
Franzosen, diese Abgötter der Polen, für sie je etwas Anderes als Worte?"
Im Widerspruch mit allen Betheuerungen zeigte sich die französische Republik
Ende 1794 zu dem Separatfrieden geneigt, den sie dann im April 179S zu
Basel abschloß, ohne Polens zu gedenken. Daraufhin durften es dessen Feinde



-) Vor einiger Zeit enthielten Hayms Jahrbücher eine sehr gründliche Geschichte der
Theilung Polens", aus welcher gelernt werden kann, was für eine Komödie die Polen mit
dieser vielgerühmte" Constitution getrieben haben.

leichterung ihrer Lage hatte man sich nicht entschlossen. Ehe die Konstitution
ins Leben trat, was nie geschah und nie beabsichtigt war*), bildete sich auf
russisches Anstiften unter Anführung von Felix Potocki und Xaver Branicki
am 14. Mai 1792 die berüchtigte Konföderation von Targowitz zum Umsturz
derselben. Von Neuem Bürgerkrieg und russische Drohungen. Preußen erbot
sich für die Abtretung von Thorn und Danzig zur Hülfe. Dieser Antrag ward
abgewiesen. Der Kampf begann, und da derselbe die preußische Action im
Westen lähmte, Friedrich Wilhelm der Zweite kein Interesse hatte, sein Land
für die Polen ohne jeden Gewinn den Chancen eines Krieges auszusehen, so
ging er zu den Feinden über. Da endlich die polnischen Helden, durch die
fortwährenden innern Streitigkeiten ihrer Magnaten gelähmt, nicht einmal an
ihrem König einen Rückhalt und keine regelmäßigen Heere zu ihrer Verfügung
hatten, so war der Koalition leichtes Spiel gegeben. Am 22. Juli, resp.
14. October 1793 erfolgte die zweite Theilung. Polen ward auf 4007 Q. M.,
seine Armee auf 15,000 Mann beschränkt. Preußen erhielt Danzig, Thorn
und was ihm von Groß-Polen noch fehlte bis an die Weichsel und Pilica.

Nun brach der große Polcnaufstand aus. in dem Kosciuszko seine ruhmwür¬
digen Schlachten schlug, und welchem die französische Republik ihre Unterstützung
zusagte. Aber das Volk war nicht zu begeistern. Es sah entweder in dem
Adel seinen offenen Feind, durch dessen Sünden das Land ins Unglück gekom¬
men, und höhnte ihn durch das Liedchen:


'?anowie! ?ano>vis! — Ihr Herren! Ihr Herren!
(Un6ele mieli n gtovis, Was hattet Ihr im Kopfe,
^coelo lig,8 üclracliiili — Daß Ihr uns Verriethet
I lcraj s^vöj üZudili — Und unser Land verspieltet,

oder es nahm keinen Antheil an der Sache, da es ihm gleich sein konnte,
wem es leibeigen war. Als Kosciuszko den Bauern Freiheiten geben wollte,
drohte der Adel mit Abfall, und der Dictator wagte den Schritt nicht, mit
dem er allein siegen konnte. Nun noch schlechte Führer und Rathgeber, die
Schimpflichste Empfänglichkeit für russisches Geld und zum Theil damit zusam¬
menhängend der ewige innere Streit. „War denn je bei uns in der Re¬
publik Einigkeit?" klagt Wybicki. Er könnte hinzusetzen: „Und hatten die
Franzosen, diese Abgötter der Polen, für sie je etwas Anderes als Worte?"
Im Widerspruch mit allen Betheuerungen zeigte sich die französische Republik
Ende 1794 zu dem Separatfrieden geneigt, den sie dann im April 179S zu
Basel abschloß, ohne Polens zu gedenken. Daraufhin durften es dessen Feinde



-) Vor einiger Zeit enthielten Hayms Jahrbücher eine sehr gründliche Geschichte der
Theilung Polens«, aus welcher gelernt werden kann, was für eine Komödie die Polen mit
dieser vielgerühmte» Constitution getrieben haben.
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[0336] leichterung ihrer Lage hatte man sich nicht entschlossen. Ehe die Konstitution ins Leben trat, was nie geschah und nie beabsichtigt war*), bildete sich auf russisches Anstiften unter Anführung von Felix Potocki und Xaver Branicki am 14. Mai 1792 die berüchtigte Konföderation von Targowitz zum Umsturz derselben. Von Neuem Bürgerkrieg und russische Drohungen. Preußen erbot sich für die Abtretung von Thorn und Danzig zur Hülfe. Dieser Antrag ward abgewiesen. Der Kampf begann, und da derselbe die preußische Action im Westen lähmte, Friedrich Wilhelm der Zweite kein Interesse hatte, sein Land für die Polen ohne jeden Gewinn den Chancen eines Krieges auszusehen, so ging er zu den Feinden über. Da endlich die polnischen Helden, durch die fortwährenden innern Streitigkeiten ihrer Magnaten gelähmt, nicht einmal an ihrem König einen Rückhalt und keine regelmäßigen Heere zu ihrer Verfügung hatten, so war der Koalition leichtes Spiel gegeben. Am 22. Juli, resp. 14. October 1793 erfolgte die zweite Theilung. Polen ward auf 4007 Q. M., seine Armee auf 15,000 Mann beschränkt. Preußen erhielt Danzig, Thorn und was ihm von Groß-Polen noch fehlte bis an die Weichsel und Pilica. Nun brach der große Polcnaufstand aus. in dem Kosciuszko seine ruhmwür¬ digen Schlachten schlug, und welchem die französische Republik ihre Unterstützung zusagte. Aber das Volk war nicht zu begeistern. Es sah entweder in dem Adel seinen offenen Feind, durch dessen Sünden das Land ins Unglück gekom¬ men, und höhnte ihn durch das Liedchen: '?anowie! ?ano>vis! — Ihr Herren! Ihr Herren! (Un6ele mieli n gtovis, Was hattet Ihr im Kopfe, ^coelo lig,8 üclracliiili — Daß Ihr uns Verriethet I lcraj s^vöj üZudili — Und unser Land verspieltet, oder es nahm keinen Antheil an der Sache, da es ihm gleich sein konnte, wem es leibeigen war. Als Kosciuszko den Bauern Freiheiten geben wollte, drohte der Adel mit Abfall, und der Dictator wagte den Schritt nicht, mit dem er allein siegen konnte. Nun noch schlechte Führer und Rathgeber, die Schimpflichste Empfänglichkeit für russisches Geld und zum Theil damit zusam¬ menhängend der ewige innere Streit. „War denn je bei uns in der Re¬ publik Einigkeit?" klagt Wybicki. Er könnte hinzusetzen: „Und hatten die Franzosen, diese Abgötter der Polen, für sie je etwas Anderes als Worte?" Im Widerspruch mit allen Betheuerungen zeigte sich die französische Republik Ende 1794 zu dem Separatfrieden geneigt, den sie dann im April 179S zu Basel abschloß, ohne Polens zu gedenken. Daraufhin durften es dessen Feinde -) Vor einiger Zeit enthielten Hayms Jahrbücher eine sehr gründliche Geschichte der Theilung Polens«, aus welcher gelernt werden kann, was für eine Komödie die Polen mit dieser vielgerühmte» Constitution getrieben haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/336>, abgerufen am 28.07.2024.