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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in Schutt und Trümmern, ebenso die meisten kleinen Städte und Dörfer.
Die meisten der vorhandenen Wohnungen schienen größtentheils kaum geeignet
menschlichen Wesen zum Aufenthalt zu dienen. Die roheste Kunst, der ungebil¬
detste Geschmack, die ärmlichsten Mittel hatten aus Lehm und Stroh Hütten
zusammengestellt. Durch unaufhörliche Kriege und Fehden der vergangenen
Jahrhunderte, durch Feuersbrünste und Seuchen, durch die mangelhafteste Ver- ^
waltung war das Land entvölkert und entsittlicht. Die Justizpflege lag ebenso
im Argen, wie die Verwaltung. Der Bauernstand war ganz verkommen, ein
Bürgerstand existirte gar nicht. Der Netzdistrict war ganz entvölkert, so daß
z. B. die Stadt Bromberg kaum 800 Einw. besaß (am 3. December 1861
21.21S Einw.), Wald und Sumpf nahmen die Stätten ein, wo vordem -- nach
den noch jetzt vorhandenen altgermanischen Begräbnißplätzen zu urtheilen --
eine zahlreiche Bevölkerung Platz gefunden hatte."

Der König Friedrich der Zweite selbst sagt:

"Die Städte waren im erbärmlichsten Zustande. Kulm hatte gute Mauern,
große Kirchen; aber statt der Straßen sah man nur die Höhlen der Häuser,
die ehedem existirt hatten, vierzig Häuser bildeten den Markt, davon achtund¬
zwanzig ohne Thüren, Dach und Fenster, herrenlos. Bromberg war in dem¬
selben Zustand. Der Untergang dieser Städte rührte von der Pest 1709 her;
aber die Polen hatten keine Borstellung, daß man herstellen könne, was das
Unglück verwüstet. Man wird es kaum glauben, daß in diesen trostlosen Ge¬
genden ein Schneider ein selten Ding war; man mußte ihrer in den Städten
etabliren, ebenso Apotheker, Stellmacher, Tischler, Maurer."

Was man immer von dem Antheil des großen Königs an der Theilung
Polens denke, dem erworbenen Lande ward er ein Bater, und wenn ein Denkmal in
der Welt verdient ist, so das Friedrich des Zweiten, welches wir am 31. Mai
1802 zu Bromberg unter den Auspicien unseres Kronprinzen enthüllt haben,
Mit jugendlicher Frische, mit Begeisterung griff der alle Herr das Werk an;
er wollte "ein Lykurg und Solon dieser Barbaren" werden. Und er ward es.
Handelsstraßen, ein großer Kanal. Posten, öffentliche Gebäude, Kolonisation,
Herstellung der Justizpflege und damit Einsetzung des Menschen ni sein Recht.
Sie waren ein wenig verwundert, die Herren vom Adel, als einer der Ihrigen
wegen der Ermordung eines Bauern zum Tode verurtheilt ward und jede Be¬
mühung, die Strafe in eine Geldstrafe zu verwandeln scheiterte.

Unterdeß war auch Polen nicht müssig. Es geschah viel sür die Reform
und innere Kräftigung des Landes, und am 3. Mai 1791 wurde die berühmte
Constitution proclamirt. welche das Schicksal mit der ihr sonst nicht verwand¬
ten tlopstockschen Messiade theilt, von Jedermann bewundert, von den Wenig¬
sten gelesen zu werden. Das Veto und die Wählbarkeit des Königs waren
gefallen, aber zu einer Freigebung der Bauern, ja auch nur einer wirklichen Er'


in Schutt und Trümmern, ebenso die meisten kleinen Städte und Dörfer.
Die meisten der vorhandenen Wohnungen schienen größtentheils kaum geeignet
menschlichen Wesen zum Aufenthalt zu dienen. Die roheste Kunst, der ungebil¬
detste Geschmack, die ärmlichsten Mittel hatten aus Lehm und Stroh Hütten
zusammengestellt. Durch unaufhörliche Kriege und Fehden der vergangenen
Jahrhunderte, durch Feuersbrünste und Seuchen, durch die mangelhafteste Ver- ^
waltung war das Land entvölkert und entsittlicht. Die Justizpflege lag ebenso
im Argen, wie die Verwaltung. Der Bauernstand war ganz verkommen, ein
Bürgerstand existirte gar nicht. Der Netzdistrict war ganz entvölkert, so daß
z. B. die Stadt Bromberg kaum 800 Einw. besaß (am 3. December 1861
21.21S Einw.), Wald und Sumpf nahmen die Stätten ein, wo vordem — nach
den noch jetzt vorhandenen altgermanischen Begräbnißplätzen zu urtheilen —
eine zahlreiche Bevölkerung Platz gefunden hatte."

Der König Friedrich der Zweite selbst sagt:

„Die Städte waren im erbärmlichsten Zustande. Kulm hatte gute Mauern,
große Kirchen; aber statt der Straßen sah man nur die Höhlen der Häuser,
die ehedem existirt hatten, vierzig Häuser bildeten den Markt, davon achtund¬
zwanzig ohne Thüren, Dach und Fenster, herrenlos. Bromberg war in dem¬
selben Zustand. Der Untergang dieser Städte rührte von der Pest 1709 her;
aber die Polen hatten keine Borstellung, daß man herstellen könne, was das
Unglück verwüstet. Man wird es kaum glauben, daß in diesen trostlosen Ge¬
genden ein Schneider ein selten Ding war; man mußte ihrer in den Städten
etabliren, ebenso Apotheker, Stellmacher, Tischler, Maurer."

Was man immer von dem Antheil des großen Königs an der Theilung
Polens denke, dem erworbenen Lande ward er ein Bater, und wenn ein Denkmal in
der Welt verdient ist, so das Friedrich des Zweiten, welches wir am 31. Mai
1802 zu Bromberg unter den Auspicien unseres Kronprinzen enthüllt haben,
Mit jugendlicher Frische, mit Begeisterung griff der alle Herr das Werk an;
er wollte „ein Lykurg und Solon dieser Barbaren" werden. Und er ward es.
Handelsstraßen, ein großer Kanal. Posten, öffentliche Gebäude, Kolonisation,
Herstellung der Justizpflege und damit Einsetzung des Menschen ni sein Recht.
Sie waren ein wenig verwundert, die Herren vom Adel, als einer der Ihrigen
wegen der Ermordung eines Bauern zum Tode verurtheilt ward und jede Be¬
mühung, die Strafe in eine Geldstrafe zu verwandeln scheiterte.

Unterdeß war auch Polen nicht müssig. Es geschah viel sür die Reform
und innere Kräftigung des Landes, und am 3. Mai 1791 wurde die berühmte
Constitution proclamirt. welche das Schicksal mit der ihr sonst nicht verwand¬
ten tlopstockschen Messiade theilt, von Jedermann bewundert, von den Wenig¬
sten gelesen zu werden. Das Veto und die Wählbarkeit des Königs waren
gefallen, aber zu einer Freigebung der Bauern, ja auch nur einer wirklichen Er'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/335>, abgerufen am 28.07.2024.