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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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zu fassen. Erstens die Streitobjecte selbst, zweitens das tieft Mißtrauen, wel¬
ches seit länger als zwanzig Jahren gegen die Fähigkeit der preußischen Re¬
genten, sich von dem Einfluß einer Hofcoterie frei zu halten, im Volke groß
gewachsen ist.

Er wird sich nicht verbergen können, daß dies Mißtrauen einigen Grund
hat. Das furchtbare Schicksal Friedrich Wilhelms des Vierten lebt jedem Mit¬
glied der königlichen Familie unauslöschlich im Gedächtniß. Man braucht kein
alter Mann zu sein, um sich der Herzlichkeit und gläubigen Liebe zu erinnern,
mit welcher das Volk den ersten Reden des geistvollen Königs lauschte, umsteh
der Wärme und des hochsinnigen Vertrauens zu erinnern, mit welchen der
neue König sein hohes Amt zum Wohl seines Volkes zu verwalten gelobte.
Und wenige Jahre darauf begann die Königskrankheit des Fürsten damit, daß
er die persönliche Anhänglichkeit an sich selbst gegenüber der Liebe zu dem Staate
forderte. Aus den elenden Zuständen seiner letzte" Regierungsjahre suchte
wieder sein erlauchter Nachfolger sich selbst, die Zukunft seines Hauses und
den Staat dadurch zu retten, daß er jahrelang in erklärter Oppo¬
sition gegen das Regierungssystem seines nächsten Anverwand¬
ten, fern von Berlin auf den Kreis seiner Pflichten beschränkt lebte.
Diesem weisen Verhalten verdankte er, daß das Volk wieder ihm mit neuem
Vertrauen und junger Hoffnung entgegenjubelte. Und auch er wurde, seit er
die Krone trug, leise, unmerklich, ohne es selbst zu ahnen und die Verände¬
rung zu begreifen, in eine unhaltbare Stellung gegenüber seinem treuen Volke
gedrängt. Was zweimal geschehen ist, so darf sich ein Prinz desselben Hauses
fragen, kann das nicht noch einmal geschehen, zum verhängnißvollen dritten Mal?
Welche Wandlung eines unbefangenen Sinnes wird durch die Krone hervor¬
gebracht? Welche feindliche Gewalt arbeitet in der Luft, in welcher der König
athmet?

Wenn ein Fürst, der die Krone tragen soll, zweifelnd so fragt, möge
er auch die rechte Antwort finden. Er wird seine Minister aus der Majorität
der Volksvertreter wählen, er wird nur mit seinen Ministern regieren, er wird
jede unverantwortliche Beeinflussung seiner Ansichten durch direkte Vortrage
Einzelner in Staatsangelegenheiten vermeiden, er wird alle die Personen von
sich entfernt halten, welche unter den letzten Regierungen einen gefährlichen
persönlichen Einfluß geübt haben, er wird seine nächste persönliche Umgebung
aus politischen Freunden seines Ministeriums wählen, er wird nie vergessen,
daß ein Fürst nie zum Parteimann werden darf, er wird den Zugang zu sich
leicht machen, und er wird Hoftraditionen des siebenzehnten Jahrhunderts,
welche den Fürsten immer noch fast ausschließlich in die Gesellschaft seines alten
Lehnsadels bannen, schonend beseitigen. Sein Ministerium aber wird er aus
dem Haus der Abgeordneten bilden, welches er vorfindet. Dies Ministerium


zu fassen. Erstens die Streitobjecte selbst, zweitens das tieft Mißtrauen, wel¬
ches seit länger als zwanzig Jahren gegen die Fähigkeit der preußischen Re¬
genten, sich von dem Einfluß einer Hofcoterie frei zu halten, im Volke groß
gewachsen ist.

Er wird sich nicht verbergen können, daß dies Mißtrauen einigen Grund
hat. Das furchtbare Schicksal Friedrich Wilhelms des Vierten lebt jedem Mit¬
glied der königlichen Familie unauslöschlich im Gedächtniß. Man braucht kein
alter Mann zu sein, um sich der Herzlichkeit und gläubigen Liebe zu erinnern,
mit welcher das Volk den ersten Reden des geistvollen Königs lauschte, umsteh
der Wärme und des hochsinnigen Vertrauens zu erinnern, mit welchen der
neue König sein hohes Amt zum Wohl seines Volkes zu verwalten gelobte.
Und wenige Jahre darauf begann die Königskrankheit des Fürsten damit, daß
er die persönliche Anhänglichkeit an sich selbst gegenüber der Liebe zu dem Staate
forderte. Aus den elenden Zuständen seiner letzte» Regierungsjahre suchte
wieder sein erlauchter Nachfolger sich selbst, die Zukunft seines Hauses und
den Staat dadurch zu retten, daß er jahrelang in erklärter Oppo¬
sition gegen das Regierungssystem seines nächsten Anverwand¬
ten, fern von Berlin auf den Kreis seiner Pflichten beschränkt lebte.
Diesem weisen Verhalten verdankte er, daß das Volk wieder ihm mit neuem
Vertrauen und junger Hoffnung entgegenjubelte. Und auch er wurde, seit er
die Krone trug, leise, unmerklich, ohne es selbst zu ahnen und die Verände¬
rung zu begreifen, in eine unhaltbare Stellung gegenüber seinem treuen Volke
gedrängt. Was zweimal geschehen ist, so darf sich ein Prinz desselben Hauses
fragen, kann das nicht noch einmal geschehen, zum verhängnißvollen dritten Mal?
Welche Wandlung eines unbefangenen Sinnes wird durch die Krone hervor¬
gebracht? Welche feindliche Gewalt arbeitet in der Luft, in welcher der König
athmet?

Wenn ein Fürst, der die Krone tragen soll, zweifelnd so fragt, möge
er auch die rechte Antwort finden. Er wird seine Minister aus der Majorität
der Volksvertreter wählen, er wird nur mit seinen Ministern regieren, er wird
jede unverantwortliche Beeinflussung seiner Ansichten durch direkte Vortrage
Einzelner in Staatsangelegenheiten vermeiden, er wird alle die Personen von
sich entfernt halten, welche unter den letzten Regierungen einen gefährlichen
persönlichen Einfluß geübt haben, er wird seine nächste persönliche Umgebung
aus politischen Freunden seines Ministeriums wählen, er wird nie vergessen,
daß ein Fürst nie zum Parteimann werden darf, er wird den Zugang zu sich
leicht machen, und er wird Hoftraditionen des siebenzehnten Jahrhunderts,
welche den Fürsten immer noch fast ausschließlich in die Gesellschaft seines alten
Lehnsadels bannen, schonend beseitigen. Sein Ministerium aber wird er aus
dem Haus der Abgeordneten bilden, welches er vorfindet. Dies Ministerium


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[0293] zu fassen. Erstens die Streitobjecte selbst, zweitens das tieft Mißtrauen, wel¬ ches seit länger als zwanzig Jahren gegen die Fähigkeit der preußischen Re¬ genten, sich von dem Einfluß einer Hofcoterie frei zu halten, im Volke groß gewachsen ist. Er wird sich nicht verbergen können, daß dies Mißtrauen einigen Grund hat. Das furchtbare Schicksal Friedrich Wilhelms des Vierten lebt jedem Mit¬ glied der königlichen Familie unauslöschlich im Gedächtniß. Man braucht kein alter Mann zu sein, um sich der Herzlichkeit und gläubigen Liebe zu erinnern, mit welcher das Volk den ersten Reden des geistvollen Königs lauschte, umsteh der Wärme und des hochsinnigen Vertrauens zu erinnern, mit welchen der neue König sein hohes Amt zum Wohl seines Volkes zu verwalten gelobte. Und wenige Jahre darauf begann die Königskrankheit des Fürsten damit, daß er die persönliche Anhänglichkeit an sich selbst gegenüber der Liebe zu dem Staate forderte. Aus den elenden Zuständen seiner letzte» Regierungsjahre suchte wieder sein erlauchter Nachfolger sich selbst, die Zukunft seines Hauses und den Staat dadurch zu retten, daß er jahrelang in erklärter Oppo¬ sition gegen das Regierungssystem seines nächsten Anverwand¬ ten, fern von Berlin auf den Kreis seiner Pflichten beschränkt lebte. Diesem weisen Verhalten verdankte er, daß das Volk wieder ihm mit neuem Vertrauen und junger Hoffnung entgegenjubelte. Und auch er wurde, seit er die Krone trug, leise, unmerklich, ohne es selbst zu ahnen und die Verände¬ rung zu begreifen, in eine unhaltbare Stellung gegenüber seinem treuen Volke gedrängt. Was zweimal geschehen ist, so darf sich ein Prinz desselben Hauses fragen, kann das nicht noch einmal geschehen, zum verhängnißvollen dritten Mal? Welche Wandlung eines unbefangenen Sinnes wird durch die Krone hervor¬ gebracht? Welche feindliche Gewalt arbeitet in der Luft, in welcher der König athmet? Wenn ein Fürst, der die Krone tragen soll, zweifelnd so fragt, möge er auch die rechte Antwort finden. Er wird seine Minister aus der Majorität der Volksvertreter wählen, er wird nur mit seinen Ministern regieren, er wird jede unverantwortliche Beeinflussung seiner Ansichten durch direkte Vortrage Einzelner in Staatsangelegenheiten vermeiden, er wird alle die Personen von sich entfernt halten, welche unter den letzten Regierungen einen gefährlichen persönlichen Einfluß geübt haben, er wird seine nächste persönliche Umgebung aus politischen Freunden seines Ministeriums wählen, er wird nie vergessen, daß ein Fürst nie zum Parteimann werden darf, er wird den Zugang zu sich leicht machen, und er wird Hoftraditionen des siebenzehnten Jahrhunderts, welche den Fürsten immer noch fast ausschließlich in die Gesellschaft seines alten Lehnsadels bannen, schonend beseitigen. Sein Ministerium aber wird er aus dem Haus der Abgeordneten bilden, welches er vorfindet. Dies Ministerium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/293>, abgerufen am 28.07.2024.