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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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seit Einführung der Hceresorganifation einen starken Stoß erlitten hat. Der
Soldat wird nicht besser dadurch, dah er in politischen Angelegenheiten seines
Staates zum Schweigen verurtheilt, zum Heucheln verleitet wird. Er scheidet
aus der Armee vielleicht mit verhaltenem Groll, in der Stimmung eines
Mannes, dem die Zunge gelöst wird; der Versuch, die militärische Gedanken¬
disciplin auch auf die Reservisten auszudehnen, steigert nur den Grimm der
jungen Bürger. Und wenn die Armee, im Ganzen betrachtet, dadurch herab¬
gedrückt worden ist. daß man das Verkehrteste aus ihr bilden wollte, eine
politische Parteiwaffe, so ist gerade durch denselben Versuch auch ihre Zuver¬
lässigkeit für jeden Act gewaltsamer Reaction vermindert worden. Wir hoffen,
daß Preußen nie in die Lage kommen wird, bei einem innern Zwist aus die
Stimmungen seiner Soldaten mit Sorge achten zu müssen, sollten aber unver¬
antwortliche Uebergriffe einen solchen Zustand herbeiführen, so würde die exal-
tirte Partei wahrscheinlich die Erfahrung machen, daß die Waffe, welche sie
seit Jahren so sorgfältig zugespitzt hat, sich in ihrer eigenen Hand umbiegt.

Da das Abgeordnetenhaus seine große Aufgabe, das Ministerium der
persönlichen Regierung zu stürzen, nur dadurch erfüllen kann, daß es die Un¬
möglichkeit eines solchen Regiments eindringlich erweist, so liegt ihm zunächst ob,
den Conflict auf gesetzlichem Wege zu verschärfen. Das ist, seitdem es irgendwo
eine Volksvertretung gegeben hat, überall der gebotene Weg gewesen. Er
führt bei Ausdauer und Mäßigung des Volks sicher zum Ziele, und dies Blatt
hat nie zu denjenigen gehört, welche den gegenwärtigen Zuständen in Preußen
eine längere Dauer prophezeien. Die einzelnen Schläge, welche das Abgeord¬
netenhaus gegen die Minister zu führen hat: Verweigerung der nicht gesetzlichen
Heeresausgaben für das Jahr 1863, Haftvarmachung der Minister für die
nicht bewilligten Ausgaben des Jahres 1862, Resolution und Vorbehalt einer
Ministeranklage, werden gegenwärtig von der preußischen Tagespresse discutirt.
Die Lage des Staates ist so geworden, dah jeder dieser Schritte, welcher die
Unerträglichkeit des gegenwärtigen Zustandes erweist und der Volksvertretung
nicht die Wärme der Wähler verringert, weil er das Rechtsgefühl derselben
verletzt, als ein Fortschritt betrachtet werden darf. Dem Ministerium bleiben
gegen solchen Widerstand nur drei Wege, entweder die verhängnißvolle Appel¬
lation an die Wähler, oder ein offner Versassungsbruch. oder ein demüthigender
Kampf gegen die immer mächtigere und rücksichtslosere Sprache eines tief em¬
pörten Hauses. Jeder dieser drei Wege führt unvermeidlich zu einer Ab¬
dankung.

Unterdeß wird es nicht unnütz sein, zu erwägen, unter welchen Bedingungen
der Frieden zwischen dem preußischen Volke und nicht dieser, aber einer künf¬
tigen Negierung, geschlossen werden kann. Der Herrscher Preußens, welcher
dies Ein,versiändniß herzustellen für nothwendig hält, hat zweierlei ins Auge


seit Einführung der Hceresorganifation einen starken Stoß erlitten hat. Der
Soldat wird nicht besser dadurch, dah er in politischen Angelegenheiten seines
Staates zum Schweigen verurtheilt, zum Heucheln verleitet wird. Er scheidet
aus der Armee vielleicht mit verhaltenem Groll, in der Stimmung eines
Mannes, dem die Zunge gelöst wird; der Versuch, die militärische Gedanken¬
disciplin auch auf die Reservisten auszudehnen, steigert nur den Grimm der
jungen Bürger. Und wenn die Armee, im Ganzen betrachtet, dadurch herab¬
gedrückt worden ist. daß man das Verkehrteste aus ihr bilden wollte, eine
politische Parteiwaffe, so ist gerade durch denselben Versuch auch ihre Zuver¬
lässigkeit für jeden Act gewaltsamer Reaction vermindert worden. Wir hoffen,
daß Preußen nie in die Lage kommen wird, bei einem innern Zwist aus die
Stimmungen seiner Soldaten mit Sorge achten zu müssen, sollten aber unver¬
antwortliche Uebergriffe einen solchen Zustand herbeiführen, so würde die exal-
tirte Partei wahrscheinlich die Erfahrung machen, daß die Waffe, welche sie
seit Jahren so sorgfältig zugespitzt hat, sich in ihrer eigenen Hand umbiegt.

Da das Abgeordnetenhaus seine große Aufgabe, das Ministerium der
persönlichen Regierung zu stürzen, nur dadurch erfüllen kann, daß es die Un¬
möglichkeit eines solchen Regiments eindringlich erweist, so liegt ihm zunächst ob,
den Conflict auf gesetzlichem Wege zu verschärfen. Das ist, seitdem es irgendwo
eine Volksvertretung gegeben hat, überall der gebotene Weg gewesen. Er
führt bei Ausdauer und Mäßigung des Volks sicher zum Ziele, und dies Blatt
hat nie zu denjenigen gehört, welche den gegenwärtigen Zuständen in Preußen
eine längere Dauer prophezeien. Die einzelnen Schläge, welche das Abgeord¬
netenhaus gegen die Minister zu führen hat: Verweigerung der nicht gesetzlichen
Heeresausgaben für das Jahr 1863, Haftvarmachung der Minister für die
nicht bewilligten Ausgaben des Jahres 1862, Resolution und Vorbehalt einer
Ministeranklage, werden gegenwärtig von der preußischen Tagespresse discutirt.
Die Lage des Staates ist so geworden, dah jeder dieser Schritte, welcher die
Unerträglichkeit des gegenwärtigen Zustandes erweist und der Volksvertretung
nicht die Wärme der Wähler verringert, weil er das Rechtsgefühl derselben
verletzt, als ein Fortschritt betrachtet werden darf. Dem Ministerium bleiben
gegen solchen Widerstand nur drei Wege, entweder die verhängnißvolle Appel¬
lation an die Wähler, oder ein offner Versassungsbruch. oder ein demüthigender
Kampf gegen die immer mächtigere und rücksichtslosere Sprache eines tief em¬
pörten Hauses. Jeder dieser drei Wege führt unvermeidlich zu einer Ab¬
dankung.

Unterdeß wird es nicht unnütz sein, zu erwägen, unter welchen Bedingungen
der Frieden zwischen dem preußischen Volke und nicht dieser, aber einer künf¬
tigen Negierung, geschlossen werden kann. Der Herrscher Preußens, welcher
dies Ein,versiändniß herzustellen für nothwendig hält, hat zweierlei ins Auge


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[0292] seit Einführung der Hceresorganifation einen starken Stoß erlitten hat. Der Soldat wird nicht besser dadurch, dah er in politischen Angelegenheiten seines Staates zum Schweigen verurtheilt, zum Heucheln verleitet wird. Er scheidet aus der Armee vielleicht mit verhaltenem Groll, in der Stimmung eines Mannes, dem die Zunge gelöst wird; der Versuch, die militärische Gedanken¬ disciplin auch auf die Reservisten auszudehnen, steigert nur den Grimm der jungen Bürger. Und wenn die Armee, im Ganzen betrachtet, dadurch herab¬ gedrückt worden ist. daß man das Verkehrteste aus ihr bilden wollte, eine politische Parteiwaffe, so ist gerade durch denselben Versuch auch ihre Zuver¬ lässigkeit für jeden Act gewaltsamer Reaction vermindert worden. Wir hoffen, daß Preußen nie in die Lage kommen wird, bei einem innern Zwist aus die Stimmungen seiner Soldaten mit Sorge achten zu müssen, sollten aber unver¬ antwortliche Uebergriffe einen solchen Zustand herbeiführen, so würde die exal- tirte Partei wahrscheinlich die Erfahrung machen, daß die Waffe, welche sie seit Jahren so sorgfältig zugespitzt hat, sich in ihrer eigenen Hand umbiegt. Da das Abgeordnetenhaus seine große Aufgabe, das Ministerium der persönlichen Regierung zu stürzen, nur dadurch erfüllen kann, daß es die Un¬ möglichkeit eines solchen Regiments eindringlich erweist, so liegt ihm zunächst ob, den Conflict auf gesetzlichem Wege zu verschärfen. Das ist, seitdem es irgendwo eine Volksvertretung gegeben hat, überall der gebotene Weg gewesen. Er führt bei Ausdauer und Mäßigung des Volks sicher zum Ziele, und dies Blatt hat nie zu denjenigen gehört, welche den gegenwärtigen Zuständen in Preußen eine längere Dauer prophezeien. Die einzelnen Schläge, welche das Abgeord¬ netenhaus gegen die Minister zu führen hat: Verweigerung der nicht gesetzlichen Heeresausgaben für das Jahr 1863, Haftvarmachung der Minister für die nicht bewilligten Ausgaben des Jahres 1862, Resolution und Vorbehalt einer Ministeranklage, werden gegenwärtig von der preußischen Tagespresse discutirt. Die Lage des Staates ist so geworden, dah jeder dieser Schritte, welcher die Unerträglichkeit des gegenwärtigen Zustandes erweist und der Volksvertretung nicht die Wärme der Wähler verringert, weil er das Rechtsgefühl derselben verletzt, als ein Fortschritt betrachtet werden darf. Dem Ministerium bleiben gegen solchen Widerstand nur drei Wege, entweder die verhängnißvolle Appel¬ lation an die Wähler, oder ein offner Versassungsbruch. oder ein demüthigender Kampf gegen die immer mächtigere und rücksichtslosere Sprache eines tief em¬ pörten Hauses. Jeder dieser drei Wege führt unvermeidlich zu einer Ab¬ dankung. Unterdeß wird es nicht unnütz sein, zu erwägen, unter welchen Bedingungen der Frieden zwischen dem preußischen Volke und nicht dieser, aber einer künf¬ tigen Negierung, geschlossen werden kann. Der Herrscher Preußens, welcher dies Ein,versiändniß herzustellen für nothwendig hält, hat zweierlei ins Auge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/292>, abgerufen am 26.11.2024.