Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ungerechte Annahme, daß ihnen unabänderlich der eigene Bortheil höher stehe,
als der Vortheil des Ganzen. Und deshalb ist diese Mehrheit dem gegenwärtigen
Ministerium durchaus kein sicherer Anhänger. Mit Kopfschütteln und banger
Sorge wird das letzte Jahr der innern Politik auch von ihr betrachtet, sie besorgt
von der Ueberstürzung ihrer Exaltirten zunächst für sich selbst, dann für ihren
Staat. Ein Bruch mit der Verfassung würde auch den achtbaren Theil der Kon¬
servativen der Regierung entfremden, selbst die sich öffentlich für ihre Anhänger
erklärten, würden noch lauter, als jetzt geschieht, im vertrauten Kreise ihrer
Genossen klagen und sehr geneigt sein, die Sache der Regierung für verloren
zu halten.

Ebenso unsicher ist die Stimmung im preußischen Heere selbst. Zwar die
untern Grade des Offiziercorps, bis etwa zum Bataillonschef, jetzt meist jüngere
Leute, sind in der großen Mehrzahl durch den Zwang des unbedingten leidenden
Gehorsams auch in ihren Ansichten beherrscht. Der gesellschaftliche Abschluß
von der Mannschaft und' leider jetzt auch vom Civil hat die Einzelnen in
eine fast sklavische Abhängigkeit von der Stimmung des Offiziertisches gebracht,
und von den vorgeschriebenen Ansichten, welche mit burcaukratischer Reichlich¬
keit ihnen zugetheilt werden. Ganz anders ist die Stimmung der preußischen
Stabsoffiziere, der Blüthe des Heeres. Auch sie sind gezwungen, Umgang.
Wort, Miene sorglich zu überwachen; denn ein unbewachter Ausdruck der ketze¬
rischen Ansicht, daß zweijährige Dienstzeit allerdings genüge, einen Mann aus¬
zubilden, oder die noch unleidlichere Ansicht, daß die neue Heeresorganisation
die beste taktische Grundlage der Armee, den starken Bataillonsbestand im
Frieden verdorben habe, vermag jetzt den talentvollsten Offizier sofort aus
seiner Carriere herauszuwerfen, wie etwa zur Zeit Philipp des Zweiten der
leiseste Verdacht einer Ketzerei. Aber hinter dem vorsichtigen Schweigen dieser
Gentlemen birgt sich sehr viel gesundes Verständniß der kritischen Lage, in
welche die Armee durch die neuen Einrichtungen gekommen ist, eine scharfe und
bittre Kritik des Kriegsministeriums und der untauglichen Generale des Hofes.
Und es ist Grund zu der Annahme, daß die neue Armeeorganisation in den
Stäben der Corps und Divisionen wenig warme Freunde hat, und daß in der
Preußischen Generalität eine laute Opposition nur durch die zwingendsten Rück¬
sichten der Klugheit zurückgehalten wird. Noch unsicherer ist die Stimmung der
Mannschaft. Ueber diesen Punkt würden Vorurtheilsfreie Offiziere am besten Be¬
scheid geben können. Der preußische Soldat kann auch bei dreijähriger Dienst¬
zeit, bei strengster Beaufsichtigung durch eifrige Compagnicführcr, trotz dem Ver¬
bot liberale Blätter zu lesen, nicht Von dem Zorn isolirt werden, welcher im
Volke gegen die Negierung arbeitet. Er bringt Ansichten und Stimmungen
w die Compagnie, er wird fortwährend von Außen beeinflußt, und es ist
zu fürchten, daß das alte gute Verhältniß zwischen Offizieren und Gemeinen
"


36

ungerechte Annahme, daß ihnen unabänderlich der eigene Bortheil höher stehe,
als der Vortheil des Ganzen. Und deshalb ist diese Mehrheit dem gegenwärtigen
Ministerium durchaus kein sicherer Anhänger. Mit Kopfschütteln und banger
Sorge wird das letzte Jahr der innern Politik auch von ihr betrachtet, sie besorgt
von der Ueberstürzung ihrer Exaltirten zunächst für sich selbst, dann für ihren
Staat. Ein Bruch mit der Verfassung würde auch den achtbaren Theil der Kon¬
servativen der Regierung entfremden, selbst die sich öffentlich für ihre Anhänger
erklärten, würden noch lauter, als jetzt geschieht, im vertrauten Kreise ihrer
Genossen klagen und sehr geneigt sein, die Sache der Regierung für verloren
zu halten.

Ebenso unsicher ist die Stimmung im preußischen Heere selbst. Zwar die
untern Grade des Offiziercorps, bis etwa zum Bataillonschef, jetzt meist jüngere
Leute, sind in der großen Mehrzahl durch den Zwang des unbedingten leidenden
Gehorsams auch in ihren Ansichten beherrscht. Der gesellschaftliche Abschluß
von der Mannschaft und' leider jetzt auch vom Civil hat die Einzelnen in
eine fast sklavische Abhängigkeit von der Stimmung des Offiziertisches gebracht,
und von den vorgeschriebenen Ansichten, welche mit burcaukratischer Reichlich¬
keit ihnen zugetheilt werden. Ganz anders ist die Stimmung der preußischen
Stabsoffiziere, der Blüthe des Heeres. Auch sie sind gezwungen, Umgang.
Wort, Miene sorglich zu überwachen; denn ein unbewachter Ausdruck der ketze¬
rischen Ansicht, daß zweijährige Dienstzeit allerdings genüge, einen Mann aus¬
zubilden, oder die noch unleidlichere Ansicht, daß die neue Heeresorganisation
die beste taktische Grundlage der Armee, den starken Bataillonsbestand im
Frieden verdorben habe, vermag jetzt den talentvollsten Offizier sofort aus
seiner Carriere herauszuwerfen, wie etwa zur Zeit Philipp des Zweiten der
leiseste Verdacht einer Ketzerei. Aber hinter dem vorsichtigen Schweigen dieser
Gentlemen birgt sich sehr viel gesundes Verständniß der kritischen Lage, in
welche die Armee durch die neuen Einrichtungen gekommen ist, eine scharfe und
bittre Kritik des Kriegsministeriums und der untauglichen Generale des Hofes.
Und es ist Grund zu der Annahme, daß die neue Armeeorganisation in den
Stäben der Corps und Divisionen wenig warme Freunde hat, und daß in der
Preußischen Generalität eine laute Opposition nur durch die zwingendsten Rück¬
sichten der Klugheit zurückgehalten wird. Noch unsicherer ist die Stimmung der
Mannschaft. Ueber diesen Punkt würden Vorurtheilsfreie Offiziere am besten Be¬
scheid geben können. Der preußische Soldat kann auch bei dreijähriger Dienst¬
zeit, bei strengster Beaufsichtigung durch eifrige Compagnicführcr, trotz dem Ver¬
bot liberale Blätter zu lesen, nicht Von dem Zorn isolirt werden, welcher im
Volke gegen die Negierung arbeitet. Er bringt Ansichten und Stimmungen
w die Compagnie, er wird fortwährend von Außen beeinflußt, und es ist
zu fürchten, daß das alte gute Verhältniß zwischen Offizieren und Gemeinen
"


36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187785"/>
          <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> ungerechte Annahme, daß ihnen unabänderlich der eigene Bortheil höher stehe,<lb/>
als der Vortheil des Ganzen. Und deshalb ist diese Mehrheit dem gegenwärtigen<lb/>
Ministerium durchaus kein sicherer Anhänger. Mit Kopfschütteln und banger<lb/>
Sorge wird das letzte Jahr der innern Politik auch von ihr betrachtet, sie besorgt<lb/>
von der Ueberstürzung ihrer Exaltirten zunächst für sich selbst, dann für ihren<lb/>
Staat. Ein Bruch mit der Verfassung würde auch den achtbaren Theil der Kon¬<lb/>
servativen der Regierung entfremden, selbst die sich öffentlich für ihre Anhänger<lb/>
erklärten, würden noch lauter, als jetzt geschieht, im vertrauten Kreise ihrer<lb/>
Genossen klagen und sehr geneigt sein, die Sache der Regierung für verloren<lb/>
zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118" next="#ID_1119"> Ebenso unsicher ist die Stimmung im preußischen Heere selbst. Zwar die<lb/>
untern Grade des Offiziercorps, bis etwa zum Bataillonschef, jetzt meist jüngere<lb/>
Leute, sind in der großen Mehrzahl durch den Zwang des unbedingten leidenden<lb/>
Gehorsams auch in ihren Ansichten beherrscht. Der gesellschaftliche Abschluß<lb/>
von der Mannschaft und' leider jetzt auch vom Civil hat die Einzelnen in<lb/>
eine fast sklavische Abhängigkeit von der Stimmung des Offiziertisches gebracht,<lb/>
und von den vorgeschriebenen Ansichten, welche mit burcaukratischer Reichlich¬<lb/>
keit ihnen zugetheilt werden. Ganz anders ist die Stimmung der preußischen<lb/>
Stabsoffiziere, der Blüthe des Heeres. Auch sie sind gezwungen, Umgang.<lb/>
Wort, Miene sorglich zu überwachen; denn ein unbewachter Ausdruck der ketze¬<lb/>
rischen Ansicht, daß zweijährige Dienstzeit allerdings genüge, einen Mann aus¬<lb/>
zubilden, oder die noch unleidlichere Ansicht, daß die neue Heeresorganisation<lb/>
die beste taktische Grundlage der Armee, den starken Bataillonsbestand im<lb/>
Frieden verdorben habe, vermag jetzt den talentvollsten Offizier sofort aus<lb/>
seiner Carriere herauszuwerfen, wie etwa zur Zeit Philipp des Zweiten der<lb/>
leiseste Verdacht einer Ketzerei. Aber hinter dem vorsichtigen Schweigen dieser<lb/>
Gentlemen birgt sich sehr viel gesundes Verständniß der kritischen Lage, in<lb/>
welche die Armee durch die neuen Einrichtungen gekommen ist, eine scharfe und<lb/>
bittre Kritik des Kriegsministeriums und der untauglichen Generale des Hofes.<lb/>
Und es ist Grund zu der Annahme, daß die neue Armeeorganisation in den<lb/>
Stäben der Corps und Divisionen wenig warme Freunde hat, und daß in der<lb/>
Preußischen Generalität eine laute Opposition nur durch die zwingendsten Rück¬<lb/>
sichten der Klugheit zurückgehalten wird. Noch unsicherer ist die Stimmung der<lb/>
Mannschaft. Ueber diesen Punkt würden Vorurtheilsfreie Offiziere am besten Be¬<lb/>
scheid geben können. Der preußische Soldat kann auch bei dreijähriger Dienst¬<lb/>
zeit, bei strengster Beaufsichtigung durch eifrige Compagnicführcr, trotz dem Ver¬<lb/>
bot liberale Blätter zu lesen, nicht Von dem Zorn isolirt werden, welcher im<lb/>
Volke gegen die Negierung arbeitet. Er bringt Ansichten und Stimmungen<lb/>
w die Compagnie, er wird fortwährend von Außen beeinflußt, und es ist<lb/>
zu fürchten, daß das alte gute Verhältniß zwischen Offizieren und Gemeinen<lb/>
"</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] ungerechte Annahme, daß ihnen unabänderlich der eigene Bortheil höher stehe, als der Vortheil des Ganzen. Und deshalb ist diese Mehrheit dem gegenwärtigen Ministerium durchaus kein sicherer Anhänger. Mit Kopfschütteln und banger Sorge wird das letzte Jahr der innern Politik auch von ihr betrachtet, sie besorgt von der Ueberstürzung ihrer Exaltirten zunächst für sich selbst, dann für ihren Staat. Ein Bruch mit der Verfassung würde auch den achtbaren Theil der Kon¬ servativen der Regierung entfremden, selbst die sich öffentlich für ihre Anhänger erklärten, würden noch lauter, als jetzt geschieht, im vertrauten Kreise ihrer Genossen klagen und sehr geneigt sein, die Sache der Regierung für verloren zu halten. Ebenso unsicher ist die Stimmung im preußischen Heere selbst. Zwar die untern Grade des Offiziercorps, bis etwa zum Bataillonschef, jetzt meist jüngere Leute, sind in der großen Mehrzahl durch den Zwang des unbedingten leidenden Gehorsams auch in ihren Ansichten beherrscht. Der gesellschaftliche Abschluß von der Mannschaft und' leider jetzt auch vom Civil hat die Einzelnen in eine fast sklavische Abhängigkeit von der Stimmung des Offiziertisches gebracht, und von den vorgeschriebenen Ansichten, welche mit burcaukratischer Reichlich¬ keit ihnen zugetheilt werden. Ganz anders ist die Stimmung der preußischen Stabsoffiziere, der Blüthe des Heeres. Auch sie sind gezwungen, Umgang. Wort, Miene sorglich zu überwachen; denn ein unbewachter Ausdruck der ketze¬ rischen Ansicht, daß zweijährige Dienstzeit allerdings genüge, einen Mann aus¬ zubilden, oder die noch unleidlichere Ansicht, daß die neue Heeresorganisation die beste taktische Grundlage der Armee, den starken Bataillonsbestand im Frieden verdorben habe, vermag jetzt den talentvollsten Offizier sofort aus seiner Carriere herauszuwerfen, wie etwa zur Zeit Philipp des Zweiten der leiseste Verdacht einer Ketzerei. Aber hinter dem vorsichtigen Schweigen dieser Gentlemen birgt sich sehr viel gesundes Verständniß der kritischen Lage, in welche die Armee durch die neuen Einrichtungen gekommen ist, eine scharfe und bittre Kritik des Kriegsministeriums und der untauglichen Generale des Hofes. Und es ist Grund zu der Annahme, daß die neue Armeeorganisation in den Stäben der Corps und Divisionen wenig warme Freunde hat, und daß in der Preußischen Generalität eine laute Opposition nur durch die zwingendsten Rück¬ sichten der Klugheit zurückgehalten wird. Noch unsicherer ist die Stimmung der Mannschaft. Ueber diesen Punkt würden Vorurtheilsfreie Offiziere am besten Be¬ scheid geben können. Der preußische Soldat kann auch bei dreijähriger Dienst¬ zeit, bei strengster Beaufsichtigung durch eifrige Compagnicführcr, trotz dem Ver¬ bot liberale Blätter zu lesen, nicht Von dem Zorn isolirt werden, welcher im Volke gegen die Negierung arbeitet. Er bringt Ansichten und Stimmungen w die Compagnie, er wird fortwährend von Außen beeinflußt, und es ist zu fürchten, daß das alte gute Verhältniß zwischen Offizieren und Gemeinen " 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/291>, abgerufen am 26.11.2024.