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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Menschenverstande zuwider ist, und was außerdem Niemand von ihr verlang.
Wie sollte sie bei der Unmöglichkeit einer Analogie ein einfaches Bervietsäl'
tigungs- und Verkaufsprivilegium mit dem Namen des Grundeigenthums und
zwar einzig zu dem Zwecke, um eine Sinecure für die Erben zu haben, schaffen?

Boileau sagt in seiner Epistel über den Adel-, "Ist die Nachkommenschaft
von Alfane und Bayard nur eine Mähre, so steht sie billig zu Kauf." Kann
die Regierung es dahin bringen, daß die Sohne genialer Männer auch Genies
werden? Nein. Uebcrlasse sie also die Nachkommenschaft eines Genius sich selbst',
die Bäter sind bezahlt morden, und man ist den Erben nichts mehr schuldig!" --

Wir gestehen, daß uns dieser Theil der Prvudhvnschen Studie am mei¬
sten befriedigt hat. Die Ausführung im Ganzen ist rein sachlich gehalten, die
Beweisführung überzeugend, die Diction voll überraschender Schönheiten und
die Bitterkeit der Ausfälle gegen Herren v. Lamartine und Genosse" durch
die widerwärtige Phrasenhaftigteit der Argumentation dieser Individuen hin¬
länglich gerechtfertigt.

Dagegen können wir den Ausführungen des zweiten und dritten Theils
den Borwurf nicht ersparen, daß sie im Einzelnen keineswegs frei von Para¬
doxen und Uebertreibungen aller Art sind und ihrer ganzen Haltung und Ten¬
denz nach mehr dazu bestimmt scheinen, dem tiefen Unmuthe des Autors ge¬
gen den geschichtlichen Entwicklungsgang der französischen Nation Luft zu machen
als die vorliegende Frage unbefangen zu erörtern.

Wenn der Berfasser den neutestamentlichen Magier Simon, weil er das
Evangelium verkaufte, als Ökonomisten und als den eigentlichen Bater der
Lehre vom geistigen Eigenthum hinstellt, so mag dies in dem Zusammenhange,
-in dem es steht, noch für mehr als ein bloßes Wihwort gelten. Aber gegen einen
Idealismus, welcher jeden Autor, der auch nur einen Sou für seine Schriften be¬
ziehe, während er von seinem Vermögen leben könne, einer Unwürdigkei! zeiht,
müssen wir uns im Hinblick auf die Grundbedingungen aller menschlichen Produk¬
tion und im Interesse der literarischen Produktion selbst entschieden verwahren. Es
ist begreiflich, daß sich die Ehrenhaftigkeit des Verfassers gegen den literarischen
Geldschwindcl des heutigen Frankreich, von dein er die eclatantcsten Proben mit¬
theilt, empört. Aber es heißt offenbar in das entgegengesetzte Extrem verfallen und
die realen Verhältnisse der Organisation des Buchhandels nicht minder als der
literarischen Production verkennen, wenn man dem Autor, weil er für seine Person
vielleicht zu leben hat, zumuthet, die Früchte seiner Nachtwachen ohne weiteres
Entgelt mit freigebiger Hand in die Lüfte zu streuen und auf die rein menschliche
Freude des Erwerbens für sich und die Seinigen zu verzichten.

Auch glauben wir nicht, daß zwischen dem Bestreben der französischen
Gesetzgebung, die Autorrechte zum vollen Eigenthum zu erheben und dem von
Proudhon in beredten Worten geschilderten socialen Verfall der Nation seit


Menschenverstande zuwider ist, und was außerdem Niemand von ihr verlang.
Wie sollte sie bei der Unmöglichkeit einer Analogie ein einfaches Bervietsäl'
tigungs- und Verkaufsprivilegium mit dem Namen des Grundeigenthums und
zwar einzig zu dem Zwecke, um eine Sinecure für die Erben zu haben, schaffen?

Boileau sagt in seiner Epistel über den Adel-, „Ist die Nachkommenschaft
von Alfane und Bayard nur eine Mähre, so steht sie billig zu Kauf." Kann
die Regierung es dahin bringen, daß die Sohne genialer Männer auch Genies
werden? Nein. Uebcrlasse sie also die Nachkommenschaft eines Genius sich selbst',
die Bäter sind bezahlt morden, und man ist den Erben nichts mehr schuldig!" —

Wir gestehen, daß uns dieser Theil der Prvudhvnschen Studie am mei¬
sten befriedigt hat. Die Ausführung im Ganzen ist rein sachlich gehalten, die
Beweisführung überzeugend, die Diction voll überraschender Schönheiten und
die Bitterkeit der Ausfälle gegen Herren v. Lamartine und Genosse» durch
die widerwärtige Phrasenhaftigteit der Argumentation dieser Individuen hin¬
länglich gerechtfertigt.

Dagegen können wir den Ausführungen des zweiten und dritten Theils
den Borwurf nicht ersparen, daß sie im Einzelnen keineswegs frei von Para¬
doxen und Uebertreibungen aller Art sind und ihrer ganzen Haltung und Ten¬
denz nach mehr dazu bestimmt scheinen, dem tiefen Unmuthe des Autors ge¬
gen den geschichtlichen Entwicklungsgang der französischen Nation Luft zu machen
als die vorliegende Frage unbefangen zu erörtern.

Wenn der Berfasser den neutestamentlichen Magier Simon, weil er das
Evangelium verkaufte, als Ökonomisten und als den eigentlichen Bater der
Lehre vom geistigen Eigenthum hinstellt, so mag dies in dem Zusammenhange,
-in dem es steht, noch für mehr als ein bloßes Wihwort gelten. Aber gegen einen
Idealismus, welcher jeden Autor, der auch nur einen Sou für seine Schriften be¬
ziehe, während er von seinem Vermögen leben könne, einer Unwürdigkei! zeiht,
müssen wir uns im Hinblick auf die Grundbedingungen aller menschlichen Produk¬
tion und im Interesse der literarischen Produktion selbst entschieden verwahren. Es
ist begreiflich, daß sich die Ehrenhaftigkeit des Verfassers gegen den literarischen
Geldschwindcl des heutigen Frankreich, von dein er die eclatantcsten Proben mit¬
theilt, empört. Aber es heißt offenbar in das entgegengesetzte Extrem verfallen und
die realen Verhältnisse der Organisation des Buchhandels nicht minder als der
literarischen Production verkennen, wenn man dem Autor, weil er für seine Person
vielleicht zu leben hat, zumuthet, die Früchte seiner Nachtwachen ohne weiteres
Entgelt mit freigebiger Hand in die Lüfte zu streuen und auf die rein menschliche
Freude des Erwerbens für sich und die Seinigen zu verzichten.

Auch glauben wir nicht, daß zwischen dem Bestreben der französischen
Gesetzgebung, die Autorrechte zum vollen Eigenthum zu erheben und dem von
Proudhon in beredten Worten geschilderten socialen Verfall der Nation seit


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[0284] Menschenverstande zuwider ist, und was außerdem Niemand von ihr verlang. Wie sollte sie bei der Unmöglichkeit einer Analogie ein einfaches Bervietsäl' tigungs- und Verkaufsprivilegium mit dem Namen des Grundeigenthums und zwar einzig zu dem Zwecke, um eine Sinecure für die Erben zu haben, schaffen? Boileau sagt in seiner Epistel über den Adel-, „Ist die Nachkommenschaft von Alfane und Bayard nur eine Mähre, so steht sie billig zu Kauf." Kann die Regierung es dahin bringen, daß die Sohne genialer Männer auch Genies werden? Nein. Uebcrlasse sie also die Nachkommenschaft eines Genius sich selbst', die Bäter sind bezahlt morden, und man ist den Erben nichts mehr schuldig!" — Wir gestehen, daß uns dieser Theil der Prvudhvnschen Studie am mei¬ sten befriedigt hat. Die Ausführung im Ganzen ist rein sachlich gehalten, die Beweisführung überzeugend, die Diction voll überraschender Schönheiten und die Bitterkeit der Ausfälle gegen Herren v. Lamartine und Genosse» durch die widerwärtige Phrasenhaftigteit der Argumentation dieser Individuen hin¬ länglich gerechtfertigt. Dagegen können wir den Ausführungen des zweiten und dritten Theils den Borwurf nicht ersparen, daß sie im Einzelnen keineswegs frei von Para¬ doxen und Uebertreibungen aller Art sind und ihrer ganzen Haltung und Ten¬ denz nach mehr dazu bestimmt scheinen, dem tiefen Unmuthe des Autors ge¬ gen den geschichtlichen Entwicklungsgang der französischen Nation Luft zu machen als die vorliegende Frage unbefangen zu erörtern. Wenn der Berfasser den neutestamentlichen Magier Simon, weil er das Evangelium verkaufte, als Ökonomisten und als den eigentlichen Bater der Lehre vom geistigen Eigenthum hinstellt, so mag dies in dem Zusammenhange, -in dem es steht, noch für mehr als ein bloßes Wihwort gelten. Aber gegen einen Idealismus, welcher jeden Autor, der auch nur einen Sou für seine Schriften be¬ ziehe, während er von seinem Vermögen leben könne, einer Unwürdigkei! zeiht, müssen wir uns im Hinblick auf die Grundbedingungen aller menschlichen Produk¬ tion und im Interesse der literarischen Produktion selbst entschieden verwahren. Es ist begreiflich, daß sich die Ehrenhaftigkeit des Verfassers gegen den literarischen Geldschwindcl des heutigen Frankreich, von dein er die eclatantcsten Proben mit¬ theilt, empört. Aber es heißt offenbar in das entgegengesetzte Extrem verfallen und die realen Verhältnisse der Organisation des Buchhandels nicht minder als der literarischen Production verkennen, wenn man dem Autor, weil er für seine Person vielleicht zu leben hat, zumuthet, die Früchte seiner Nachtwachen ohne weiteres Entgelt mit freigebiger Hand in die Lüfte zu streuen und auf die rein menschliche Freude des Erwerbens für sich und die Seinigen zu verzichten. Auch glauben wir nicht, daß zwischen dem Bestreben der französischen Gesetzgebung, die Autorrechte zum vollen Eigenthum zu erheben und dem von Proudhon in beredten Worten geschilderten socialen Verfall der Nation seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/284>, abgerufen am 28.07.2024.