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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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schichtlich ausgeprägte Menschen vor sich hatte, an deren individueller Erscheinung
seine ausschweifende Phantasie einen Halt finden konnte, war ja seinem Ge¬
staltungsvermögen Gelegenheit gegeben, sich zu bewähren. Hier konnte er
zeigen, ob er im Stande ist, lebendige Menschen zu bilden, eine charaktervolle
Schönheit hervorzubringen. Sehen wir uns zuerst den Luther an, der, wenn
er auch die Hauptfigur nicht ist, doch sie sein soll. Kaulbach hat es verschmäht,
das treuherzige Portrait Kranachs zu benutzen, in dem mit der Klarheit eines
gesunden Perstandes zugleich der Ausdruck des gediegenen Charakters ist. Nun
gut; er will uns Luther in der Blüthe des Mannesalters geben. Der Refor¬
mator war damals noch hager; in seinen Zügen las man die kühne Entschlossen¬
heit, den inneren Sturm, die Begeisterung für seine Sache, die Gesinnung,
die sich zwar ganz ans das Wort Gottes stützte, aber in diesem Worte "Schwert,
Krieg und Verderben" fand. Mit der Tüchtigkeit des geraden Sinnes hätte
uns also Kaulbach zugleich das schwungvolle, den Genius, die Arbeit des in¬
neren Lebens zeigen müssen. Wer aber wird diese Züge in dem flach idealisirten
Kopf und dem doch pfäffisch geschwollenen Gesichte finden! Ebenso wird man
in dem Kopfe und der Haltung Zwinglis, des wohlgestalteten, lebensfroher
Mannes, die Kraft und republikanische Entschiedenheit, die ihn auszeichneten,
vergebens suchen. Zu unbestimmt sind übrigens die meisten Figuren d.eS Hinter--
grundes gehalten, als daß die Charaktere heraustreten konnten; nur so viel
läßt sich doch auch in dieser Ferne erkennen, daß die Individualität meistens
entweder verflacht oder verzerrt ist. Ist der stolz daherschreitende Pfau mit
dein verlebten, geschmückte", ausdruckslosen Kops die Königin Elisabeth, die
"ut ungebrochenen, Muth gegen eine halbe Welt kämpfte? Wußte uns Kaulbach
von dem Weibe, das, wie ein Zeitgenosse rühmt. ebenso klug im Regieren
und sorgsam bei Berathung, als fest und umsichtig im Handeln war, nichts
als seine Eitelkeit zu zeigen? Dem schönen Kopfe Gustav Adolphs keinen an¬
deren Ausdruck zu geben, als den eines Blicks zum Himmel, während der Körper
sich eben zurechtgestellt hat, um zu imponiren, um zu sagen: "ich bin auch noch da?"
Dem biederen Albrecht Dürer keine andere Stellung, als die kokette Wendung eines
Tänzers, der vom Gerüst herab der Gesellschaft sein Compliment macht? Und
..... gehen wir weiter vor -- dieser Melanchthon! Ein Kopf von matter Süßigkeit
mit dem Beigeschmack hektischer Sentimentalität, das also ist der Kops eines Man¬
nes, dem es bei aller Milde und Feinheit eines attischen Geistes doch nicht an dem
Muth der tiefsten Ueberzeugung fehlte! Was ferner ist aus Hütten geworden! Nach
dem Bericht von Zeitgenossen war er ein schmächtiger, unscheinbarer Mann, der
aber in seinem blassen Gesichte etwas Wildes hatte, das von dein tief leiden¬
schaftlichen, sein Leben wie sein Gemüth bewegenden Sturme zeugte. Da steht
nur, der gekrönte Poet, das Schwert in der Hand, mit aufgerissenen Augen,
dgs ächte Bild eines Statisten. Beim Erasmus hätte Kaulbach gleich sehr dar-


schichtlich ausgeprägte Menschen vor sich hatte, an deren individueller Erscheinung
seine ausschweifende Phantasie einen Halt finden konnte, war ja seinem Ge¬
staltungsvermögen Gelegenheit gegeben, sich zu bewähren. Hier konnte er
zeigen, ob er im Stande ist, lebendige Menschen zu bilden, eine charaktervolle
Schönheit hervorzubringen. Sehen wir uns zuerst den Luther an, der, wenn
er auch die Hauptfigur nicht ist, doch sie sein soll. Kaulbach hat es verschmäht,
das treuherzige Portrait Kranachs zu benutzen, in dem mit der Klarheit eines
gesunden Perstandes zugleich der Ausdruck des gediegenen Charakters ist. Nun
gut; er will uns Luther in der Blüthe des Mannesalters geben. Der Refor¬
mator war damals noch hager; in seinen Zügen las man die kühne Entschlossen¬
heit, den inneren Sturm, die Begeisterung für seine Sache, die Gesinnung,
die sich zwar ganz ans das Wort Gottes stützte, aber in diesem Worte „Schwert,
Krieg und Verderben" fand. Mit der Tüchtigkeit des geraden Sinnes hätte
uns also Kaulbach zugleich das schwungvolle, den Genius, die Arbeit des in¬
neren Lebens zeigen müssen. Wer aber wird diese Züge in dem flach idealisirten
Kopf und dem doch pfäffisch geschwollenen Gesichte finden! Ebenso wird man
in dem Kopfe und der Haltung Zwinglis, des wohlgestalteten, lebensfroher
Mannes, die Kraft und republikanische Entschiedenheit, die ihn auszeichneten,
vergebens suchen. Zu unbestimmt sind übrigens die meisten Figuren d.eS Hinter--
grundes gehalten, als daß die Charaktere heraustreten konnten; nur so viel
läßt sich doch auch in dieser Ferne erkennen, daß die Individualität meistens
entweder verflacht oder verzerrt ist. Ist der stolz daherschreitende Pfau mit
dein verlebten, geschmückte», ausdruckslosen Kops die Königin Elisabeth, die
»ut ungebrochenen, Muth gegen eine halbe Welt kämpfte? Wußte uns Kaulbach
von dem Weibe, das, wie ein Zeitgenosse rühmt. ebenso klug im Regieren
und sorgsam bei Berathung, als fest und umsichtig im Handeln war, nichts
als seine Eitelkeit zu zeigen? Dem schönen Kopfe Gustav Adolphs keinen an¬
deren Ausdruck zu geben, als den eines Blicks zum Himmel, während der Körper
sich eben zurechtgestellt hat, um zu imponiren, um zu sagen: „ich bin auch noch da?"
Dem biederen Albrecht Dürer keine andere Stellung, als die kokette Wendung eines
Tänzers, der vom Gerüst herab der Gesellschaft sein Compliment macht? Und
..... gehen wir weiter vor — dieser Melanchthon! Ein Kopf von matter Süßigkeit
mit dem Beigeschmack hektischer Sentimentalität, das also ist der Kops eines Man¬
nes, dem es bei aller Milde und Feinheit eines attischen Geistes doch nicht an dem
Muth der tiefsten Ueberzeugung fehlte! Was ferner ist aus Hütten geworden! Nach
dem Bericht von Zeitgenossen war er ein schmächtiger, unscheinbarer Mann, der
aber in seinem blassen Gesichte etwas Wildes hatte, das von dein tief leiden¬
schaftlichen, sein Leben wie sein Gemüth bewegenden Sturme zeugte. Da steht
nur, der gekrönte Poet, das Schwert in der Hand, mit aufgerissenen Augen,
dgs ächte Bild eines Statisten. Beim Erasmus hätte Kaulbach gleich sehr dar-


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[0266] schichtlich ausgeprägte Menschen vor sich hatte, an deren individueller Erscheinung seine ausschweifende Phantasie einen Halt finden konnte, war ja seinem Ge¬ staltungsvermögen Gelegenheit gegeben, sich zu bewähren. Hier konnte er zeigen, ob er im Stande ist, lebendige Menschen zu bilden, eine charaktervolle Schönheit hervorzubringen. Sehen wir uns zuerst den Luther an, der, wenn er auch die Hauptfigur nicht ist, doch sie sein soll. Kaulbach hat es verschmäht, das treuherzige Portrait Kranachs zu benutzen, in dem mit der Klarheit eines gesunden Perstandes zugleich der Ausdruck des gediegenen Charakters ist. Nun gut; er will uns Luther in der Blüthe des Mannesalters geben. Der Refor¬ mator war damals noch hager; in seinen Zügen las man die kühne Entschlossen¬ heit, den inneren Sturm, die Begeisterung für seine Sache, die Gesinnung, die sich zwar ganz ans das Wort Gottes stützte, aber in diesem Worte „Schwert, Krieg und Verderben" fand. Mit der Tüchtigkeit des geraden Sinnes hätte uns also Kaulbach zugleich das schwungvolle, den Genius, die Arbeit des in¬ neren Lebens zeigen müssen. Wer aber wird diese Züge in dem flach idealisirten Kopf und dem doch pfäffisch geschwollenen Gesichte finden! Ebenso wird man in dem Kopfe und der Haltung Zwinglis, des wohlgestalteten, lebensfroher Mannes, die Kraft und republikanische Entschiedenheit, die ihn auszeichneten, vergebens suchen. Zu unbestimmt sind übrigens die meisten Figuren d.eS Hinter-- grundes gehalten, als daß die Charaktere heraustreten konnten; nur so viel läßt sich doch auch in dieser Ferne erkennen, daß die Individualität meistens entweder verflacht oder verzerrt ist. Ist der stolz daherschreitende Pfau mit dein verlebten, geschmückte», ausdruckslosen Kops die Königin Elisabeth, die »ut ungebrochenen, Muth gegen eine halbe Welt kämpfte? Wußte uns Kaulbach von dem Weibe, das, wie ein Zeitgenosse rühmt. ebenso klug im Regieren und sorgsam bei Berathung, als fest und umsichtig im Handeln war, nichts als seine Eitelkeit zu zeigen? Dem schönen Kopfe Gustav Adolphs keinen an¬ deren Ausdruck zu geben, als den eines Blicks zum Himmel, während der Körper sich eben zurechtgestellt hat, um zu imponiren, um zu sagen: „ich bin auch noch da?" Dem biederen Albrecht Dürer keine andere Stellung, als die kokette Wendung eines Tänzers, der vom Gerüst herab der Gesellschaft sein Compliment macht? Und ..... gehen wir weiter vor — dieser Melanchthon! Ein Kopf von matter Süßigkeit mit dem Beigeschmack hektischer Sentimentalität, das also ist der Kops eines Man¬ nes, dem es bei aller Milde und Feinheit eines attischen Geistes doch nicht an dem Muth der tiefsten Ueberzeugung fehlte! Was ferner ist aus Hütten geworden! Nach dem Bericht von Zeitgenossen war er ein schmächtiger, unscheinbarer Mann, der aber in seinem blassen Gesichte etwas Wildes hatte, das von dein tief leiden¬ schaftlichen, sein Leben wie sein Gemüth bewegenden Sturme zeugte. Da steht nur, der gekrönte Poet, das Schwert in der Hand, mit aufgerissenen Augen, dgs ächte Bild eines Statisten. Beim Erasmus hätte Kaulbach gleich sehr dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/266>, abgerufen am 30.11.2024.