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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Stellendes Talent und Feinheit der Auffassung zeigen können; die geistvollen
Porträts Holbeins, in denen die Individualität anspruchslos, gesund realistisch
und doch in der ganzen Tiefe ihres Lebens wiedergegeben ist, machten ihm die
Sache leicht. Aber wie hat er den behutsamen, diplomatischen Kopf mit den
feinen Zügen und dem launigen Ausdruck zur leblosen Larve versteinert, das
individuelle Gepräge zur Maste, die an das Narrenhaus erinnert, zum ächten
Kauibachkopf! Ebenso hölzern ist der Körper, die Haltung, es ist etwas Elendes
in der ganzen Erscheinung, der moderne deutsche Schulmeister bat mehr Wurf
und Würde. Eine Art von Gegensatz bildet Reuchlin; der stattliche Mann
dessen v,ornebme Haltung Ehrfurcht einflößte, der aber doch durch sein ruhiges
und mildes Wesen anzog, und dessen Zügen "ein dunkler Drang nach verborgenen
Tiefen" etwas Mystisches gab, wie trägt er hier seine Würde und Bedeutsam¬
keit in der Art eines, alten Polterers zur Schau, mit einem Profil, das wieder
an Caricatur grenzt.

Wie wenig Kaulbach im Stande ist, einen Kopf künstlerisch aufzufassen
und wiederzugeben, selbst dann, wenn er ein treffliches Vorbild hat, zeigt sich
auch an dem Anatomen Besalius; dessen geistreich behandeltes, höchst indivi¬
duelles Bildniß von Tintvret in der Münchener Pinakothek ist hier zum flachen
Typus verkümmert, für dessen Leere und Flausen wir keine andere Bezeichnung
wissen, als eben Kaulbachsche Manier. Es ist in dieser etwas eigenthümlich
Starres, eine Perknöchertheit der Form, der das Lebenslicht ausgeblasen ist,
und die sich vergeblich mit der leeren Allgemeinheit schöner Linien zu schmücken
oder durch die Schärfe übertriebener Charakteristik bedeutungsvoll zu machen
sucht. Wenn die Form nicht die lebendige Erscheinung des künstlerisch verstan¬
denen Organismus ist. die Individualisirung nicht einfach das Wesentliche
gibt, den Charakter in seiner Gediegenheit faßt, so bringt es die Kunst weder
zur schönen, noch zur ausdrucksvollen Gestalt; streift dagegen. , wie so oft bei
Kaulbach. an die Puppe oder an die Fratze. Man wird es müde, das an den
einzelnen Figuren nachzuweisen. Wer für die erhaltenen Meisterwerke der Kunst
Sinn und Liebe hat, wer sich an die herrliche", tüchtigen Menschen eines Masaccio
und Ghirlandaso erinnert, die aus der Wirklichkeit heraus im vollsten Momente
ihres Lebens in das ewige Reich der Kunst erhoben sind, dem wird ebensosehr
die hohle und modern-anspruchsvolle Schönheit in den Köpfen von Bacon,
Petrarca und Pico abstoßen, als die Earicatur in den Fuchs, Münster, Para-
celsus und Franke. Diese zeichnen sich überdies durch lächerliche, automalen-
hafte Geberden aus. Selbst ein Schwärmer, wie Paracelsus, ist doch durch
die Art. wie er jede Autorität abwarf und die Kräfte der Natur zu ergründen
suchte, ein zu bedeutender Mensch, als das, man ihn mit der Geberde des
dummen Erstaunens >charakterisiren dürfte. Man mag übrigens in diesen Ge¬
stalten die bekannte Ironie des Künstlers wiederfinden; uns ist sie bier nur ein


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Stellendes Talent und Feinheit der Auffassung zeigen können; die geistvollen
Porträts Holbeins, in denen die Individualität anspruchslos, gesund realistisch
und doch in der ganzen Tiefe ihres Lebens wiedergegeben ist, machten ihm die
Sache leicht. Aber wie hat er den behutsamen, diplomatischen Kopf mit den
feinen Zügen und dem launigen Ausdruck zur leblosen Larve versteinert, das
individuelle Gepräge zur Maste, die an das Narrenhaus erinnert, zum ächten
Kauibachkopf! Ebenso hölzern ist der Körper, die Haltung, es ist etwas Elendes
in der ganzen Erscheinung, der moderne deutsche Schulmeister bat mehr Wurf
und Würde. Eine Art von Gegensatz bildet Reuchlin; der stattliche Mann
dessen v,ornebme Haltung Ehrfurcht einflößte, der aber doch durch sein ruhiges
und mildes Wesen anzog, und dessen Zügen „ein dunkler Drang nach verborgenen
Tiefen" etwas Mystisches gab, wie trägt er hier seine Würde und Bedeutsam¬
keit in der Art eines, alten Polterers zur Schau, mit einem Profil, das wieder
an Caricatur grenzt.

Wie wenig Kaulbach im Stande ist, einen Kopf künstlerisch aufzufassen
und wiederzugeben, selbst dann, wenn er ein treffliches Vorbild hat, zeigt sich
auch an dem Anatomen Besalius; dessen geistreich behandeltes, höchst indivi¬
duelles Bildniß von Tintvret in der Münchener Pinakothek ist hier zum flachen
Typus verkümmert, für dessen Leere und Flausen wir keine andere Bezeichnung
wissen, als eben Kaulbachsche Manier. Es ist in dieser etwas eigenthümlich
Starres, eine Perknöchertheit der Form, der das Lebenslicht ausgeblasen ist,
und die sich vergeblich mit der leeren Allgemeinheit schöner Linien zu schmücken
oder durch die Schärfe übertriebener Charakteristik bedeutungsvoll zu machen
sucht. Wenn die Form nicht die lebendige Erscheinung des künstlerisch verstan¬
denen Organismus ist. die Individualisirung nicht einfach das Wesentliche
gibt, den Charakter in seiner Gediegenheit faßt, so bringt es die Kunst weder
zur schönen, noch zur ausdrucksvollen Gestalt; streift dagegen. , wie so oft bei
Kaulbach. an die Puppe oder an die Fratze. Man wird es müde, das an den
einzelnen Figuren nachzuweisen. Wer für die erhaltenen Meisterwerke der Kunst
Sinn und Liebe hat, wer sich an die herrliche», tüchtigen Menschen eines Masaccio
und Ghirlandaso erinnert, die aus der Wirklichkeit heraus im vollsten Momente
ihres Lebens in das ewige Reich der Kunst erhoben sind, dem wird ebensosehr
die hohle und modern-anspruchsvolle Schönheit in den Köpfen von Bacon,
Petrarca und Pico abstoßen, als die Earicatur in den Fuchs, Münster, Para-
celsus und Franke. Diese zeichnen sich überdies durch lächerliche, automalen-
hafte Geberden aus. Selbst ein Schwärmer, wie Paracelsus, ist doch durch
die Art. wie er jede Autorität abwarf und die Kräfte der Natur zu ergründen
suchte, ein zu bedeutender Mensch, als das, man ihn mit der Geberde des
dummen Erstaunens >charakterisiren dürfte. Man mag übrigens in diesen Ge¬
stalten die bekannte Ironie des Künstlers wiederfinden; uns ist sie bier nur ein


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[0267] Stellendes Talent und Feinheit der Auffassung zeigen können; die geistvollen Porträts Holbeins, in denen die Individualität anspruchslos, gesund realistisch und doch in der ganzen Tiefe ihres Lebens wiedergegeben ist, machten ihm die Sache leicht. Aber wie hat er den behutsamen, diplomatischen Kopf mit den feinen Zügen und dem launigen Ausdruck zur leblosen Larve versteinert, das individuelle Gepräge zur Maste, die an das Narrenhaus erinnert, zum ächten Kauibachkopf! Ebenso hölzern ist der Körper, die Haltung, es ist etwas Elendes in der ganzen Erscheinung, der moderne deutsche Schulmeister bat mehr Wurf und Würde. Eine Art von Gegensatz bildet Reuchlin; der stattliche Mann dessen v,ornebme Haltung Ehrfurcht einflößte, der aber doch durch sein ruhiges und mildes Wesen anzog, und dessen Zügen „ein dunkler Drang nach verborgenen Tiefen" etwas Mystisches gab, wie trägt er hier seine Würde und Bedeutsam¬ keit in der Art eines, alten Polterers zur Schau, mit einem Profil, das wieder an Caricatur grenzt. Wie wenig Kaulbach im Stande ist, einen Kopf künstlerisch aufzufassen und wiederzugeben, selbst dann, wenn er ein treffliches Vorbild hat, zeigt sich auch an dem Anatomen Besalius; dessen geistreich behandeltes, höchst indivi¬ duelles Bildniß von Tintvret in der Münchener Pinakothek ist hier zum flachen Typus verkümmert, für dessen Leere und Flausen wir keine andere Bezeichnung wissen, als eben Kaulbachsche Manier. Es ist in dieser etwas eigenthümlich Starres, eine Perknöchertheit der Form, der das Lebenslicht ausgeblasen ist, und die sich vergeblich mit der leeren Allgemeinheit schöner Linien zu schmücken oder durch die Schärfe übertriebener Charakteristik bedeutungsvoll zu machen sucht. Wenn die Form nicht die lebendige Erscheinung des künstlerisch verstan¬ denen Organismus ist. die Individualisirung nicht einfach das Wesentliche gibt, den Charakter in seiner Gediegenheit faßt, so bringt es die Kunst weder zur schönen, noch zur ausdrucksvollen Gestalt; streift dagegen. , wie so oft bei Kaulbach. an die Puppe oder an die Fratze. Man wird es müde, das an den einzelnen Figuren nachzuweisen. Wer für die erhaltenen Meisterwerke der Kunst Sinn und Liebe hat, wer sich an die herrliche», tüchtigen Menschen eines Masaccio und Ghirlandaso erinnert, die aus der Wirklichkeit heraus im vollsten Momente ihres Lebens in das ewige Reich der Kunst erhoben sind, dem wird ebensosehr die hohle und modern-anspruchsvolle Schönheit in den Köpfen von Bacon, Petrarca und Pico abstoßen, als die Earicatur in den Fuchs, Münster, Para- celsus und Franke. Diese zeichnen sich überdies durch lächerliche, automalen- hafte Geberden aus. Selbst ein Schwärmer, wie Paracelsus, ist doch durch die Art. wie er jede Autorität abwarf und die Kräfte der Natur zu ergründen suchte, ein zu bedeutender Mensch, als das, man ihn mit der Geberde des dummen Erstaunens >charakterisiren dürfte. Man mag übrigens in diesen Ge¬ stalten die bekannte Ironie des Künstlers wiederfinden; uns ist sie bier nur ein 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/267>, abgerufen am 30.11.2024.