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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Treppen Betenden, ist zu matt, in Form und Ton zu kraftlos, um wirken zu
tonnen; auch sie verschwinden vor der herausdrängenden vorderen Masse. Des¬
halb erscheint der Friedensschluß, der wohl das zweite Hauptmoment des Bil¬
des sein soll, ohnedies eine Gruppe von nichtssagenden'Geberdenspiel, eben¬
falls nur wie eine gleichgültige Episode. In die Gruppe der Humanisten und
Dichter schneiden Erasmus und Reuchlin der Form wie dem Lichtgang nack,
gleich zwei Flecken ein; links bildet der Mantel des Franke einen häßlichen
Abschluß, das zopfige, weitläufige Gewand des Bacon eine aufdringliche Zu¬
gabe. Zu der Mitte liegt klobig, knotig, wie ein Haufen zersägter Holzblöcke,
mürrisch und plump, ganz das Gegentheil des classisch hingelagerten Diogenes
in der Schule von Athen, dessen Seitenstück er doch wohl sein soll, mit einem
Ausdruck, für de" Referent eine" anderen Ausdruck als Bersimpclung nicht
finden kann, Hans Sachs, der Held des Bildes. Daß ihm so mitgespielt
wurde, nachdem ihm der Ehrenplatz eingeräumt worden, hat der Meistersänger
wahrlich nicht verdient. -- Und nun das unruhige Gedränge der Figuren!
Keine, außer Luther und Hans Sachs, hat Platz, Kopf stoßt an Kopf, viele
Körper werden so durchschnitten, daß man den ganzen Bau sich kaum mehr
vorstellen kann. Links drängt man sich um den Globus, der eben erst herbei¬
geschafft wird, rechts zum Sarkophage. Elisabeth und Gefolge drängen sich
zum Altar. Astronomen drängen sich im einen Seitenschiff, Maler und Buch¬
drucker im andern: die ersteren, wie die letzteren ein Bild im Bilde. Aber da¬
mit nicht genug. Wie eine Schaar von Schatten sitzen hinter den Reforma¬
toren, also Figuren hinter Figuren, auf Chorstühlen die Vorboten der Refor¬
mation: ein schlechter Nachdruck der Erzväter und Apostel aus der Disputa,
eine Art Ersatz für das Mythenstockwerk, das der Künstler diesmal nicht an¬
bringen konnte. Und als Abschluß in der Höhe drängt sich wieder hei der Or¬
gel die Gemeinde!

Man mag an diesem Reichthum, diesem Taumel einer nüchternen, nur
künstlich erhitzten Phantasie sich ergötzen: künstlerisch ist er nicht, am wenigsten
monumental. Die Vergleichung mit der lichten, maßvollen Anordnung der
Schule von Athen überlassen wir dem Leser. Wer so den ersten Gesetzen der
Kunst zuwiderhandelt, wem es so sehr an der Großheit monumentaler An¬
schauung, am Sinn für die einfache, gediegene Erscheinung des Lebens und
für das Ebenmaß fehlt, mit dem die Kunst sogar die kämpfende, bewegte Welt
in das Reich der Schönheit erhebt -- nun, der mag immerhin diese Mängel
durch den Reiz des Allerlei und Vielerlei und ein mosaikartiges Spiel mit dem
Stofflichen zu ersetzen suchen; zu dem aber, was den wahren Künstler aus-
macht, gebricht ihm so ziemlich Alles.

Doch das Urtheil könnte voreilig erscheinen, so lange nicht von der Dar¬
stellung der Charaktere die Rede gewesen ist. Dadurck. daß hier Kaulbach ge-


Grenzboten l. 1863. 33

Treppen Betenden, ist zu matt, in Form und Ton zu kraftlos, um wirken zu
tonnen; auch sie verschwinden vor der herausdrängenden vorderen Masse. Des¬
halb erscheint der Friedensschluß, der wohl das zweite Hauptmoment des Bil¬
des sein soll, ohnedies eine Gruppe von nichtssagenden'Geberdenspiel, eben¬
falls nur wie eine gleichgültige Episode. In die Gruppe der Humanisten und
Dichter schneiden Erasmus und Reuchlin der Form wie dem Lichtgang nack,
gleich zwei Flecken ein; links bildet der Mantel des Franke einen häßlichen
Abschluß, das zopfige, weitläufige Gewand des Bacon eine aufdringliche Zu¬
gabe. Zu der Mitte liegt klobig, knotig, wie ein Haufen zersägter Holzblöcke,
mürrisch und plump, ganz das Gegentheil des classisch hingelagerten Diogenes
in der Schule von Athen, dessen Seitenstück er doch wohl sein soll, mit einem
Ausdruck, für de» Referent eine» anderen Ausdruck als Bersimpclung nicht
finden kann, Hans Sachs, der Held des Bildes. Daß ihm so mitgespielt
wurde, nachdem ihm der Ehrenplatz eingeräumt worden, hat der Meistersänger
wahrlich nicht verdient. — Und nun das unruhige Gedränge der Figuren!
Keine, außer Luther und Hans Sachs, hat Platz, Kopf stoßt an Kopf, viele
Körper werden so durchschnitten, daß man den ganzen Bau sich kaum mehr
vorstellen kann. Links drängt man sich um den Globus, der eben erst herbei¬
geschafft wird, rechts zum Sarkophage. Elisabeth und Gefolge drängen sich
zum Altar. Astronomen drängen sich im einen Seitenschiff, Maler und Buch¬
drucker im andern: die ersteren, wie die letzteren ein Bild im Bilde. Aber da¬
mit nicht genug. Wie eine Schaar von Schatten sitzen hinter den Reforma¬
toren, also Figuren hinter Figuren, auf Chorstühlen die Vorboten der Refor¬
mation: ein schlechter Nachdruck der Erzväter und Apostel aus der Disputa,
eine Art Ersatz für das Mythenstockwerk, das der Künstler diesmal nicht an¬
bringen konnte. Und als Abschluß in der Höhe drängt sich wieder hei der Or¬
gel die Gemeinde!

Man mag an diesem Reichthum, diesem Taumel einer nüchternen, nur
künstlich erhitzten Phantasie sich ergötzen: künstlerisch ist er nicht, am wenigsten
monumental. Die Vergleichung mit der lichten, maßvollen Anordnung der
Schule von Athen überlassen wir dem Leser. Wer so den ersten Gesetzen der
Kunst zuwiderhandelt, wem es so sehr an der Großheit monumentaler An¬
schauung, am Sinn für die einfache, gediegene Erscheinung des Lebens und
für das Ebenmaß fehlt, mit dem die Kunst sogar die kämpfende, bewegte Welt
in das Reich der Schönheit erhebt — nun, der mag immerhin diese Mängel
durch den Reiz des Allerlei und Vielerlei und ein mosaikartiges Spiel mit dem
Stofflichen zu ersetzen suchen; zu dem aber, was den wahren Künstler aus-
macht, gebricht ihm so ziemlich Alles.

Doch das Urtheil könnte voreilig erscheinen, so lange nicht von der Dar¬
stellung der Charaktere die Rede gewesen ist. Dadurck. daß hier Kaulbach ge-


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[0265] Treppen Betenden, ist zu matt, in Form und Ton zu kraftlos, um wirken zu tonnen; auch sie verschwinden vor der herausdrängenden vorderen Masse. Des¬ halb erscheint der Friedensschluß, der wohl das zweite Hauptmoment des Bil¬ des sein soll, ohnedies eine Gruppe von nichtssagenden'Geberdenspiel, eben¬ falls nur wie eine gleichgültige Episode. In die Gruppe der Humanisten und Dichter schneiden Erasmus und Reuchlin der Form wie dem Lichtgang nack, gleich zwei Flecken ein; links bildet der Mantel des Franke einen häßlichen Abschluß, das zopfige, weitläufige Gewand des Bacon eine aufdringliche Zu¬ gabe. Zu der Mitte liegt klobig, knotig, wie ein Haufen zersägter Holzblöcke, mürrisch und plump, ganz das Gegentheil des classisch hingelagerten Diogenes in der Schule von Athen, dessen Seitenstück er doch wohl sein soll, mit einem Ausdruck, für de» Referent eine» anderen Ausdruck als Bersimpclung nicht finden kann, Hans Sachs, der Held des Bildes. Daß ihm so mitgespielt wurde, nachdem ihm der Ehrenplatz eingeräumt worden, hat der Meistersänger wahrlich nicht verdient. — Und nun das unruhige Gedränge der Figuren! Keine, außer Luther und Hans Sachs, hat Platz, Kopf stoßt an Kopf, viele Körper werden so durchschnitten, daß man den ganzen Bau sich kaum mehr vorstellen kann. Links drängt man sich um den Globus, der eben erst herbei¬ geschafft wird, rechts zum Sarkophage. Elisabeth und Gefolge drängen sich zum Altar. Astronomen drängen sich im einen Seitenschiff, Maler und Buch¬ drucker im andern: die ersteren, wie die letzteren ein Bild im Bilde. Aber da¬ mit nicht genug. Wie eine Schaar von Schatten sitzen hinter den Reforma¬ toren, also Figuren hinter Figuren, auf Chorstühlen die Vorboten der Refor¬ mation: ein schlechter Nachdruck der Erzväter und Apostel aus der Disputa, eine Art Ersatz für das Mythenstockwerk, das der Künstler diesmal nicht an¬ bringen konnte. Und als Abschluß in der Höhe drängt sich wieder hei der Or¬ gel die Gemeinde! Man mag an diesem Reichthum, diesem Taumel einer nüchternen, nur künstlich erhitzten Phantasie sich ergötzen: künstlerisch ist er nicht, am wenigsten monumental. Die Vergleichung mit der lichten, maßvollen Anordnung der Schule von Athen überlassen wir dem Leser. Wer so den ersten Gesetzen der Kunst zuwiderhandelt, wem es so sehr an der Großheit monumentaler An¬ schauung, am Sinn für die einfache, gediegene Erscheinung des Lebens und für das Ebenmaß fehlt, mit dem die Kunst sogar die kämpfende, bewegte Welt in das Reich der Schönheit erhebt — nun, der mag immerhin diese Mängel durch den Reiz des Allerlei und Vielerlei und ein mosaikartiges Spiel mit dem Stofflichen zu ersetzen suchen; zu dem aber, was den wahren Künstler aus- macht, gebricht ihm so ziemlich Alles. Doch das Urtheil könnte voreilig erscheinen, so lange nicht von der Dar¬ stellung der Charaktere die Rede gewesen ist. Dadurck. daß hier Kaulbach ge- Grenzboten l. 1863. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/265>, abgerufen am 28.07.2024.