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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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bald bei jeder Gelegenheit offen an das Licht trat, die jedoch -- weil man
das Princip der Anciennetät nicht verletzen wollte nunmehr ganz gemächlich
bis zu den höchsten Stellen vorrücken konnten.




Die Eröffnung des Landtages in Preußen.

Heute Nachmittag las vor verhülltem Thronsessel der Minister des Aus¬
wärtigen die Worte seines königlichen Gebieters den versammelten Herren und
Landbotcn Preußens vor. Schon jetzt, zwei Stunden, nachdem die Rede in
Berlin gehalten wurde, läuft sie gedruckt durch die Straßen Leipzigs. Und mit
einer Spannung, welche jedes andere politische Tagesinteresse in den Hinter¬
grund drängt, erwartet der Deutsche die ersten Lebensäußerungen des Abgeord¬
netenhauses, welches in einer bis jetzt une> hörten Lage des Staates zusammen¬
berufen wurde.

Wer die glattflüssigen Perioden der Thronrede durchliesi. ohne Kenntniß
von dem harten Kampf zwischen Ministerium und Volk zu haben, der wird
schwerlich merken, daß der Staat, in dem sie gesprochen wurde, sich in der ge-
fährlichsten Entwickclungskrankheit befindet. nachträgliche Genehmigung der
Ausgaben für 1862 soll beantragt werden, die Staatshaushaltsctats von 1863
und 1864 sollen vorgelegt werden, das angenommene Deficit des vergangenen
und des laufenden Jahres ist mit Mehreinnahmen verrechnet worden. Ein
Gesetzentwurf zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes vom 3. September
1814 soll der neuen Militärorganisation gesetzliche Grundlage geben. Die Re¬
gierung ist überzeugt, daß auch die Bundesverträge von 1815 den veränderten
Verhältnissen der Zeit nicht mehr entsprechen, und sie wird in der Lage sein,
die Fortdauer dieser Verträge für unthunlich zu halten, wenn die deutschen Bun¬
desgenossen die Pflichten, welche diese Verträge ihnen auflegen, nicht gewissen¬
haft erfüllen wollten.

Voraussichtlich wird die Landesvertretung dem Ministerium die Indemni¬
tät für die Ausgaben von 1862 nicht ertheilen, sie wird den Militäretat für
1863 und 1864 nicht bewilligen, sie wird die Novelle zum Dienstgesetz von
1814 nicht annehmen, sie wird endlich der Regierung grade heraussagen, daß
es ein übles Symptom einer Hülflosen Stellung in Deutschland sei, wenn man


bald bei jeder Gelegenheit offen an das Licht trat, die jedoch — weil man
das Princip der Anciennetät nicht verletzen wollte nunmehr ganz gemächlich
bis zu den höchsten Stellen vorrücken konnten.




Die Eröffnung des Landtages in Preußen.

Heute Nachmittag las vor verhülltem Thronsessel der Minister des Aus¬
wärtigen die Worte seines königlichen Gebieters den versammelten Herren und
Landbotcn Preußens vor. Schon jetzt, zwei Stunden, nachdem die Rede in
Berlin gehalten wurde, läuft sie gedruckt durch die Straßen Leipzigs. Und mit
einer Spannung, welche jedes andere politische Tagesinteresse in den Hinter¬
grund drängt, erwartet der Deutsche die ersten Lebensäußerungen des Abgeord¬
netenhauses, welches in einer bis jetzt une> hörten Lage des Staates zusammen¬
berufen wurde.

Wer die glattflüssigen Perioden der Thronrede durchliesi. ohne Kenntniß
von dem harten Kampf zwischen Ministerium und Volk zu haben, der wird
schwerlich merken, daß der Staat, in dem sie gesprochen wurde, sich in der ge-
fährlichsten Entwickclungskrankheit befindet. nachträgliche Genehmigung der
Ausgaben für 1862 soll beantragt werden, die Staatshaushaltsctats von 1863
und 1864 sollen vorgelegt werden, das angenommene Deficit des vergangenen
und des laufenden Jahres ist mit Mehreinnahmen verrechnet worden. Ein
Gesetzentwurf zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes vom 3. September
1814 soll der neuen Militärorganisation gesetzliche Grundlage geben. Die Re¬
gierung ist überzeugt, daß auch die Bundesverträge von 1815 den veränderten
Verhältnissen der Zeit nicht mehr entsprechen, und sie wird in der Lage sein,
die Fortdauer dieser Verträge für unthunlich zu halten, wenn die deutschen Bun¬
desgenossen die Pflichten, welche diese Verträge ihnen auflegen, nicht gewissen¬
haft erfüllen wollten.

Voraussichtlich wird die Landesvertretung dem Ministerium die Indemni¬
tät für die Ausgaben von 1862 nicht ertheilen, sie wird den Militäretat für
1863 und 1864 nicht bewilligen, sie wird die Novelle zum Dienstgesetz von
1814 nicht annehmen, sie wird endlich der Regierung grade heraussagen, daß
es ein übles Symptom einer Hülflosen Stellung in Deutschland sei, wenn man


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[0124] bald bei jeder Gelegenheit offen an das Licht trat, die jedoch — weil man das Princip der Anciennetät nicht verletzen wollte nunmehr ganz gemächlich bis zu den höchsten Stellen vorrücken konnten. Die Eröffnung des Landtages in Preußen. Heute Nachmittag las vor verhülltem Thronsessel der Minister des Aus¬ wärtigen die Worte seines königlichen Gebieters den versammelten Herren und Landbotcn Preußens vor. Schon jetzt, zwei Stunden, nachdem die Rede in Berlin gehalten wurde, läuft sie gedruckt durch die Straßen Leipzigs. Und mit einer Spannung, welche jedes andere politische Tagesinteresse in den Hinter¬ grund drängt, erwartet der Deutsche die ersten Lebensäußerungen des Abgeord¬ netenhauses, welches in einer bis jetzt une> hörten Lage des Staates zusammen¬ berufen wurde. Wer die glattflüssigen Perioden der Thronrede durchliesi. ohne Kenntniß von dem harten Kampf zwischen Ministerium und Volk zu haben, der wird schwerlich merken, daß der Staat, in dem sie gesprochen wurde, sich in der ge- fährlichsten Entwickclungskrankheit befindet. nachträgliche Genehmigung der Ausgaben für 1862 soll beantragt werden, die Staatshaushaltsctats von 1863 und 1864 sollen vorgelegt werden, das angenommene Deficit des vergangenen und des laufenden Jahres ist mit Mehreinnahmen verrechnet worden. Ein Gesetzentwurf zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes vom 3. September 1814 soll der neuen Militärorganisation gesetzliche Grundlage geben. Die Re¬ gierung ist überzeugt, daß auch die Bundesverträge von 1815 den veränderten Verhältnissen der Zeit nicht mehr entsprechen, und sie wird in der Lage sein, die Fortdauer dieser Verträge für unthunlich zu halten, wenn die deutschen Bun¬ desgenossen die Pflichten, welche diese Verträge ihnen auflegen, nicht gewissen¬ haft erfüllen wollten. Voraussichtlich wird die Landesvertretung dem Ministerium die Indemni¬ tät für die Ausgaben von 1862 nicht ertheilen, sie wird den Militäretat für 1863 und 1864 nicht bewilligen, sie wird die Novelle zum Dienstgesetz von 1814 nicht annehmen, sie wird endlich der Regierung grade heraussagen, daß es ein übles Symptom einer Hülflosen Stellung in Deutschland sei, wenn man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/124>, abgerufen am 27.11.2024.