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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in demselben Satz, in dem man das Unzulängliche der Verträge von 181K aus¬
spricht, nichts weiter in Aussicht zu stellen wisse, als ein Aufgeben dieser un¬
genügenden Verträge, im Fall deutsche Bundesgenossen dieselben Verträge eben¬
falls für ungenügend halten sollten.

Welche Bedeutung der gegenwärtige Landtag gewinnen und welchen Ein¬
fluß er auf die Stimmungen Deutschlands ausüben wird, hängt fast allein
von der Stellung ab, welche die Fractionen der liberalen Partei zu einander
einnehmen. Seit einem Jahre ist von verschiedenen Seiten, zumal von
der preußischen Partei außerhalb Preußens, gemahnt, gebeten, gedrängt
worden, daß Altliberale und Nationalpartei ihre alten Späne wegräumen und
sich erinnern sollen, wie nur einmüthiges und festes Zusammenhalten in der
Opposition gegen die bestehende Regierung ihren Staat und die Deutschen aus
der gegenwärtigen Katastrophe herausheben tann. Beide Parteien begreifen,
wie es scheint, die Nothwendigkeit des Zusammengehens, in Wirklichkeit bricht
immer wieder der Gegensatz hervor, jede sucht ihren Standpunkt zu wahren
und wirft den Gegnern vor, daß sie gemeinsames Handeln unmöglich machen.
Es läßt sich voraussagen, daß der Landtag, wenn diese stillen Antipathien
nicht völlig in den Hintergrund gedrückt werden, schädliche Wirkungen statt
segensreicher ausüben wird. Er wird den Gegnern eine innere Schwäche des
Liberalismus verrathen, die Reaction vorläufig befestigen, eine große Zahl der
Wähler tiefer in den Radikalismus hineintreiben.

Die altliberale Partei hat die meiste Veranlassung, den Fractionen der Natio¬
nalpartei mit Resignation und gutem Willen entgegen zu kommen ; denn sie ist die
Minderzahl. Und sie ist nicht ohne eigene Schuld und die Schuld ihrer Führer in
diese Lage gekommen. Aber gerade bei ihren Vertretern hat die letzte Nieder¬
lage und die Verminderung der Popularität eine innere Schärfe zurückgelassen,
welche sich nicht ungern gegen die Personen und Zwecke der Fortschrittspartei
richtet. Das ist natürlich und immer so gewesen. Der Gentleman dieser
Fraction empfindet mit Stolz, daß er seit dem Eintritt Preußens in die par¬
lamentarische Bewegung bis zum Eintritt in die neue Aera, unter den wider¬
wärtigsten Kämpfen die politische Sittlichkeit, gesunden Menschenverstand und
das Interesse des Staates gegen die linke und rechte Seite vertreten hat.
Sicher ist dies Selbstgefühl nicht ohne Berechtigung. In einer Zeit, in wel¬
cher die Demokratie als politische Partei noch eine chaotische Masse von tüch¬
tigen Männern und schlechtem Gesindel darstellte, wo auch die Führer den
schwersten Vorwurf auf sich luden, der eine Partei treffen kann, die Bundes-
genossenschaft mit unwürdigen Elementen, mit Feinden Deutschlands, mit den
Feinden der socialen Ordnung und bürgerlichen Gesellschaft, wenigstens nicht
energisch genug von der Hand gewiesen zu haben, erfüllten die Altliberalen
mit Selbstverläugnung eine Pflicht. Sie warfen zuerst das Gewicht ihres Ein-


in demselben Satz, in dem man das Unzulängliche der Verträge von 181K aus¬
spricht, nichts weiter in Aussicht zu stellen wisse, als ein Aufgeben dieser un¬
genügenden Verträge, im Fall deutsche Bundesgenossen dieselben Verträge eben¬
falls für ungenügend halten sollten.

Welche Bedeutung der gegenwärtige Landtag gewinnen und welchen Ein¬
fluß er auf die Stimmungen Deutschlands ausüben wird, hängt fast allein
von der Stellung ab, welche die Fractionen der liberalen Partei zu einander
einnehmen. Seit einem Jahre ist von verschiedenen Seiten, zumal von
der preußischen Partei außerhalb Preußens, gemahnt, gebeten, gedrängt
worden, daß Altliberale und Nationalpartei ihre alten Späne wegräumen und
sich erinnern sollen, wie nur einmüthiges und festes Zusammenhalten in der
Opposition gegen die bestehende Regierung ihren Staat und die Deutschen aus
der gegenwärtigen Katastrophe herausheben tann. Beide Parteien begreifen,
wie es scheint, die Nothwendigkeit des Zusammengehens, in Wirklichkeit bricht
immer wieder der Gegensatz hervor, jede sucht ihren Standpunkt zu wahren
und wirft den Gegnern vor, daß sie gemeinsames Handeln unmöglich machen.
Es läßt sich voraussagen, daß der Landtag, wenn diese stillen Antipathien
nicht völlig in den Hintergrund gedrückt werden, schädliche Wirkungen statt
segensreicher ausüben wird. Er wird den Gegnern eine innere Schwäche des
Liberalismus verrathen, die Reaction vorläufig befestigen, eine große Zahl der
Wähler tiefer in den Radikalismus hineintreiben.

Die altliberale Partei hat die meiste Veranlassung, den Fractionen der Natio¬
nalpartei mit Resignation und gutem Willen entgegen zu kommen ; denn sie ist die
Minderzahl. Und sie ist nicht ohne eigene Schuld und die Schuld ihrer Führer in
diese Lage gekommen. Aber gerade bei ihren Vertretern hat die letzte Nieder¬
lage und die Verminderung der Popularität eine innere Schärfe zurückgelassen,
welche sich nicht ungern gegen die Personen und Zwecke der Fortschrittspartei
richtet. Das ist natürlich und immer so gewesen. Der Gentleman dieser
Fraction empfindet mit Stolz, daß er seit dem Eintritt Preußens in die par¬
lamentarische Bewegung bis zum Eintritt in die neue Aera, unter den wider¬
wärtigsten Kämpfen die politische Sittlichkeit, gesunden Menschenverstand und
das Interesse des Staates gegen die linke und rechte Seite vertreten hat.
Sicher ist dies Selbstgefühl nicht ohne Berechtigung. In einer Zeit, in wel¬
cher die Demokratie als politische Partei noch eine chaotische Masse von tüch¬
tigen Männern und schlechtem Gesindel darstellte, wo auch die Führer den
schwersten Vorwurf auf sich luden, der eine Partei treffen kann, die Bundes-
genossenschaft mit unwürdigen Elementen, mit Feinden Deutschlands, mit den
Feinden der socialen Ordnung und bürgerlichen Gesellschaft, wenigstens nicht
energisch genug von der Hand gewiesen zu haben, erfüllten die Altliberalen
mit Selbstverläugnung eine Pflicht. Sie warfen zuerst das Gewicht ihres Ein-


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[0125] in demselben Satz, in dem man das Unzulängliche der Verträge von 181K aus¬ spricht, nichts weiter in Aussicht zu stellen wisse, als ein Aufgeben dieser un¬ genügenden Verträge, im Fall deutsche Bundesgenossen dieselben Verträge eben¬ falls für ungenügend halten sollten. Welche Bedeutung der gegenwärtige Landtag gewinnen und welchen Ein¬ fluß er auf die Stimmungen Deutschlands ausüben wird, hängt fast allein von der Stellung ab, welche die Fractionen der liberalen Partei zu einander einnehmen. Seit einem Jahre ist von verschiedenen Seiten, zumal von der preußischen Partei außerhalb Preußens, gemahnt, gebeten, gedrängt worden, daß Altliberale und Nationalpartei ihre alten Späne wegräumen und sich erinnern sollen, wie nur einmüthiges und festes Zusammenhalten in der Opposition gegen die bestehende Regierung ihren Staat und die Deutschen aus der gegenwärtigen Katastrophe herausheben tann. Beide Parteien begreifen, wie es scheint, die Nothwendigkeit des Zusammengehens, in Wirklichkeit bricht immer wieder der Gegensatz hervor, jede sucht ihren Standpunkt zu wahren und wirft den Gegnern vor, daß sie gemeinsames Handeln unmöglich machen. Es läßt sich voraussagen, daß der Landtag, wenn diese stillen Antipathien nicht völlig in den Hintergrund gedrückt werden, schädliche Wirkungen statt segensreicher ausüben wird. Er wird den Gegnern eine innere Schwäche des Liberalismus verrathen, die Reaction vorläufig befestigen, eine große Zahl der Wähler tiefer in den Radikalismus hineintreiben. Die altliberale Partei hat die meiste Veranlassung, den Fractionen der Natio¬ nalpartei mit Resignation und gutem Willen entgegen zu kommen ; denn sie ist die Minderzahl. Und sie ist nicht ohne eigene Schuld und die Schuld ihrer Führer in diese Lage gekommen. Aber gerade bei ihren Vertretern hat die letzte Nieder¬ lage und die Verminderung der Popularität eine innere Schärfe zurückgelassen, welche sich nicht ungern gegen die Personen und Zwecke der Fortschrittspartei richtet. Das ist natürlich und immer so gewesen. Der Gentleman dieser Fraction empfindet mit Stolz, daß er seit dem Eintritt Preußens in die par¬ lamentarische Bewegung bis zum Eintritt in die neue Aera, unter den wider¬ wärtigsten Kämpfen die politische Sittlichkeit, gesunden Menschenverstand und das Interesse des Staates gegen die linke und rechte Seite vertreten hat. Sicher ist dies Selbstgefühl nicht ohne Berechtigung. In einer Zeit, in wel¬ cher die Demokratie als politische Partei noch eine chaotische Masse von tüch¬ tigen Männern und schlechtem Gesindel darstellte, wo auch die Führer den schwersten Vorwurf auf sich luden, der eine Partei treffen kann, die Bundes- genossenschaft mit unwürdigen Elementen, mit Feinden Deutschlands, mit den Feinden der socialen Ordnung und bürgerlichen Gesellschaft, wenigstens nicht energisch genug von der Hand gewiesen zu haben, erfüllten die Altliberalen mit Selbstverläugnung eine Pflicht. Sie warfen zuerst das Gewicht ihres Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/125>, abgerufen am 27.07.2024.