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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Daher besaßen die wenigsten Artilleristen auch nur die oberflächlichste
Kenntniß vom Pferdewesen und konnten selten mehr als nothdürftig reiten, so
daß oft die in jeder andern Hinsicht ausgezeichnetsten Offiziere an der Spitze
ihrer Batterie eine höchst klägliche Figur spielten.

Es fehlte sogar die Gelegenheit, das in dieser Beziehung Mangelnde zu
erwerben, da die von dem Fuhrwesen beigestellten Bespannungen nur für die
Zeit des Exercirens bei der Artillerie verweilten. Selbst ein sonst ziemlich
guter Reiter mußte oft in Verlegenheit gerathen, wenn er auf einem Pferde,
welches er nie zuvor bestiegen hatte, vom Platze weg seine Batterie vor¬
führen sollte.

Der Commandant der Bespannung war für dieselbe verantwortlich und
verstand vom Artilleriewesen nichts, führte aber gleichwohl die Aussicht über
die Munitionsrvagen und war dem Artilleriecommandanten der Batterie
untergeordnet. Nicht selten traf es sich, daß ein alter Oberlieutenant des
Fuhrwesens sich den Anordnungen eines jungen Feuerwerkers, welcher wäh¬
rend der Abwesenheit seines Offiziers die Batterie befehligte, fügen mußte.
Durch solche Mißverhältnisse mußten natürlich zahllose Reibungen und Mi߬
verständnisse entstehen, welche auf das Wohl des Ganzen und auf das Zu¬
sammenwirken dieser beiden Truppengattungen nur nachtheilig einwirken
konnten.

Der größte Fehler des Systems aber war die unzureichende Ergänzung
der Artillerie in dem Falle eines Krieges. Waren die Männer, welche man
mit solcher Mühe und während einer so langen Reihe von Jahren endlich für
ihren Dienst gründlich ausgebildet hatte, durch Tod, Verwundung, Gefangen¬
schaft, Beförderung oder auf irgend eine andere Weite entfernt worden --
Was sehr leicht schon nach den ersten Monaten eines Feldzuges geschehen sein
konnte -- so konnten die entstandenen Lücken fast gar nicht oder doch nur mit
höchst unentsprechenden Kräften ausgefüllt werden. Begann der Kampf nur
etwas größere Dimensionen anzunehmen, so marschirte nach und nach fast das
ganze Bombardiercorps, so wie der größte Theil der übrigen Artillerieregi¬
menter vor den Feind, daher die Schulen sich von selbst auflösten und oft für
längere Zeit, mitunter sogar mehre Jahre hindurch, geschlossen blieben. Für die
erste Zeit genügte freilich das Bombardiercorps selbst den unerwartetsten und
übertriebensten Anforderungen; denn mehr als ein Drittel seiner Mitglieder
konnte ohne Bedenken in jedem Augenblicke zur Besetzung offener Offiziers¬
stellen verwendet werden. Bei den Regimentern gab es Corporale und Kano¬
niere in hinlänglicher Zahl, um das Bombardiercorps sogleich wieder zu er¬
gänzen. Dauerte es aber länger, so mußte auch diese reichhaltige Quelle endlich
versiegen, und man mußte bei der nachfolgenden Beförderung immer nachsich¬
tiger werden, bis man endlich Leute beförderte, deren Nichtbefähigung nur zu


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Daher besaßen die wenigsten Artilleristen auch nur die oberflächlichste
Kenntniß vom Pferdewesen und konnten selten mehr als nothdürftig reiten, so
daß oft die in jeder andern Hinsicht ausgezeichnetsten Offiziere an der Spitze
ihrer Batterie eine höchst klägliche Figur spielten.

Es fehlte sogar die Gelegenheit, das in dieser Beziehung Mangelnde zu
erwerben, da die von dem Fuhrwesen beigestellten Bespannungen nur für die
Zeit des Exercirens bei der Artillerie verweilten. Selbst ein sonst ziemlich
guter Reiter mußte oft in Verlegenheit gerathen, wenn er auf einem Pferde,
welches er nie zuvor bestiegen hatte, vom Platze weg seine Batterie vor¬
führen sollte.

Der Commandant der Bespannung war für dieselbe verantwortlich und
verstand vom Artilleriewesen nichts, führte aber gleichwohl die Aussicht über
die Munitionsrvagen und war dem Artilleriecommandanten der Batterie
untergeordnet. Nicht selten traf es sich, daß ein alter Oberlieutenant des
Fuhrwesens sich den Anordnungen eines jungen Feuerwerkers, welcher wäh¬
rend der Abwesenheit seines Offiziers die Batterie befehligte, fügen mußte.
Durch solche Mißverhältnisse mußten natürlich zahllose Reibungen und Mi߬
verständnisse entstehen, welche auf das Wohl des Ganzen und auf das Zu¬
sammenwirken dieser beiden Truppengattungen nur nachtheilig einwirken
konnten.

Der größte Fehler des Systems aber war die unzureichende Ergänzung
der Artillerie in dem Falle eines Krieges. Waren die Männer, welche man
mit solcher Mühe und während einer so langen Reihe von Jahren endlich für
ihren Dienst gründlich ausgebildet hatte, durch Tod, Verwundung, Gefangen¬
schaft, Beförderung oder auf irgend eine andere Weite entfernt worden —
Was sehr leicht schon nach den ersten Monaten eines Feldzuges geschehen sein
konnte — so konnten die entstandenen Lücken fast gar nicht oder doch nur mit
höchst unentsprechenden Kräften ausgefüllt werden. Begann der Kampf nur
etwas größere Dimensionen anzunehmen, so marschirte nach und nach fast das
ganze Bombardiercorps, so wie der größte Theil der übrigen Artillerieregi¬
menter vor den Feind, daher die Schulen sich von selbst auflösten und oft für
längere Zeit, mitunter sogar mehre Jahre hindurch, geschlossen blieben. Für die
erste Zeit genügte freilich das Bombardiercorps selbst den unerwartetsten und
übertriebensten Anforderungen; denn mehr als ein Drittel seiner Mitglieder
konnte ohne Bedenken in jedem Augenblicke zur Besetzung offener Offiziers¬
stellen verwendet werden. Bei den Regimentern gab es Corporale und Kano¬
niere in hinlänglicher Zahl, um das Bombardiercorps sogleich wieder zu er¬
gänzen. Dauerte es aber länger, so mußte auch diese reichhaltige Quelle endlich
versiegen, und man mußte bei der nachfolgenden Beförderung immer nachsich¬
tiger werden, bis man endlich Leute beförderte, deren Nichtbefähigung nur zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/123>, abgerufen am 27.07.2024.