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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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gierung derselben stehen wolle, er dies nicht hindern könne; wenn dann hin¬
zugefügt wird, daß der Landtag dies aber nicht als gesetzlich und constitu-
tionell anerkennen könne, so blickt durch die Rcchtsverwahrung eine Muth-
losigkeit der Resignation hindurch, von der sich sonst in der Adresse nicht eine
Spur findet. Ganz anders steht es in Betreff Siebenbürgens, indem Ungarn
dieses Land bereits als rechtlich vollständig unirt betrachtet und in der Loslösung
desselben eine Zerstückelung des ungarischen Reiches sieht. Daher sind die
neuesten auf Anerkennung der Februarverfassung gerichteten Beschlüsse des
siebenbürgischen Landtags von der größten Wichtigkeit, insofern sie das Ma-
gyarenthum vollständig zu isoliren scheinen. Indessen ist der Erfolg dieses
Beschlusses für die Verwirklichung der Gesammtstaatsidce doch minder be¬
deutend, als er scheint. Von der Jsolirung bis zur Unterwerfung Ungarns ist
noch ein weiter Weg; ja wir glauben annehmen zu dürfen, daß die Schmä¬
lerung der Integrität der zu der Krone des heiligen Stephan gehörigen Länder
nur dazu beitragen wird, die Sprödigkeit des magyarischen Separatismus zu
steigern. Man bedenke wohl! sobald die Jsolirung Ungarns vollendet ist, hat
die Negierung, sofern sie auf dem bisher eingenommenen Standpunkte beharrt,
kein Mittel, einen moralischen Einfluß auf Ungarn auszuüben. Es bleibt ihr
nur ausschließlich die Gewalt. Mit Hülfe der Gewalt wird sie Steuern ein¬
treiben, Rekruten ausheben, den härtesten materiellen Druck auf das Land aus¬
üben, jede Bewegung unterdrücken können. Wird sie aber auch die Ungarn
zwingen, ihre Sitze im wiener Reichsrathe einzunehmen? Die von den Ungarn,
wo es sich um die Vertheidigung ihrer Verfassung handelte, stets bewährte
Zähigkeit und Standhaftigkeit läßt diese Hoffnung als eitel erscheinen. So
lange aber die 83 Sitze der ungarischen Abgeordneten im Reichsrathe leer sind,
wie Berger sich ausdrückt, so lange ist auch das constitutionelle Gcsammtöstreich
ein Bruchstück, welches in steter Gefahr ist, wegen der Lückenhaftigkeit seines
Baues auseinanderzufallen. Dies ist ein Punkt, der von dem übrigens sehr
geschickten und mit politischem Tacte und diplomatischer Geschmeidigkeit begab¬
ten wiener Liberalismus viel zu wenig berücksichtigt wird.

Freilich wird, so lange der allgemeine Friede erhalten bleibt, die Existenz
Oestreichs durch die oppositionelle Stellung Ungarns nicht bedroht. Wie aber,
wenn eine äußere Bedrängniß Oestreichs die Ungarn in den Stand setzte, ihre
Ansprüche mit bewaffneter Hand geltend zu machen, und wenn dann eine Er¬
hebung Ungarns sich fortpflanzt nach Siebenbürgen, dem großen Bollwerk des
Reiches gegen Osten, in welchem Lande ohne Zweifel im Augenblick der drin¬
gendsten Gefahr die Magyaren, der thatkräftigste Stamm, gestützt auf ihre
nachbarlichen Stammesgenossen, sofort den Sieg über die Sachsen und Ru¬
mänen, die, auf die Unterstützung der Negierung angewiesen, an ein selbstän¬
diges und entschlossenes Handeln wenig gewöhnt sind, davontragen würden.


gierung derselben stehen wolle, er dies nicht hindern könne; wenn dann hin¬
zugefügt wird, daß der Landtag dies aber nicht als gesetzlich und constitu-
tionell anerkennen könne, so blickt durch die Rcchtsverwahrung eine Muth-
losigkeit der Resignation hindurch, von der sich sonst in der Adresse nicht eine
Spur findet. Ganz anders steht es in Betreff Siebenbürgens, indem Ungarn
dieses Land bereits als rechtlich vollständig unirt betrachtet und in der Loslösung
desselben eine Zerstückelung des ungarischen Reiches sieht. Daher sind die
neuesten auf Anerkennung der Februarverfassung gerichteten Beschlüsse des
siebenbürgischen Landtags von der größten Wichtigkeit, insofern sie das Ma-
gyarenthum vollständig zu isoliren scheinen. Indessen ist der Erfolg dieses
Beschlusses für die Verwirklichung der Gesammtstaatsidce doch minder be¬
deutend, als er scheint. Von der Jsolirung bis zur Unterwerfung Ungarns ist
noch ein weiter Weg; ja wir glauben annehmen zu dürfen, daß die Schmä¬
lerung der Integrität der zu der Krone des heiligen Stephan gehörigen Länder
nur dazu beitragen wird, die Sprödigkeit des magyarischen Separatismus zu
steigern. Man bedenke wohl! sobald die Jsolirung Ungarns vollendet ist, hat
die Negierung, sofern sie auf dem bisher eingenommenen Standpunkte beharrt,
kein Mittel, einen moralischen Einfluß auf Ungarn auszuüben. Es bleibt ihr
nur ausschließlich die Gewalt. Mit Hülfe der Gewalt wird sie Steuern ein¬
treiben, Rekruten ausheben, den härtesten materiellen Druck auf das Land aus¬
üben, jede Bewegung unterdrücken können. Wird sie aber auch die Ungarn
zwingen, ihre Sitze im wiener Reichsrathe einzunehmen? Die von den Ungarn,
wo es sich um die Vertheidigung ihrer Verfassung handelte, stets bewährte
Zähigkeit und Standhaftigkeit läßt diese Hoffnung als eitel erscheinen. So
lange aber die 83 Sitze der ungarischen Abgeordneten im Reichsrathe leer sind,
wie Berger sich ausdrückt, so lange ist auch das constitutionelle Gcsammtöstreich
ein Bruchstück, welches in steter Gefahr ist, wegen der Lückenhaftigkeit seines
Baues auseinanderzufallen. Dies ist ein Punkt, der von dem übrigens sehr
geschickten und mit politischem Tacte und diplomatischer Geschmeidigkeit begab¬
ten wiener Liberalismus viel zu wenig berücksichtigt wird.

Freilich wird, so lange der allgemeine Friede erhalten bleibt, die Existenz
Oestreichs durch die oppositionelle Stellung Ungarns nicht bedroht. Wie aber,
wenn eine äußere Bedrängniß Oestreichs die Ungarn in den Stand setzte, ihre
Ansprüche mit bewaffneter Hand geltend zu machen, und wenn dann eine Er¬
hebung Ungarns sich fortpflanzt nach Siebenbürgen, dem großen Bollwerk des
Reiches gegen Osten, in welchem Lande ohne Zweifel im Augenblick der drin¬
gendsten Gefahr die Magyaren, der thatkräftigste Stamm, gestützt auf ihre
nachbarlichen Stammesgenossen, sofort den Sieg über die Sachsen und Ru¬
mänen, die, auf die Unterstützung der Negierung angewiesen, an ein selbstän¬
diges und entschlossenes Handeln wenig gewöhnt sind, davontragen würden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/74>, abgerufen am 15.01.2025.