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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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sitzt. Es ist in ihm ein ganz anderer Stützpunkt des Widerstandes gegen die
centrifugalen Bestrebungen der der Neichscinhcit feindlichen Stämme gewonnen
worden, als ihn der verstärkte Reichsrath vom October zu bieten im Stande
sein würde. Allerdings war auch dieser bestimmt, ein Organ der Einheit des
Reiches zu werden; er sollte der bisher nur in der Staatsgewalt vorhandenen
Centralisation eine populäre Grundlage geben, und wäre auch unter günstigeren
Verhältnissen dazu vielleicht befähigt gewesen. Nachdem man aber einmal den
weiteren Fortschritt zu einer wirtlichen Volksvertretung gethan, würde ein Nück-
scbntt zu dem Octobcroiplom der erste Schritt zur völligen Auflösung des
Staates sein. Eine Bewegung zu einem überwundenen Standpunkt zurück
wird nie darauf rechnen können das vorgesetzte Ziel zu erreichen, sie wird schei¬
tern, ehe sie es erreicht hat. oder sie wird, bedingungslos der Gewalt der
rückwärtstreibenden Kräfte, auf die sie sich stützen muß, gehorchend, weit über
ihr Ziel hinausschreiten. Die Thatsache, daß die Neichseinhcit auf das con-
stitutionelle System gegründet ist, läßt sich nicht rückgängig machen, ohne die
Ncichscinbeit selbst zu gefährden und alle centrifugalen Kräfte zu entfesseln, die
diesen entgegenwirkenden aber zu binden und zu lahmen.

Eine Aufgabe des constitutionellen Systems würde also nicht zu einer Ver¬
söhnung Ungarns auf dem Boden des Gcsammtsiaates, sondern zu einer Auf¬
lösung des Gesammtstaates selbst, zu einer in ihren Folgen unberechenbaren
Erschütterung des ganzen Reiches führen. ES bleiben somit der Regierung
Ungarn gegenüber nur zwei Wege offen. Entweder sie fährt fort, die Nation
durch eine fortgesetzte Ignorirung ihrer Wünsche zu ermüden, durch Anwendung
von Gcwalnnaßrcgeln geschmeidig zu machen, und durch Begünstigung der
Ungarn feindlichen Bestrebungen zu schwächen. oder sie sucht sie dadurch zur Nach¬
giebigkeit in Bezug auf die Finanz- und Militärfrage zu gewinnen, daß sie
ihre Forderungen in Betreff der Integrität des Königreiches im vollsten Um¬
fange erfüllt. Der erstere Weg bat die Regierung bis jetzt ihrem Ziele noch
nicht um einen Schritt näher gebracht. Wohl ist es dein wiener Cabinet ge¬
lungen, durch geschickte Anwendung des (liviäe et impera, die ungarischen
Nedcnländer auf ihre Seite zu ziehen, und daß der magyarische Hochmuth ihr
in diesem Bestreben kräftig in die Hände gearbeitet hat. können wir nicht läugnen.
Vorzüglich handelt es sich hierbei um Siebenbürgen; denn in den rein slavischen
Nebenländern, besonders in Kroatien hat sich bereits 1848 die Abneigung gegen
Ungarn so schroff herausgestellt, daß in der zweiten Adresse des ungarischen
Landtags der kroatischen Seccssiouögelüstc in einer Weise erwähnt wird, die
ausfallend gegen die im Uebrigen in der Adresse herrschende Bestimmtheit der
Forderungen und Energie der Sprache absticht. Die Adresse erklärt, daß der
Landtag, wenn Kroatien sich definitiv von Ungarn losreißen, und in die Reihe
der östreichischen Provinzen eintretend uuter der Legislative und unter der Re-


Grenzboten IV. 1863. 9

sitzt. Es ist in ihm ein ganz anderer Stützpunkt des Widerstandes gegen die
centrifugalen Bestrebungen der der Neichscinhcit feindlichen Stämme gewonnen
worden, als ihn der verstärkte Reichsrath vom October zu bieten im Stande
sein würde. Allerdings war auch dieser bestimmt, ein Organ der Einheit des
Reiches zu werden; er sollte der bisher nur in der Staatsgewalt vorhandenen
Centralisation eine populäre Grundlage geben, und wäre auch unter günstigeren
Verhältnissen dazu vielleicht befähigt gewesen. Nachdem man aber einmal den
weiteren Fortschritt zu einer wirtlichen Volksvertretung gethan, würde ein Nück-
scbntt zu dem Octobcroiplom der erste Schritt zur völligen Auflösung des
Staates sein. Eine Bewegung zu einem überwundenen Standpunkt zurück
wird nie darauf rechnen können das vorgesetzte Ziel zu erreichen, sie wird schei¬
tern, ehe sie es erreicht hat. oder sie wird, bedingungslos der Gewalt der
rückwärtstreibenden Kräfte, auf die sie sich stützen muß, gehorchend, weit über
ihr Ziel hinausschreiten. Die Thatsache, daß die Neichseinhcit auf das con-
stitutionelle System gegründet ist, läßt sich nicht rückgängig machen, ohne die
Ncichscinbeit selbst zu gefährden und alle centrifugalen Kräfte zu entfesseln, die
diesen entgegenwirkenden aber zu binden und zu lahmen.

Eine Aufgabe des constitutionellen Systems würde also nicht zu einer Ver¬
söhnung Ungarns auf dem Boden des Gcsammtsiaates, sondern zu einer Auf¬
lösung des Gesammtstaates selbst, zu einer in ihren Folgen unberechenbaren
Erschütterung des ganzen Reiches führen. ES bleiben somit der Regierung
Ungarn gegenüber nur zwei Wege offen. Entweder sie fährt fort, die Nation
durch eine fortgesetzte Ignorirung ihrer Wünsche zu ermüden, durch Anwendung
von Gcwalnnaßrcgeln geschmeidig zu machen, und durch Begünstigung der
Ungarn feindlichen Bestrebungen zu schwächen. oder sie sucht sie dadurch zur Nach¬
giebigkeit in Bezug auf die Finanz- und Militärfrage zu gewinnen, daß sie
ihre Forderungen in Betreff der Integrität des Königreiches im vollsten Um¬
fange erfüllt. Der erstere Weg bat die Regierung bis jetzt ihrem Ziele noch
nicht um einen Schritt näher gebracht. Wohl ist es dein wiener Cabinet ge¬
lungen, durch geschickte Anwendung des (liviäe et impera, die ungarischen
Nedcnländer auf ihre Seite zu ziehen, und daß der magyarische Hochmuth ihr
in diesem Bestreben kräftig in die Hände gearbeitet hat. können wir nicht läugnen.
Vorzüglich handelt es sich hierbei um Siebenbürgen; denn in den rein slavischen
Nebenländern, besonders in Kroatien hat sich bereits 1848 die Abneigung gegen
Ungarn so schroff herausgestellt, daß in der zweiten Adresse des ungarischen
Landtags der kroatischen Seccssiouögelüstc in einer Weise erwähnt wird, die
ausfallend gegen die im Uebrigen in der Adresse herrschende Bestimmtheit der
Forderungen und Energie der Sprache absticht. Die Adresse erklärt, daß der
Landtag, wenn Kroatien sich definitiv von Ungarn losreißen, und in die Reihe
der östreichischen Provinzen eintretend uuter der Legislative und unter der Re-


Grenzboten IV. 1863. 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/73>, abgerufen am 15.01.2025.