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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Einwanderung von Gebildeten, welche 1849 stattfand, geweckt und gehoben,
täglich mehr an Ansehen und Einfluß unter den angloamerikanischen Nachbarn.

Im Staat Neuyork wohnen die Deutschen besonders stark in den südlichen
Grafschaften und in den großen Städten Neuyork. Albany und Buffalo. In
Pennsylvanien hat das Deutschtlium volle zwei Drittel der Bevölkerung ge¬
liefert und die südöstliche Hälfte des Staates dicht und mit Ausnahme der
Städte und Fabrikdistricte unvermischt besiedelt. In Ohio herrscht es melange
der ganzen Ostgrenze und weit hinab am Ohiostrom, am wenigsten gemischt
in der sogenannten Western Reserve. In Illinois und Jndiana hat es, ein
Viertel der ganzen Einwohnerzahl bildend, sich vorzüglich im Norden weit aus¬
gebreitet. Wisconsin ist in seiner Südhälfte überwiegend deutsch, Iowa in
den südöstlichen Grafschaften. Endlich haben auch Missouri, Kansas, Nebraska,
der Norden von Kentucky, der Westen von Virginien eine starke und die Städte
der südlichen Neuenglandstaatcn eine nicht unbedeutende deutsche Bevölkerung.

Die Hauptmasse der deutschen Bürger der Union also wohnt in den
Mittelstaaten und im Nordwesten. Wäre nicht ein großer Theil der ersten hier
eingewanderten Deutschen als Ungebildete dem Amcrikanisirungsproceß unter¬
legen, so würden jene Staaten jetzt unter ihren siebzehn Millionen Einwohnern
acht Millionen Deutschredende zählen, während es gegenwärtig deren hier nur
ungefähr fünf Millionen gibt.

Die erste Einwanderung von Deutschen fand in der Zeit von Deutsch¬
lands tiefster Erniedrigung statt und bestand fast nur aus Bauersleuten. Es
gab damals in Deutschland noch keine Vvlksschulbildung, keine Nationalliteratur,
keinen Patriotismus. Die Ankömmlinge, meist der Bedrohung ihres Glaubens
halber fortgezogen, waren mit ihrer Zähigkeit, ihrem Fleiß und ihrer Genüg¬
samkeit ein vortreffliches Material zum Colonisircn, aber an Bildung fehlte es
selbst ihren Pastoren. Das alte Vaterland sandte ihnen nur Ihresgleichen nach,
aber keine Helfer, um sie unter den culturfeindlichen Einflüssen der neuen Welt
zu befruchten. Die Ansiedler verloren beinahe allen Zusammenhang mit Deutsch¬
land; denn es gab keinen Handelsverkehr mit demselben, die Kunst des Brief¬
schreibens war für den Bauersmann noch nicht vorhanden, der Postenlauf
langsam und unsicher. So geschah es, daß diese älteste Einwanderung Deutscher
in Amerika fast ganz in materieller Arbeit aufging, und daß auch ihre Nach¬
kommenschaft in allgemein menschlicher Bildung hinter den Angloamerikanern
weit zurückblieb, der Herrschaft derselben verfiel und, wo sie Anspruch auf
höhere Civilisation machte, sie von jenen annahm. Nur die deutsche Sprache
bewahrten sie und die Sinnesart des deutschen Bauern. Als Farmer und Ge¬
schäftsleute sind diese "Pennsylvanier" alles, was man wünschen kann, als
Bürger haben sie keine Stimme, nur Stimmen.

In den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts kam dazu eine an-


Einwanderung von Gebildeten, welche 1849 stattfand, geweckt und gehoben,
täglich mehr an Ansehen und Einfluß unter den angloamerikanischen Nachbarn.

Im Staat Neuyork wohnen die Deutschen besonders stark in den südlichen
Grafschaften und in den großen Städten Neuyork. Albany und Buffalo. In
Pennsylvanien hat das Deutschtlium volle zwei Drittel der Bevölkerung ge¬
liefert und die südöstliche Hälfte des Staates dicht und mit Ausnahme der
Städte und Fabrikdistricte unvermischt besiedelt. In Ohio herrscht es melange
der ganzen Ostgrenze und weit hinab am Ohiostrom, am wenigsten gemischt
in der sogenannten Western Reserve. In Illinois und Jndiana hat es, ein
Viertel der ganzen Einwohnerzahl bildend, sich vorzüglich im Norden weit aus¬
gebreitet. Wisconsin ist in seiner Südhälfte überwiegend deutsch, Iowa in
den südöstlichen Grafschaften. Endlich haben auch Missouri, Kansas, Nebraska,
der Norden von Kentucky, der Westen von Virginien eine starke und die Städte
der südlichen Neuenglandstaatcn eine nicht unbedeutende deutsche Bevölkerung.

Die Hauptmasse der deutschen Bürger der Union also wohnt in den
Mittelstaaten und im Nordwesten. Wäre nicht ein großer Theil der ersten hier
eingewanderten Deutschen als Ungebildete dem Amcrikanisirungsproceß unter¬
legen, so würden jene Staaten jetzt unter ihren siebzehn Millionen Einwohnern
acht Millionen Deutschredende zählen, während es gegenwärtig deren hier nur
ungefähr fünf Millionen gibt.

Die erste Einwanderung von Deutschen fand in der Zeit von Deutsch¬
lands tiefster Erniedrigung statt und bestand fast nur aus Bauersleuten. Es
gab damals in Deutschland noch keine Vvlksschulbildung, keine Nationalliteratur,
keinen Patriotismus. Die Ankömmlinge, meist der Bedrohung ihres Glaubens
halber fortgezogen, waren mit ihrer Zähigkeit, ihrem Fleiß und ihrer Genüg¬
samkeit ein vortreffliches Material zum Colonisircn, aber an Bildung fehlte es
selbst ihren Pastoren. Das alte Vaterland sandte ihnen nur Ihresgleichen nach,
aber keine Helfer, um sie unter den culturfeindlichen Einflüssen der neuen Welt
zu befruchten. Die Ansiedler verloren beinahe allen Zusammenhang mit Deutsch¬
land; denn es gab keinen Handelsverkehr mit demselben, die Kunst des Brief¬
schreibens war für den Bauersmann noch nicht vorhanden, der Postenlauf
langsam und unsicher. So geschah es, daß diese älteste Einwanderung Deutscher
in Amerika fast ganz in materieller Arbeit aufging, und daß auch ihre Nach¬
kommenschaft in allgemein menschlicher Bildung hinter den Angloamerikanern
weit zurückblieb, der Herrschaft derselben verfiel und, wo sie Anspruch auf
höhere Civilisation machte, sie von jenen annahm. Nur die deutsche Sprache
bewahrten sie und die Sinnesart des deutschen Bauern. Als Farmer und Ge¬
schäftsleute sind diese „Pennsylvanier" alles, was man wünschen kann, als
Bürger haben sie keine Stimme, nur Stimmen.

In den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts kam dazu eine an-


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[0494] Einwanderung von Gebildeten, welche 1849 stattfand, geweckt und gehoben, täglich mehr an Ansehen und Einfluß unter den angloamerikanischen Nachbarn. Im Staat Neuyork wohnen die Deutschen besonders stark in den südlichen Grafschaften und in den großen Städten Neuyork. Albany und Buffalo. In Pennsylvanien hat das Deutschtlium volle zwei Drittel der Bevölkerung ge¬ liefert und die südöstliche Hälfte des Staates dicht und mit Ausnahme der Städte und Fabrikdistricte unvermischt besiedelt. In Ohio herrscht es melange der ganzen Ostgrenze und weit hinab am Ohiostrom, am wenigsten gemischt in der sogenannten Western Reserve. In Illinois und Jndiana hat es, ein Viertel der ganzen Einwohnerzahl bildend, sich vorzüglich im Norden weit aus¬ gebreitet. Wisconsin ist in seiner Südhälfte überwiegend deutsch, Iowa in den südöstlichen Grafschaften. Endlich haben auch Missouri, Kansas, Nebraska, der Norden von Kentucky, der Westen von Virginien eine starke und die Städte der südlichen Neuenglandstaatcn eine nicht unbedeutende deutsche Bevölkerung. Die Hauptmasse der deutschen Bürger der Union also wohnt in den Mittelstaaten und im Nordwesten. Wäre nicht ein großer Theil der ersten hier eingewanderten Deutschen als Ungebildete dem Amcrikanisirungsproceß unter¬ legen, so würden jene Staaten jetzt unter ihren siebzehn Millionen Einwohnern acht Millionen Deutschredende zählen, während es gegenwärtig deren hier nur ungefähr fünf Millionen gibt. Die erste Einwanderung von Deutschen fand in der Zeit von Deutsch¬ lands tiefster Erniedrigung statt und bestand fast nur aus Bauersleuten. Es gab damals in Deutschland noch keine Vvlksschulbildung, keine Nationalliteratur, keinen Patriotismus. Die Ankömmlinge, meist der Bedrohung ihres Glaubens halber fortgezogen, waren mit ihrer Zähigkeit, ihrem Fleiß und ihrer Genüg¬ samkeit ein vortreffliches Material zum Colonisircn, aber an Bildung fehlte es selbst ihren Pastoren. Das alte Vaterland sandte ihnen nur Ihresgleichen nach, aber keine Helfer, um sie unter den culturfeindlichen Einflüssen der neuen Welt zu befruchten. Die Ansiedler verloren beinahe allen Zusammenhang mit Deutsch¬ land; denn es gab keinen Handelsverkehr mit demselben, die Kunst des Brief¬ schreibens war für den Bauersmann noch nicht vorhanden, der Postenlauf langsam und unsicher. So geschah es, daß diese älteste Einwanderung Deutscher in Amerika fast ganz in materieller Arbeit aufging, und daß auch ihre Nach¬ kommenschaft in allgemein menschlicher Bildung hinter den Angloamerikanern weit zurückblieb, der Herrschaft derselben verfiel und, wo sie Anspruch auf höhere Civilisation machte, sie von jenen annahm. Nur die deutsche Sprache bewahrten sie und die Sinnesart des deutschen Bauern. Als Farmer und Ge¬ schäftsleute sind diese „Pennsylvanier" alles, was man wünschen kann, als Bürger haben sie keine Stimme, nur Stimmen. In den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts kam dazu eine an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/494>, abgerufen am 15.01.2025.