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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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deutschen Parteien glücklich ein Kompromiß zu Stande gebracht hatten. Während
aber oben im Saale die Versöhnung vor sich ging, vertheilten unten auf dem
Markte unberufne und unvorsichtige Hände Carricaturen des kleinen Recictionärs,
und dieselben Herren, welche für den Kladderadatsch schwärmen und seine Witze
colportiren, nahmen das schwer übel und lösten die Vereinigung "natürlich" auf;
denn Junker Alexander steht auch hier im Dienste beider Parteien.

Das Interesse für den Aufruhr scheint hier und da zu ermatten, wie es
ja auch mehr künstlich in unsere Provinz hineingetragen und durch allerlei
Mittelchen groß gezogen, als in ihr natürlich erwachsen war. Neulich sahen
wir einen Trauergottesdienst in Buin; es waren nur etwa sechs Wagen mit
fremden Andächtigen erschienen, die Städter waren ganz weggeblieben, und nur
noch etliche Schulmeister erhöhten durch ihre Gegenwart die freilich nicht seltne
Feierlichkeit. Trotzdem sind die Agitatoren noch nicht müde, und der kleine
Krieg dauert bei uns fort. Noch immer werden Zuzüge, namentlich aber Zusen¬
dungen für die Aufständischen versucht, abgefaßt, verhindert, dann wieder einmal
glücklich ins Werk gesetzt. Ebenso finden noch immer Haussuchungen, Verhaftungen,
Fluchtversuche statt. Von letzteren ist der interessanteste der des Herrn Grafen
von Szoldrski aus Brodowo. Als dieser an Händen und Füßen gelähmte
Mann im vergangenen Sommer verhaftet und nach Berlin gebracht wurde,
erhoben die polnischen und pvlensreundlichen Blätter Klage über solche unnöthige
Barbarei, und selbst der Zuschauer der Kreuzzeitung sah in der Verhaftung eine
allzugroße Vorsicht. Nun ist der Herr Graf aber doch davon gegangen. Ebenso
gab die Verhaftung des Herrn von Weclewski aus dem kostener Kreise viel
zu reden. Es war dem Betreffenden gelungen, sich längere Zeit mitten in der
Provinz verborgen zu halten. Seine Verwandten im Kreise Schroda hatten
ihm Aufnahme gewährt; bei ihnen überrascht wurde er nach Kosten, von da
nach Berlin gebracht und hatte sich auf dem Transport einer Rücksicht zu
erfreuen, die selbst polnischen Blättern ein anerkennendes Wort abgewinnen
mußte, und die in deutschen Landen politischen Verbrechern noch keineswegs zu
Theil wird. Die letzte Aussehen erregende Haussuchung geschah bei dem Stadt¬
rath An in Posen, dessen Sohn schon früher beim polnischen Aufstande sich
activ betheiligt hat und nun auch festgenommen worden ist. Herr An galt
bisher in Posen für einen deutschen Mann, er hat die posener Zeitung ver¬
anlaßt, zu berichtigen, daß er Pole sei.

Dieser eine Zug mag schon beweisen, daß sich die Folgen der Agitation
in einer wachsenden Erregtheit der Gemüther zeigen. In der That schlägt die
gegenseitige Erbitterung bei uns hohe Wogen, und wie die Alten sungen, so
zwitscherten die Jungen. Ich habe 1848 in dem Hause eines Demokraten
verkehrt, wo die noch lallender Kinder kein schlimmeres Schimpfwort kannten,
M "du Constitutioneller". Ich fand mich lebhaft daran erinnert, als ich von


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deutschen Parteien glücklich ein Kompromiß zu Stande gebracht hatten. Während
aber oben im Saale die Versöhnung vor sich ging, vertheilten unten auf dem
Markte unberufne und unvorsichtige Hände Carricaturen des kleinen Recictionärs,
und dieselben Herren, welche für den Kladderadatsch schwärmen und seine Witze
colportiren, nahmen das schwer übel und lösten die Vereinigung „natürlich" auf;
denn Junker Alexander steht auch hier im Dienste beider Parteien.

Das Interesse für den Aufruhr scheint hier und da zu ermatten, wie es
ja auch mehr künstlich in unsere Provinz hineingetragen und durch allerlei
Mittelchen groß gezogen, als in ihr natürlich erwachsen war. Neulich sahen
wir einen Trauergottesdienst in Buin; es waren nur etwa sechs Wagen mit
fremden Andächtigen erschienen, die Städter waren ganz weggeblieben, und nur
noch etliche Schulmeister erhöhten durch ihre Gegenwart die freilich nicht seltne
Feierlichkeit. Trotzdem sind die Agitatoren noch nicht müde, und der kleine
Krieg dauert bei uns fort. Noch immer werden Zuzüge, namentlich aber Zusen¬
dungen für die Aufständischen versucht, abgefaßt, verhindert, dann wieder einmal
glücklich ins Werk gesetzt. Ebenso finden noch immer Haussuchungen, Verhaftungen,
Fluchtversuche statt. Von letzteren ist der interessanteste der des Herrn Grafen
von Szoldrski aus Brodowo. Als dieser an Händen und Füßen gelähmte
Mann im vergangenen Sommer verhaftet und nach Berlin gebracht wurde,
erhoben die polnischen und pvlensreundlichen Blätter Klage über solche unnöthige
Barbarei, und selbst der Zuschauer der Kreuzzeitung sah in der Verhaftung eine
allzugroße Vorsicht. Nun ist der Herr Graf aber doch davon gegangen. Ebenso
gab die Verhaftung des Herrn von Weclewski aus dem kostener Kreise viel
zu reden. Es war dem Betreffenden gelungen, sich längere Zeit mitten in der
Provinz verborgen zu halten. Seine Verwandten im Kreise Schroda hatten
ihm Aufnahme gewährt; bei ihnen überrascht wurde er nach Kosten, von da
nach Berlin gebracht und hatte sich auf dem Transport einer Rücksicht zu
erfreuen, die selbst polnischen Blättern ein anerkennendes Wort abgewinnen
mußte, und die in deutschen Landen politischen Verbrechern noch keineswegs zu
Theil wird. Die letzte Aussehen erregende Haussuchung geschah bei dem Stadt¬
rath An in Posen, dessen Sohn schon früher beim polnischen Aufstande sich
activ betheiligt hat und nun auch festgenommen worden ist. Herr An galt
bisher in Posen für einen deutschen Mann, er hat die posener Zeitung ver¬
anlaßt, zu berichtigen, daß er Pole sei.

Dieser eine Zug mag schon beweisen, daß sich die Folgen der Agitation
in einer wachsenden Erregtheit der Gemüther zeigen. In der That schlägt die
gegenseitige Erbitterung bei uns hohe Wogen, und wie die Alten sungen, so
zwitscherten die Jungen. Ich habe 1848 in dem Hause eines Demokraten
verkehrt, wo die noch lallender Kinder kein schlimmeres Schimpfwort kannten,
M „du Constitutioneller". Ich fand mich lebhaft daran erinnert, als ich von


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[0459] deutschen Parteien glücklich ein Kompromiß zu Stande gebracht hatten. Während aber oben im Saale die Versöhnung vor sich ging, vertheilten unten auf dem Markte unberufne und unvorsichtige Hände Carricaturen des kleinen Recictionärs, und dieselben Herren, welche für den Kladderadatsch schwärmen und seine Witze colportiren, nahmen das schwer übel und lösten die Vereinigung „natürlich" auf; denn Junker Alexander steht auch hier im Dienste beider Parteien. Das Interesse für den Aufruhr scheint hier und da zu ermatten, wie es ja auch mehr künstlich in unsere Provinz hineingetragen und durch allerlei Mittelchen groß gezogen, als in ihr natürlich erwachsen war. Neulich sahen wir einen Trauergottesdienst in Buin; es waren nur etwa sechs Wagen mit fremden Andächtigen erschienen, die Städter waren ganz weggeblieben, und nur noch etliche Schulmeister erhöhten durch ihre Gegenwart die freilich nicht seltne Feierlichkeit. Trotzdem sind die Agitatoren noch nicht müde, und der kleine Krieg dauert bei uns fort. Noch immer werden Zuzüge, namentlich aber Zusen¬ dungen für die Aufständischen versucht, abgefaßt, verhindert, dann wieder einmal glücklich ins Werk gesetzt. Ebenso finden noch immer Haussuchungen, Verhaftungen, Fluchtversuche statt. Von letzteren ist der interessanteste der des Herrn Grafen von Szoldrski aus Brodowo. Als dieser an Händen und Füßen gelähmte Mann im vergangenen Sommer verhaftet und nach Berlin gebracht wurde, erhoben die polnischen und pvlensreundlichen Blätter Klage über solche unnöthige Barbarei, und selbst der Zuschauer der Kreuzzeitung sah in der Verhaftung eine allzugroße Vorsicht. Nun ist der Herr Graf aber doch davon gegangen. Ebenso gab die Verhaftung des Herrn von Weclewski aus dem kostener Kreise viel zu reden. Es war dem Betreffenden gelungen, sich längere Zeit mitten in der Provinz verborgen zu halten. Seine Verwandten im Kreise Schroda hatten ihm Aufnahme gewährt; bei ihnen überrascht wurde er nach Kosten, von da nach Berlin gebracht und hatte sich auf dem Transport einer Rücksicht zu erfreuen, die selbst polnischen Blättern ein anerkennendes Wort abgewinnen mußte, und die in deutschen Landen politischen Verbrechern noch keineswegs zu Theil wird. Die letzte Aussehen erregende Haussuchung geschah bei dem Stadt¬ rath An in Posen, dessen Sohn schon früher beim polnischen Aufstande sich activ betheiligt hat und nun auch festgenommen worden ist. Herr An galt bisher in Posen für einen deutschen Mann, er hat die posener Zeitung ver¬ anlaßt, zu berichtigen, daß er Pole sei. Dieser eine Zug mag schon beweisen, daß sich die Folgen der Agitation in einer wachsenden Erregtheit der Gemüther zeigen. In der That schlägt die gegenseitige Erbitterung bei uns hohe Wogen, und wie die Alten sungen, so zwitscherten die Jungen. Ich habe 1848 in dem Hause eines Demokraten verkehrt, wo die noch lallender Kinder kein schlimmeres Schimpfwort kannten, M „du Constitutioneller". Ich fand mich lebhaft daran erinnert, als ich von 57"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/459>, abgerufen am 15.01.2025.