Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschland wohnten, die auch nur entfernt etwas wußten von den Grund¬
sätzen der Naturlehre und ihrer Wichtigkeit für die Landwirthschaft, während sie
jetzt jedem Ackerbauschüler vorgetragen werden.

Wer ist größer Thaer oder Liebig? Schiller oder Goethe? "Wie man nur
so mäkeln mag"____

Die Landwirthschaft konnte Keinen von Beiden entbehren. Aber so lange
noch ein Chemiker wie Grouven zeigen kann, daß Düngungsresultate mit mo¬
dernem Dünger blos einen localen und keinen für das Allgemeine giltigen
Werth haben, also keine Regel gründen können zur Zeit; daß Versuche mit
Kunstdünger nur "ein großes complicirtes Räthsel" sind; daß dasselbe Mittel
auf 12 verschiedenen Feldern 12 verschiedene, durch die heutige Erkenntniß nicht
vorher bestimmbare Resultate wirkt: so lange bleiben wir, um mit Liebig zu
reden, "in einem beständigen Zustand der Mauserung". Damit wir durch das viele
Probiren als Geschäftsleute nicht bankerott werden, halten wir vorerst noch
fest an der Erfahrung, und damit uns die Federn nicht eher ausfallen, als die
Mauserung neue hervorgetrieben hat, suchen wir die alten so lange zu halten,
als es irgend geht, und die neuen nicht flott zu machen, bevor sie erstarkt sind.
An den Lehren der Erfahrung halten wir fest, nicht an denen einer verschwun¬
denen Zeit, sondern an den neuesten Errungenschaften der Praxis, die wir
gern zum guten Theil Herrn von Liebig (direct oder indirect) danken wollen.
Und während Chemiker von Fach fort und fort Liebigs Doctrin angreifen,
haben viele Landwirthe factisch Theile derselben ausgeführt und vertheidigen
sie. So hat in Halle auf der Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins
der Provinz Sachsen im Mai d. I. Herr Amtsrath Rimpau (Schlcmstedt)
Liebig aus der Kritik Grouvens zu retten versucht. So gibt jeder Landwirth
zu, daß der Ackerboden (z. B. per Cubikfuß) eine begrenzte Menge für die
Pflanze nothwendiger Nahrungsstoffe enthält, wovon eine bekannte Summe
durch die Ernte entzogen wird, welche ersetzt werden muß, wenn der Boden
fruchtbar bleiben soll. Wir sind weiter überzeugt, daß, wenn wir auch nur ein
sehr geringes Maß dieser mineralischen Pflanzennahrung nicht ersetzen, jeden¬
falls einmal (ob nach Jahrzehnten oder Jahrtausenden hängt von dem Quan¬
tum des Vorraths und des Entzogenen ab) ein oder mehre Stoffe für den
Bau des Pflanzcnleibes fehlen werden. Deshalb suchen wir eher mehr als
weniger dieses Nahrungsmittel im Dünger dem Boden wieder zuzuführen.
Wirthschaften, die wir heute als rationell betrieben erkennen, verkaufen zwar
Raps, holen sich aber die Oelkuchen wieder, führen Getreide aus und kaufen
Kleie; Spiritus wird fortgefahren, die Schlempe bleibt, und Kartoffeln wer-
den oft zugekauft; Zucker geht weg. aber die Melasse wird zu Spiritus ver¬
arbeitet, und die Schlempe, welche die Salze des Bodens enthält, wird verfüttert.
Dazu kaufen wir noch Knochenmehl und Guano.


S4*

Deutschland wohnten, die auch nur entfernt etwas wußten von den Grund¬
sätzen der Naturlehre und ihrer Wichtigkeit für die Landwirthschaft, während sie
jetzt jedem Ackerbauschüler vorgetragen werden.

Wer ist größer Thaer oder Liebig? Schiller oder Goethe? „Wie man nur
so mäkeln mag"____

Die Landwirthschaft konnte Keinen von Beiden entbehren. Aber so lange
noch ein Chemiker wie Grouven zeigen kann, daß Düngungsresultate mit mo¬
dernem Dünger blos einen localen und keinen für das Allgemeine giltigen
Werth haben, also keine Regel gründen können zur Zeit; daß Versuche mit
Kunstdünger nur „ein großes complicirtes Räthsel" sind; daß dasselbe Mittel
auf 12 verschiedenen Feldern 12 verschiedene, durch die heutige Erkenntniß nicht
vorher bestimmbare Resultate wirkt: so lange bleiben wir, um mit Liebig zu
reden, „in einem beständigen Zustand der Mauserung". Damit wir durch das viele
Probiren als Geschäftsleute nicht bankerott werden, halten wir vorerst noch
fest an der Erfahrung, und damit uns die Federn nicht eher ausfallen, als die
Mauserung neue hervorgetrieben hat, suchen wir die alten so lange zu halten,
als es irgend geht, und die neuen nicht flott zu machen, bevor sie erstarkt sind.
An den Lehren der Erfahrung halten wir fest, nicht an denen einer verschwun¬
denen Zeit, sondern an den neuesten Errungenschaften der Praxis, die wir
gern zum guten Theil Herrn von Liebig (direct oder indirect) danken wollen.
Und während Chemiker von Fach fort und fort Liebigs Doctrin angreifen,
haben viele Landwirthe factisch Theile derselben ausgeführt und vertheidigen
sie. So hat in Halle auf der Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins
der Provinz Sachsen im Mai d. I. Herr Amtsrath Rimpau (Schlcmstedt)
Liebig aus der Kritik Grouvens zu retten versucht. So gibt jeder Landwirth
zu, daß der Ackerboden (z. B. per Cubikfuß) eine begrenzte Menge für die
Pflanze nothwendiger Nahrungsstoffe enthält, wovon eine bekannte Summe
durch die Ernte entzogen wird, welche ersetzt werden muß, wenn der Boden
fruchtbar bleiben soll. Wir sind weiter überzeugt, daß, wenn wir auch nur ein
sehr geringes Maß dieser mineralischen Pflanzennahrung nicht ersetzen, jeden¬
falls einmal (ob nach Jahrzehnten oder Jahrtausenden hängt von dem Quan¬
tum des Vorraths und des Entzogenen ab) ein oder mehre Stoffe für den
Bau des Pflanzcnleibes fehlen werden. Deshalb suchen wir eher mehr als
weniger dieses Nahrungsmittel im Dünger dem Boden wieder zuzuführen.
Wirthschaften, die wir heute als rationell betrieben erkennen, verkaufen zwar
Raps, holen sich aber die Oelkuchen wieder, führen Getreide aus und kaufen
Kleie; Spiritus wird fortgefahren, die Schlempe bleibt, und Kartoffeln wer-
den oft zugekauft; Zucker geht weg. aber die Melasse wird zu Spiritus ver¬
arbeitet, und die Schlempe, welche die Salze des Bodens enthält, wird verfüttert.
Dazu kaufen wir noch Knochenmehl und Guano.


S4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116363"/>
          <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433"> Deutschland wohnten, die auch nur entfernt etwas wußten von den Grund¬<lb/>
sätzen der Naturlehre und ihrer Wichtigkeit für die Landwirthschaft, während sie<lb/>
jetzt jedem Ackerbauschüler vorgetragen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1435"> Wer ist größer Thaer oder Liebig? Schiller oder Goethe? &#x201E;Wie man nur<lb/>
so mäkeln mag"____</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1436"> Die Landwirthschaft konnte Keinen von Beiden entbehren. Aber so lange<lb/>
noch ein Chemiker wie Grouven zeigen kann, daß Düngungsresultate mit mo¬<lb/>
dernem Dünger blos einen localen und keinen für das Allgemeine giltigen<lb/>
Werth haben, also keine Regel gründen können zur Zeit; daß Versuche mit<lb/>
Kunstdünger nur &#x201E;ein großes complicirtes Räthsel" sind; daß dasselbe Mittel<lb/>
auf 12 verschiedenen Feldern 12 verschiedene, durch die heutige Erkenntniß nicht<lb/>
vorher bestimmbare Resultate wirkt: so lange bleiben wir, um mit Liebig zu<lb/>
reden, &#x201E;in einem beständigen Zustand der Mauserung". Damit wir durch das viele<lb/>
Probiren als Geschäftsleute nicht bankerott werden, halten wir vorerst noch<lb/>
fest an der Erfahrung, und damit uns die Federn nicht eher ausfallen, als die<lb/>
Mauserung neue hervorgetrieben hat, suchen wir die alten so lange zu halten,<lb/>
als es irgend geht, und die neuen nicht flott zu machen, bevor sie erstarkt sind.<lb/>
An den Lehren der Erfahrung halten wir fest, nicht an denen einer verschwun¬<lb/>
denen Zeit, sondern an den neuesten Errungenschaften der Praxis, die wir<lb/>
gern zum guten Theil Herrn von Liebig (direct oder indirect) danken wollen.<lb/>
Und während Chemiker von Fach fort und fort Liebigs Doctrin angreifen,<lb/>
haben viele Landwirthe factisch Theile derselben ausgeführt und vertheidigen<lb/>
sie. So hat in Halle auf der Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins<lb/>
der Provinz Sachsen im Mai d. I. Herr Amtsrath Rimpau (Schlcmstedt)<lb/>
Liebig aus der Kritik Grouvens zu retten versucht. So gibt jeder Landwirth<lb/>
zu, daß der Ackerboden (z. B. per Cubikfuß) eine begrenzte Menge für die<lb/>
Pflanze nothwendiger Nahrungsstoffe enthält, wovon eine bekannte Summe<lb/>
durch die Ernte entzogen wird, welche ersetzt werden muß, wenn der Boden<lb/>
fruchtbar bleiben soll. Wir sind weiter überzeugt, daß, wenn wir auch nur ein<lb/>
sehr geringes Maß dieser mineralischen Pflanzennahrung nicht ersetzen, jeden¬<lb/>
falls einmal (ob nach Jahrzehnten oder Jahrtausenden hängt von dem Quan¬<lb/>
tum des Vorraths und des Entzogenen ab) ein oder mehre Stoffe für den<lb/>
Bau des Pflanzcnleibes fehlen werden. Deshalb suchen wir eher mehr als<lb/>
weniger dieses Nahrungsmittel im Dünger dem Boden wieder zuzuführen.<lb/>
Wirthschaften, die wir heute als rationell betrieben erkennen, verkaufen zwar<lb/>
Raps, holen sich aber die Oelkuchen wieder, führen Getreide aus und kaufen<lb/>
Kleie; Spiritus wird fortgefahren, die Schlempe bleibt, und Kartoffeln wer-<lb/>
den oft zugekauft; Zucker geht weg. aber die Melasse wird zu Spiritus ver¬<lb/>
arbeitet, und die Schlempe, welche die Salze des Bodens enthält, wird verfüttert.<lb/>
Dazu kaufen wir noch Knochenmehl und Guano.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> S4*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Deutschland wohnten, die auch nur entfernt etwas wußten von den Grund¬ sätzen der Naturlehre und ihrer Wichtigkeit für die Landwirthschaft, während sie jetzt jedem Ackerbauschüler vorgetragen werden. Wer ist größer Thaer oder Liebig? Schiller oder Goethe? „Wie man nur so mäkeln mag"____ Die Landwirthschaft konnte Keinen von Beiden entbehren. Aber so lange noch ein Chemiker wie Grouven zeigen kann, daß Düngungsresultate mit mo¬ dernem Dünger blos einen localen und keinen für das Allgemeine giltigen Werth haben, also keine Regel gründen können zur Zeit; daß Versuche mit Kunstdünger nur „ein großes complicirtes Räthsel" sind; daß dasselbe Mittel auf 12 verschiedenen Feldern 12 verschiedene, durch die heutige Erkenntniß nicht vorher bestimmbare Resultate wirkt: so lange bleiben wir, um mit Liebig zu reden, „in einem beständigen Zustand der Mauserung". Damit wir durch das viele Probiren als Geschäftsleute nicht bankerott werden, halten wir vorerst noch fest an der Erfahrung, und damit uns die Federn nicht eher ausfallen, als die Mauserung neue hervorgetrieben hat, suchen wir die alten so lange zu halten, als es irgend geht, und die neuen nicht flott zu machen, bevor sie erstarkt sind. An den Lehren der Erfahrung halten wir fest, nicht an denen einer verschwun¬ denen Zeit, sondern an den neuesten Errungenschaften der Praxis, die wir gern zum guten Theil Herrn von Liebig (direct oder indirect) danken wollen. Und während Chemiker von Fach fort und fort Liebigs Doctrin angreifen, haben viele Landwirthe factisch Theile derselben ausgeführt und vertheidigen sie. So hat in Halle auf der Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins der Provinz Sachsen im Mai d. I. Herr Amtsrath Rimpau (Schlcmstedt) Liebig aus der Kritik Grouvens zu retten versucht. So gibt jeder Landwirth zu, daß der Ackerboden (z. B. per Cubikfuß) eine begrenzte Menge für die Pflanze nothwendiger Nahrungsstoffe enthält, wovon eine bekannte Summe durch die Ernte entzogen wird, welche ersetzt werden muß, wenn der Boden fruchtbar bleiben soll. Wir sind weiter überzeugt, daß, wenn wir auch nur ein sehr geringes Maß dieser mineralischen Pflanzennahrung nicht ersetzen, jeden¬ falls einmal (ob nach Jahrzehnten oder Jahrtausenden hängt von dem Quan¬ tum des Vorraths und des Entzogenen ab) ein oder mehre Stoffe für den Bau des Pflanzcnleibes fehlen werden. Deshalb suchen wir eher mehr als weniger dieses Nahrungsmittel im Dünger dem Boden wieder zuzuführen. Wirthschaften, die wir heute als rationell betrieben erkennen, verkaufen zwar Raps, holen sich aber die Oelkuchen wieder, führen Getreide aus und kaufen Kleie; Spiritus wird fortgefahren, die Schlempe bleibt, und Kartoffeln wer- den oft zugekauft; Zucker geht weg. aber die Melasse wird zu Spiritus ver¬ arbeitet, und die Schlempe, welche die Salze des Bodens enthält, wird verfüttert. Dazu kaufen wir noch Knochenmehl und Guano. S4*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/435>, abgerufen am 15.01.2025.