Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deren Pflug den Acker zu ewiger und unaufhörlicher Fruchtbarkeit Mingen
wollte. Liebig wollte dies durch jährliche Anwendung eines Patentdüngcrs,
3 Centner für 10'/-- Thaler, und selbst die verschiedenen Feuchtigkeitszustände
der Luft während des Wachsthums der Pflanzen oder die verschiedene Oertlich-
keit sollten da eine Ausnahme nicht zulassen. Nebenbei ward jeder, der nicht
zustimmte, den Patentdünger kaufte, das Vieh verbannte, das Stroh ver¬
brannte, für einen Unwissenden erklärt.

Liebigs Inconsequenz ist freilich ein verzeihlicher Fehler. Sie wird ent¬
schuldigt durch den Umstand, daß die Chemie verzweifelt rasche Fortschritte
macht und die Chemiker, welche nachkommen wollen, in einem beständigen Zu¬
stand der Mauserung find: die alten Federn fallen, und man fliegt hernach um
so besser, aber die Meinung, daß das, was man heute als Resultat der Wissen¬
schaft zu bieten fähig ist, nie als überwundener Standpunkt dastehen werde,
wirkt schlimmer und ist ein Schaden, den Liebig in Beziehung auf die Anerken¬
nung seiner Lehre "leider sich selbst" zufügt. Das Schlimmere ist, daß Liebig
den Landwirthen Vorwürfe macht, die an ganz andere Adressen zu richten
wären, und ihnen Aufgaben gibt, welche sie für sich nicht zu erfüllen im Stande
sind. Auch das endlich ist nicht in der Ordnung, daß er seine Schriften nicht
durch einen praktischen Landmann reinigen läßt von Aussprüchen, die in den
Augen des Praktikers ganz unfehlbar darthun, wie man ein großer Chemiker
sein kann, ohne besonders viel vom Ackerbau zu verstehn. So, wenn man
Seite 13 der "Naturgesetze des Feldbaus", wo von der Pflanze und ihrer Bewurze-
lung die Rede ist, folgender Weisheit begegnet: "Für die Wurzel (der Ge¬
wächse) vermag er (der Landwirth) allein Sorge zu tragen, auf das, was sich
daraus entwickelt, kann er keinen Einfluß mehr ausüben"*). Ich wollte Herr
von Liebig sähe, ein Mal das Tagelöhnerregister eines Gutes an. Oder wollte
er am Ende sagen, daß unsere Arbeiten, die nicht lediglich für die Wurzel
sorgen, weggeworfenes Geld bedeuten?

Ferner sollte Liebig heute, im Jahr 1863 wissen, daß wir Landwirthe uns
doch gar viel von seiner Lehre ausgesucht, zurecht gemacht und angenommen
haben, freilich nicht speculativ, nicht dogmatisch, sondern rein empirisch; nicht
von manchem Gewissen auf vieles noch Zweifelhafte greifend, sondern ruhig
auf dem Wege des Probirens und der Erfahrung vorwärts gehend.

Liebig ist als der hochverdiente Begründer einer neuen Wissenschaft anzu-
sehn, die man Agriculturchemie nennt, die man aber richtiger Agriculturphysio-
iogie getauft hätte. Denn die Chemie hat nur einen Theil bei ihrem Aufbau
zu leisten, und alle Naturwissenschaften müssen ihr helfen. Aber das wird
man alle Zeit anerkennen müssen, daß vor Liebig keine tausend Oekonomen in



^) Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie von Justus v, Lie-
g, 2 Bde. Siebente Auflage. 18V2.

deren Pflug den Acker zu ewiger und unaufhörlicher Fruchtbarkeit Mingen
wollte. Liebig wollte dies durch jährliche Anwendung eines Patentdüngcrs,
3 Centner für 10'/-- Thaler, und selbst die verschiedenen Feuchtigkeitszustände
der Luft während des Wachsthums der Pflanzen oder die verschiedene Oertlich-
keit sollten da eine Ausnahme nicht zulassen. Nebenbei ward jeder, der nicht
zustimmte, den Patentdünger kaufte, das Vieh verbannte, das Stroh ver¬
brannte, für einen Unwissenden erklärt.

Liebigs Inconsequenz ist freilich ein verzeihlicher Fehler. Sie wird ent¬
schuldigt durch den Umstand, daß die Chemie verzweifelt rasche Fortschritte
macht und die Chemiker, welche nachkommen wollen, in einem beständigen Zu¬
stand der Mauserung find: die alten Federn fallen, und man fliegt hernach um
so besser, aber die Meinung, daß das, was man heute als Resultat der Wissen¬
schaft zu bieten fähig ist, nie als überwundener Standpunkt dastehen werde,
wirkt schlimmer und ist ein Schaden, den Liebig in Beziehung auf die Anerken¬
nung seiner Lehre „leider sich selbst" zufügt. Das Schlimmere ist, daß Liebig
den Landwirthen Vorwürfe macht, die an ganz andere Adressen zu richten
wären, und ihnen Aufgaben gibt, welche sie für sich nicht zu erfüllen im Stande
sind. Auch das endlich ist nicht in der Ordnung, daß er seine Schriften nicht
durch einen praktischen Landmann reinigen läßt von Aussprüchen, die in den
Augen des Praktikers ganz unfehlbar darthun, wie man ein großer Chemiker
sein kann, ohne besonders viel vom Ackerbau zu verstehn. So, wenn man
Seite 13 der „Naturgesetze des Feldbaus", wo von der Pflanze und ihrer Bewurze-
lung die Rede ist, folgender Weisheit begegnet: „Für die Wurzel (der Ge¬
wächse) vermag er (der Landwirth) allein Sorge zu tragen, auf das, was sich
daraus entwickelt, kann er keinen Einfluß mehr ausüben"*). Ich wollte Herr
von Liebig sähe, ein Mal das Tagelöhnerregister eines Gutes an. Oder wollte
er am Ende sagen, daß unsere Arbeiten, die nicht lediglich für die Wurzel
sorgen, weggeworfenes Geld bedeuten?

Ferner sollte Liebig heute, im Jahr 1863 wissen, daß wir Landwirthe uns
doch gar viel von seiner Lehre ausgesucht, zurecht gemacht und angenommen
haben, freilich nicht speculativ, nicht dogmatisch, sondern rein empirisch; nicht
von manchem Gewissen auf vieles noch Zweifelhafte greifend, sondern ruhig
auf dem Wege des Probirens und der Erfahrung vorwärts gehend.

Liebig ist als der hochverdiente Begründer einer neuen Wissenschaft anzu-
sehn, die man Agriculturchemie nennt, die man aber richtiger Agriculturphysio-
iogie getauft hätte. Denn die Chemie hat nur einen Theil bei ihrem Aufbau
zu leisten, und alle Naturwissenschaften müssen ihr helfen. Aber das wird
man alle Zeit anerkennen müssen, daß vor Liebig keine tausend Oekonomen in



^) Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie von Justus v, Lie-
g, 2 Bde. Siebente Auflage. 18V2.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116362"/>
          <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429"> deren Pflug den Acker zu ewiger und unaufhörlicher Fruchtbarkeit Mingen<lb/>
wollte. Liebig wollte dies durch jährliche Anwendung eines Patentdüngcrs,<lb/>
3 Centner für 10'/-- Thaler, und selbst die verschiedenen Feuchtigkeitszustände<lb/>
der Luft während des Wachsthums der Pflanzen oder die verschiedene Oertlich-<lb/>
keit sollten da eine Ausnahme nicht zulassen. Nebenbei ward jeder, der nicht<lb/>
zustimmte, den Patentdünger kaufte, das Vieh verbannte, das Stroh ver¬<lb/>
brannte, für einen Unwissenden erklärt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1431"> Liebigs Inconsequenz ist freilich ein verzeihlicher Fehler. Sie wird ent¬<lb/>
schuldigt durch den Umstand, daß die Chemie verzweifelt rasche Fortschritte<lb/>
macht und die Chemiker, welche nachkommen wollen, in einem beständigen Zu¬<lb/>
stand der Mauserung find: die alten Federn fallen, und man fliegt hernach um<lb/>
so besser, aber die Meinung, daß das, was man heute als Resultat der Wissen¬<lb/>
schaft zu bieten fähig ist, nie als überwundener Standpunkt dastehen werde,<lb/>
wirkt schlimmer und ist ein Schaden, den Liebig in Beziehung auf die Anerken¬<lb/>
nung seiner Lehre &#x201E;leider sich selbst" zufügt. Das Schlimmere ist, daß Liebig<lb/>
den Landwirthen Vorwürfe macht, die an ganz andere Adressen zu richten<lb/>
wären, und ihnen Aufgaben gibt, welche sie für sich nicht zu erfüllen im Stande<lb/>
sind. Auch das endlich ist nicht in der Ordnung, daß er seine Schriften nicht<lb/>
durch einen praktischen Landmann reinigen läßt von Aussprüchen, die in den<lb/>
Augen des Praktikers ganz unfehlbar darthun, wie man ein großer Chemiker<lb/>
sein kann, ohne besonders viel vom Ackerbau zu verstehn. So, wenn man<lb/>
Seite 13 der &#x201E;Naturgesetze des Feldbaus", wo von der Pflanze und ihrer Bewurze-<lb/>
lung die Rede ist, folgender Weisheit begegnet: &#x201E;Für die Wurzel (der Ge¬<lb/>
wächse) vermag er (der Landwirth) allein Sorge zu tragen, auf das, was sich<lb/>
daraus entwickelt, kann er keinen Einfluß mehr ausüben"*). Ich wollte Herr<lb/>
von Liebig sähe, ein Mal das Tagelöhnerregister eines Gutes an. Oder wollte<lb/>
er am Ende sagen, daß unsere Arbeiten, die nicht lediglich für die Wurzel<lb/>
sorgen, weggeworfenes Geld bedeuten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1432"> Ferner sollte Liebig heute, im Jahr 1863 wissen, daß wir Landwirthe uns<lb/>
doch gar viel von seiner Lehre ausgesucht, zurecht gemacht und angenommen<lb/>
haben, freilich nicht speculativ, nicht dogmatisch, sondern rein empirisch; nicht<lb/>
von manchem Gewissen auf vieles noch Zweifelhafte greifend, sondern ruhig<lb/>
auf dem Wege des Probirens und der Erfahrung vorwärts gehend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1433" next="#ID_1434"> Liebig ist als der hochverdiente Begründer einer neuen Wissenschaft anzu-<lb/>
sehn, die man Agriculturchemie nennt, die man aber richtiger Agriculturphysio-<lb/>
iogie getauft hätte. Denn die Chemie hat nur einen Theil bei ihrem Aufbau<lb/>
zu leisten, und alle Naturwissenschaften müssen ihr helfen. Aber das wird<lb/>
man alle Zeit anerkennen müssen, daß vor Liebig keine tausend Oekonomen in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> ^) Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie von Justus v, Lie-<lb/>
g, 2 Bde. Siebente Auflage. 18V2.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] deren Pflug den Acker zu ewiger und unaufhörlicher Fruchtbarkeit Mingen wollte. Liebig wollte dies durch jährliche Anwendung eines Patentdüngcrs, 3 Centner für 10'/-- Thaler, und selbst die verschiedenen Feuchtigkeitszustände der Luft während des Wachsthums der Pflanzen oder die verschiedene Oertlich- keit sollten da eine Ausnahme nicht zulassen. Nebenbei ward jeder, der nicht zustimmte, den Patentdünger kaufte, das Vieh verbannte, das Stroh ver¬ brannte, für einen Unwissenden erklärt. Liebigs Inconsequenz ist freilich ein verzeihlicher Fehler. Sie wird ent¬ schuldigt durch den Umstand, daß die Chemie verzweifelt rasche Fortschritte macht und die Chemiker, welche nachkommen wollen, in einem beständigen Zu¬ stand der Mauserung find: die alten Federn fallen, und man fliegt hernach um so besser, aber die Meinung, daß das, was man heute als Resultat der Wissen¬ schaft zu bieten fähig ist, nie als überwundener Standpunkt dastehen werde, wirkt schlimmer und ist ein Schaden, den Liebig in Beziehung auf die Anerken¬ nung seiner Lehre „leider sich selbst" zufügt. Das Schlimmere ist, daß Liebig den Landwirthen Vorwürfe macht, die an ganz andere Adressen zu richten wären, und ihnen Aufgaben gibt, welche sie für sich nicht zu erfüllen im Stande sind. Auch das endlich ist nicht in der Ordnung, daß er seine Schriften nicht durch einen praktischen Landmann reinigen läßt von Aussprüchen, die in den Augen des Praktikers ganz unfehlbar darthun, wie man ein großer Chemiker sein kann, ohne besonders viel vom Ackerbau zu verstehn. So, wenn man Seite 13 der „Naturgesetze des Feldbaus", wo von der Pflanze und ihrer Bewurze- lung die Rede ist, folgender Weisheit begegnet: „Für die Wurzel (der Ge¬ wächse) vermag er (der Landwirth) allein Sorge zu tragen, auf das, was sich daraus entwickelt, kann er keinen Einfluß mehr ausüben"*). Ich wollte Herr von Liebig sähe, ein Mal das Tagelöhnerregister eines Gutes an. Oder wollte er am Ende sagen, daß unsere Arbeiten, die nicht lediglich für die Wurzel sorgen, weggeworfenes Geld bedeuten? Ferner sollte Liebig heute, im Jahr 1863 wissen, daß wir Landwirthe uns doch gar viel von seiner Lehre ausgesucht, zurecht gemacht und angenommen haben, freilich nicht speculativ, nicht dogmatisch, sondern rein empirisch; nicht von manchem Gewissen auf vieles noch Zweifelhafte greifend, sondern ruhig auf dem Wege des Probirens und der Erfahrung vorwärts gehend. Liebig ist als der hochverdiente Begründer einer neuen Wissenschaft anzu- sehn, die man Agriculturchemie nennt, die man aber richtiger Agriculturphysio- iogie getauft hätte. Denn die Chemie hat nur einen Theil bei ihrem Aufbau zu leisten, und alle Naturwissenschaften müssen ihr helfen. Aber das wird man alle Zeit anerkennen müssen, daß vor Liebig keine tausend Oekonomen in ^) Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie von Justus v, Lie- g, 2 Bde. Siebente Auflage. 18V2.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/434>, abgerufen am 15.01.2025.