Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.als nothwendig für die Existenz der meisten Pflanzen erklärte, nirgends die ver¬ So watschelte denn die Theorie, welche die Gründe für des Landwirths Aber Liebig trat 1840 in einer Weise auf. die damals nicht glauben machen Grenzboten IV. 1863. 64
als nothwendig für die Existenz der meisten Pflanzen erklärte, nirgends die ver¬ So watschelte denn die Theorie, welche die Gründe für des Landwirths Aber Liebig trat 1840 in einer Weise auf. die damals nicht glauben machen Grenzboten IV. 1863. 64
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als nothwendig für die Existenz der meisten Pflanzen erklärte, nirgends die ver¬
diente Beachtung fand. Dreißig Jahre später hat Sprengel das Dasein unvcr-
brennlicher Stoffe in den Pflanzen betont, aber schien man ihm auch zu glauben,
so war man doch von der Nothwendigkeit der mineralischen Nahrungsmittel
durchaus nicht überzeugt. Sprengel war eben kein großer Chemiker: seine
Aschcnanalyscn sind in der That ganz unbrauchbar und konnten weder der Land-
Wirthschaft im Studirzimmer nach der auf dem Acker vorwärts helfen.
So watschelte denn die Theorie, welche die Gründe für des Landwirths
Thun suche« wollte oder ihm zu zeigen hoffte, welch ein Sünder er sei, von
Meinung zu Meinung. Hätte der Praktiker nicht Thaer gehabt, so wäre von
einiger Wissenschaftlichkeit unter den Landwirthen keine Rede gewesen, und hätten
Koppe, Burger, Schwerz. Schweizer, F. G. Schulze, Tiedemann und Andere
das Gewerbe nicht vorwärts geführt, so würde die Landwirthschaft im Jahre
1840 den zweiten de Saussure ebensowenig gehört haben, als den ersten, —
und im Jahre 1847 hätte die Theurung dem hungernden Europa Schrecken
ganz anderer Art vorgeführt. Preisen wir darum diese Männer! Wir haben
es leicht, in ihren Fußtapfen zu schreiten. Preisen wir auch den großen Mann,
der, nun zur rechten Zeit (1840) unter die Rcuhloscn fuhr. Mit seinem Auf¬
treten schließt die Periode des unbewußten Suchens, des Zufalls, des tastenden
Provirens und die Herrschaft der bloßen Erfahrung hat ein Ende. Rechnen
wir ihm nicht als Fehler an, daß er kein Landwirth war und manche Dinge
schlecht berieth. Freuen wir uns, daß er, der Chemiker, sich so viel Verständ¬
niß erwarb von unserem Gewerbe, daß, was er lehrte, praktische Erfolge und
so zu sagen eine andere Landwirthschaft geschaffen. Wie lange hätten wir noch
warten müssen auf die Sicherheit unseres heutigen Wissens, hätte Liebig ledig¬
lich als Chemiker zu Chemikern gesprochen! Welche Bewegung, wachen Eifer
erregte sein erstes Buch über Agricultur! Sechs Auflagen in sechs Jahren!
Welch Geklirr mit Retorte und Löthrohr! Die Ackererde ward nun ein Rohstoff
für die Landwirthe, wie das Eisenerz für den Hüttenmann, wie das Leder für
den Riemer oder Schuhmacher. Die Pflanzen waren nun ein Product, das
so und so viel Pfunde verschiedener Bodenbestandtheile in anderer Form rcprci-
sentirte; man konnte nicht Ernten von dem Boden verlangen, die er aus Mangel
an irgend einem dieser Theile nicht liefern konnte, man erzog sie aber, wenn
man der Pflanze diejenige Nahrung gab, die sie brauchte.
Aber Liebig trat 1840 in einer Weise auf. die damals nicht glauben machen
konnte, daß er 1862 sagen werde, er blicke auf sein erstes Thun „ohne Reue,
gleichwie auf einen überwundenen Standpunkt" zurück. Seine Lehre wurde
damals in einer Weise ausposaunt, wie sie die Wunderdoctoren und Goldmacher
früherer Jahrhunderte beliebt hatten, ähnlich dem im Jahre 1749 ausgegebenen
Ackerbaurecept des preußischen Kammerrath Kretschmar, der durch einen beson-
Grenzboten IV. 1863. 64
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