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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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hätten, würde nannte eventuelle Bedingung erschüttern, deren Ausführung
Preußen so wenig wie Frankreich wünschen kann. Es gibt kein anderes Mit¬
tel, Bayern vor jeder Art von Theilung zu schützen." Ein deutlicher Wink
über den Inhalt der Artikel! Aber dies Drängen hatte jetzt so wenig, wie in
den früheren Stadien der Verhandlungen, die von den Franzosen beabsichtigte
Wirkung, steigerte vielmehr in Berlin den Verdacht gegen Frankreich aufs
Höchste und ließ eine Verständigung mit Oestreich, wie groß die Hindernisse
auch sein mochten, die einer solchen im Wege standen, als das Wünschens-
wertheste erscheinen. Man faßte daher den Gedanken, Eonferenzen in Berlin
zu halten und zur Ausgleichung der Differenzen zwischen Oestreich und Preu¬
ßen die Vermittelung Rußlands nachzusuchen. Die Eonferenzen fanden auch
wirklich Statt, ohne jedoch zu einem befriedigenden Ergebniß zu führen. Oestreich
entschloß sich nicht zu einem unumwundenen Verzicht auf seine bayerischen
Thcilungspläne, Preußen dagegen gab den Grundsatz der Säcularisation zum
Behuf der Entschädigungsansprüche nicht auf, und zwar mit gutem Grunde;
denn nur durch Festhalten an diesem Grundsatze konnte Preußen die weltlichen
Fürstenthümer, d. h., wie die Sachen lagen, insbesondere Bayern vor der Ge¬
fahr schützen, in die Theilungsmasse geworfen zu werden. Sodann aber ge¬
lang es Oestreich nicht, Preußen zu irgend einem Schritte zu drängen, der die
Neutralität Preußens compromittiren konnte. Je mehr Oestreich auf ein sol¬
ches Ziel hinarbeitete, um so deutlicher wurde es den berliner Diplomaten,
daß die Erreichung desselben der einzige Zweck der östreichischen Bemühungen
um eine Annäherung von Preußen sei. Wenn trotzdem die Verhältnisse zwi¬
schen den beiden Staaten im Ganzen sich besserten, so hatte dies nur darin
seinen Grund, daß die Annäherung an Frankreich, die von diesem fortwährend
mit großer Zudringlichkeit betrieben wurde, von fast allen preußischen Staats¬
männern, selbst von Alvensleben, für eine schlechte, ja unmögliche Politik er¬
klärt wurde, wie denn auch das wiederholte Anerbieten eines Bündnisses zurück¬
gewiesen wurde. Von einem geheimen EinVerständniß mit Frankreich findet
sich in dem ganzen Laufe der Verhandlungen keine Spur.

Wir haben oben ausgesprochen, daß wir die principielle Neutralität als
die Hauptquelle des Sinkens der preußischen Macht bis zur Katastrophe von
Jena ansehen. Um aber billig über diesen Punkt zu urtheilen, muß man
einen Umstand erwägen. Der Gang der Verhandlungen mit Oestreich zur Zeit
des rastatter Congresses beweist, daß die Ursache der Neutralitätspolitik nicht
blos in der Unentschlossenst und Beschränktheit der preußischen Staatsmänner
zu suchen ist; wo eine jede Entscheidung der Handelnden in unabsehbare und
unberechenbare Gefahren verwickeln würde, bleibt als Auskunftsmittel nur
die Unentschiedenheit, d. h. die Neutralität, übrig. Preußen hatte die Wahl
zwischen der Bundesgenossenschaft Frankreichs und Oestreichs. Es wußte, daß


hätten, würde nannte eventuelle Bedingung erschüttern, deren Ausführung
Preußen so wenig wie Frankreich wünschen kann. Es gibt kein anderes Mit¬
tel, Bayern vor jeder Art von Theilung zu schützen." Ein deutlicher Wink
über den Inhalt der Artikel! Aber dies Drängen hatte jetzt so wenig, wie in
den früheren Stadien der Verhandlungen, die von den Franzosen beabsichtigte
Wirkung, steigerte vielmehr in Berlin den Verdacht gegen Frankreich aufs
Höchste und ließ eine Verständigung mit Oestreich, wie groß die Hindernisse
auch sein mochten, die einer solchen im Wege standen, als das Wünschens-
wertheste erscheinen. Man faßte daher den Gedanken, Eonferenzen in Berlin
zu halten und zur Ausgleichung der Differenzen zwischen Oestreich und Preu¬
ßen die Vermittelung Rußlands nachzusuchen. Die Eonferenzen fanden auch
wirklich Statt, ohne jedoch zu einem befriedigenden Ergebniß zu führen. Oestreich
entschloß sich nicht zu einem unumwundenen Verzicht auf seine bayerischen
Thcilungspläne, Preußen dagegen gab den Grundsatz der Säcularisation zum
Behuf der Entschädigungsansprüche nicht auf, und zwar mit gutem Grunde;
denn nur durch Festhalten an diesem Grundsatze konnte Preußen die weltlichen
Fürstenthümer, d. h., wie die Sachen lagen, insbesondere Bayern vor der Ge¬
fahr schützen, in die Theilungsmasse geworfen zu werden. Sodann aber ge¬
lang es Oestreich nicht, Preußen zu irgend einem Schritte zu drängen, der die
Neutralität Preußens compromittiren konnte. Je mehr Oestreich auf ein sol¬
ches Ziel hinarbeitete, um so deutlicher wurde es den berliner Diplomaten,
daß die Erreichung desselben der einzige Zweck der östreichischen Bemühungen
um eine Annäherung von Preußen sei. Wenn trotzdem die Verhältnisse zwi¬
schen den beiden Staaten im Ganzen sich besserten, so hatte dies nur darin
seinen Grund, daß die Annäherung an Frankreich, die von diesem fortwährend
mit großer Zudringlichkeit betrieben wurde, von fast allen preußischen Staats¬
männern, selbst von Alvensleben, für eine schlechte, ja unmögliche Politik er¬
klärt wurde, wie denn auch das wiederholte Anerbieten eines Bündnisses zurück¬
gewiesen wurde. Von einem geheimen EinVerständniß mit Frankreich findet
sich in dem ganzen Laufe der Verhandlungen keine Spur.

Wir haben oben ausgesprochen, daß wir die principielle Neutralität als
die Hauptquelle des Sinkens der preußischen Macht bis zur Katastrophe von
Jena ansehen. Um aber billig über diesen Punkt zu urtheilen, muß man
einen Umstand erwägen. Der Gang der Verhandlungen mit Oestreich zur Zeit
des rastatter Congresses beweist, daß die Ursache der Neutralitätspolitik nicht
blos in der Unentschlossenst und Beschränktheit der preußischen Staatsmänner
zu suchen ist; wo eine jede Entscheidung der Handelnden in unabsehbare und
unberechenbare Gefahren verwickeln würde, bleibt als Auskunftsmittel nur
die Unentschiedenheit, d. h. die Neutralität, übrig. Preußen hatte die Wahl
zwischen der Bundesgenossenschaft Frankreichs und Oestreichs. Es wußte, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/416>, abgerufen am 15.01.2025.