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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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verfeinden erkannte und sich 'der Einsicht keineswegs verschloß, daß weiteres
Unheil nur durch ein Zusammengehen Oestreichs und Preußens verhütet wer¬
den könne. Indessen fanden die Versuche Preußens, sich Oestreich anzunähern,
in Wien kein besonderes Entgegenkommen; mit den geheimen Artikeln von
Campo Formio hielt man sorgfältig zurück, was die preußischen Diplomaten
in ihrer Vermuthung, dieselben müßten sehr bedenklichen Inhalts sein (in der
That waren sie noch viel bedenklicher, als man in Berlin vermuthete), natür¬
lich bestärkte. Dessenungeachtet setzte Preußen seine Bemühungen, sich mit Oest¬
reich zu verständigen, eifrig fort und suchte auch eine gemeinschaftliche Annähe¬
rung an Rußland herbeizuführen, war aber von dem Gedanken an eine Koa¬
lition, die möglicher Weise zum Kriege führen konnte, weit entfernt, weshalb
man auch in Wien sich nicht sonderlich um die Freundschaft mit Preußen
bemühte. Aber die unbedingte Friedensliebe des berliner Cabinets war doch nicht
das einzige Hinderniß, das einer Vereinigung der beiden deutschen Großmächte
im Wege stand; ein wohl noch größeres Hinderniß waren und blieben die ge¬
heimen Stipulationen von Campo Formio, indem dieselben es für Oestreich
unmöglich machten, Preußen mit der Offenheit entgegenzukommen, die allein
das tiefeingewurzelte und n>ohlbegründete Mißtrauen des preußischen Cabinets
hätte überwinden können. Das Streben nach Salzburg und einem Theil von
Bayern konnte in Wien ein ernsthaftes Bemühen um die Freundschaft Preu¬
ßens gar nicht aufkommen lassen. Es war natürlich, daß Preußen als erstes
Pfand der Aufrichtigkeit Oestreichs immer von Neuem die Mittheilung der ge¬
heimen Artikel von Campo Formio forderte. An eine Mittheilung derselben
konnte man aber gar nicht denken, weil sie sofort allen scheinheiligen Ver¬
sicherungen Thuguts und Lehrbachs die Maske abgerissen haben würden. Man
versteckte sich also hinter das den Franzosen gegebene Wort, die Artikel geheim zu
halten, und schlug den Ton hoher sittlicher Würde an, wie z. B. der Kaiser Franz
an Friedrich Wilhelm den Dritten schrieb: Man werde doch ihn, den deutschen Kai¬
ser, in so schweren Zeiten nicht veranlassen wollen/daß er den Franzosen das Bei¬
spiel eines Wortbruchs gebe. In Berlin verstärkte man durch derartige Wendungen,
die so ganz und gar nicht zu dem durchaus zweideutigen und auf Täuschung
berechneten System der östreichischen Politik paßten, nur noch mehr den Ver¬
dacht, daß die Artikel ihres Inhalts wegen sich zu einer Mittheilung nicht
eigneten. Frankreich unterließ nichts, um den Argwohn Preußens zu steigern.
"Sie werden Euch," sagte Talleyrand, "nie die Artikel von Campo Formio
mittheilen; denn sie würden Euch damit die Geheimnisse ihrer künftigen Poli¬
tik preisgeben." Bonaparte suchte dem preußischen Gesandten Sandoz die Vor¬
theile einleuchtend zu machen, die für Preußen daraus hervorgehen würden,
wenn es im Einklang mit andern Reichsständen die definitive Abtretung der
Rheingrenze vermittelte. "Die Verpflichtung, die wir dadurch gegen Preußen


verfeinden erkannte und sich 'der Einsicht keineswegs verschloß, daß weiteres
Unheil nur durch ein Zusammengehen Oestreichs und Preußens verhütet wer¬
den könne. Indessen fanden die Versuche Preußens, sich Oestreich anzunähern,
in Wien kein besonderes Entgegenkommen; mit den geheimen Artikeln von
Campo Formio hielt man sorgfältig zurück, was die preußischen Diplomaten
in ihrer Vermuthung, dieselben müßten sehr bedenklichen Inhalts sein (in der
That waren sie noch viel bedenklicher, als man in Berlin vermuthete), natür¬
lich bestärkte. Dessenungeachtet setzte Preußen seine Bemühungen, sich mit Oest¬
reich zu verständigen, eifrig fort und suchte auch eine gemeinschaftliche Annähe¬
rung an Rußland herbeizuführen, war aber von dem Gedanken an eine Koa¬
lition, die möglicher Weise zum Kriege führen konnte, weit entfernt, weshalb
man auch in Wien sich nicht sonderlich um die Freundschaft mit Preußen
bemühte. Aber die unbedingte Friedensliebe des berliner Cabinets war doch nicht
das einzige Hinderniß, das einer Vereinigung der beiden deutschen Großmächte
im Wege stand; ein wohl noch größeres Hinderniß waren und blieben die ge¬
heimen Stipulationen von Campo Formio, indem dieselben es für Oestreich
unmöglich machten, Preußen mit der Offenheit entgegenzukommen, die allein
das tiefeingewurzelte und n>ohlbegründete Mißtrauen des preußischen Cabinets
hätte überwinden können. Das Streben nach Salzburg und einem Theil von
Bayern konnte in Wien ein ernsthaftes Bemühen um die Freundschaft Preu¬
ßens gar nicht aufkommen lassen. Es war natürlich, daß Preußen als erstes
Pfand der Aufrichtigkeit Oestreichs immer von Neuem die Mittheilung der ge¬
heimen Artikel von Campo Formio forderte. An eine Mittheilung derselben
konnte man aber gar nicht denken, weil sie sofort allen scheinheiligen Ver¬
sicherungen Thuguts und Lehrbachs die Maske abgerissen haben würden. Man
versteckte sich also hinter das den Franzosen gegebene Wort, die Artikel geheim zu
halten, und schlug den Ton hoher sittlicher Würde an, wie z. B. der Kaiser Franz
an Friedrich Wilhelm den Dritten schrieb: Man werde doch ihn, den deutschen Kai¬
ser, in so schweren Zeiten nicht veranlassen wollen/daß er den Franzosen das Bei¬
spiel eines Wortbruchs gebe. In Berlin verstärkte man durch derartige Wendungen,
die so ganz und gar nicht zu dem durchaus zweideutigen und auf Täuschung
berechneten System der östreichischen Politik paßten, nur noch mehr den Ver¬
dacht, daß die Artikel ihres Inhalts wegen sich zu einer Mittheilung nicht
eigneten. Frankreich unterließ nichts, um den Argwohn Preußens zu steigern.
„Sie werden Euch," sagte Talleyrand, „nie die Artikel von Campo Formio
mittheilen; denn sie würden Euch damit die Geheimnisse ihrer künftigen Poli¬
tik preisgeben." Bonaparte suchte dem preußischen Gesandten Sandoz die Vor¬
theile einleuchtend zu machen, die für Preußen daraus hervorgehen würden,
wenn es im Einklang mit andern Reichsständen die definitive Abtretung der
Rheingrenze vermittelte. „Die Verpflichtung, die wir dadurch gegen Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/415>, abgerufen am 15.01.2025.