Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

knochige Landschwein mit dem schmalen Kreuz, nicht breiter wie ein Karvfen-
rückcn ansehn, das erst im dritten Jahre auswächst und dann kolossale Futter-
mcngen verschlingt, um ein zähes, faseriges Fleisch zu liefern und das Fett,
für sich allein absetzend, als Speck zu produciren?

Statt dessen verlangt unsere heutige Zucht ein Schwein mit gewölbtem,
donnerartigem Rumpf, breitem Rücken, kurzen Beinen, kurzem Rüssel, das. ein
Jahr alt, ausgewachsen ist, und in diesem einen Jahre um drei Centner Fleisch¬
gewicht zunahm, das ein mit Fett durchwachsenes feines Fleisch liefert und zu
jeder Zeit, ohne sonderliches Mastfutter zu erhalten, als schlachtbar verkauft
werden kann. Wo das frühere Schwein ein Futterquantum mit 20 Silber¬
groschen bezahlt, vergütet die Culturrace der Neuzeit mindestens einen Thaler.
Wir Deutschen züchten sie erst seit kurzer Zeit, und das " Vollblut" holen wir
zumeist noch aus England. Eber von L00 bis 1000 Thalern Werth finden
sich dort ebensoviele, als nöthig sind, um die Schweineracen aller Länder
modern zu reformiren.

Das Schweinefleisch ist die Fleischnahrung des Volkes. SO Procent des
ganzen jährlichen Fleischconsums ist Schweinefleisch. Eine Vermehrung der
Schweinezucht sagt, daß die kleinen Leute, die beim Fleischer kauften, sich ein
eigenes Thier aufziehen und es im Hause schlachten. Sie wird zum Theil her¬
vorgerufen durch die moderne Zucht, die keine alten Thiere mehr hält, sondern
einjährige schlachtet und deshalb einer größeren Zahl bedarf.

Die schon erwähnten statistischen Tabellen machen über diese wirklich in
Preußen stattgehabte Vermehrung Mittheilung. Danach hat von 1816--1861
die Zahl der Schweine um 1,202,512 Stück sich vergrößert, doch nicht in allen
Provinzen gleichmäßig steigend. Die Vermehrung betrug in der Provinz Sachsen
180 Procent, in Preußen 3S Procent. Gestiegen war die Zahl der Schweine
überall bis zum Jahr 1849, in welchem eine Verminderung in Preußen. Posen,
Pommern eintrat, während eine fortlaufende Zahlsteigerung aus den übrigen
Provinzen gemeldet wird. Den Grund zu jener Verminderung bildet das Miß-
rathen der Kartoffeln und das Eingehn vieler bisherigen Gemeinheitsweiden,
welche höherer Cultur wichen. Im Allgemeinen muß resultiren, daß der Schweine-
fleischconsum bedeutend zugenommen hat; so kommt z. B. in den drei Jahren
1838-- 1861 auf die Quadratmeile des Regierungsbezirkes Erfurt eine Ver¬
mehrung von 1281 Stück Schweinen.

Die Pferdezucht, welche mehr und mehr die Gebote der Mode, der Lieb¬
haberei und des wachsenden Luxus befolgt, auch wenig landwirtschaftliche
Fortschritte repräsentirt, übergehe ich. Die Zahl der Pferde vermehrte sich in
Preußen 1838--1861 um 3,8 Procent.

Statistische Nachrichten oder Belege über andere Theile des landwirtschaft¬
lichen Fortschrittes sind aus älterer Zeit fast keine vorhanden. Aber auch diese


knochige Landschwein mit dem schmalen Kreuz, nicht breiter wie ein Karvfen-
rückcn ansehn, das erst im dritten Jahre auswächst und dann kolossale Futter-
mcngen verschlingt, um ein zähes, faseriges Fleisch zu liefern und das Fett,
für sich allein absetzend, als Speck zu produciren?

Statt dessen verlangt unsere heutige Zucht ein Schwein mit gewölbtem,
donnerartigem Rumpf, breitem Rücken, kurzen Beinen, kurzem Rüssel, das. ein
Jahr alt, ausgewachsen ist, und in diesem einen Jahre um drei Centner Fleisch¬
gewicht zunahm, das ein mit Fett durchwachsenes feines Fleisch liefert und zu
jeder Zeit, ohne sonderliches Mastfutter zu erhalten, als schlachtbar verkauft
werden kann. Wo das frühere Schwein ein Futterquantum mit 20 Silber¬
groschen bezahlt, vergütet die Culturrace der Neuzeit mindestens einen Thaler.
Wir Deutschen züchten sie erst seit kurzer Zeit, und das „ Vollblut" holen wir
zumeist noch aus England. Eber von L00 bis 1000 Thalern Werth finden
sich dort ebensoviele, als nöthig sind, um die Schweineracen aller Länder
modern zu reformiren.

Das Schweinefleisch ist die Fleischnahrung des Volkes. SO Procent des
ganzen jährlichen Fleischconsums ist Schweinefleisch. Eine Vermehrung der
Schweinezucht sagt, daß die kleinen Leute, die beim Fleischer kauften, sich ein
eigenes Thier aufziehen und es im Hause schlachten. Sie wird zum Theil her¬
vorgerufen durch die moderne Zucht, die keine alten Thiere mehr hält, sondern
einjährige schlachtet und deshalb einer größeren Zahl bedarf.

Die schon erwähnten statistischen Tabellen machen über diese wirklich in
Preußen stattgehabte Vermehrung Mittheilung. Danach hat von 1816—1861
die Zahl der Schweine um 1,202,512 Stück sich vergrößert, doch nicht in allen
Provinzen gleichmäßig steigend. Die Vermehrung betrug in der Provinz Sachsen
180 Procent, in Preußen 3S Procent. Gestiegen war die Zahl der Schweine
überall bis zum Jahr 1849, in welchem eine Verminderung in Preußen. Posen,
Pommern eintrat, während eine fortlaufende Zahlsteigerung aus den übrigen
Provinzen gemeldet wird. Den Grund zu jener Verminderung bildet das Miß-
rathen der Kartoffeln und das Eingehn vieler bisherigen Gemeinheitsweiden,
welche höherer Cultur wichen. Im Allgemeinen muß resultiren, daß der Schweine-
fleischconsum bedeutend zugenommen hat; so kommt z. B. in den drei Jahren
1838— 1861 auf die Quadratmeile des Regierungsbezirkes Erfurt eine Ver¬
mehrung von 1281 Stück Schweinen.

Die Pferdezucht, welche mehr und mehr die Gebote der Mode, der Lieb¬
haberei und des wachsenden Luxus befolgt, auch wenig landwirtschaftliche
Fortschritte repräsentirt, übergehe ich. Die Zahl der Pferde vermehrte sich in
Preußen 1838—1861 um 3,8 Procent.

Statistische Nachrichten oder Belege über andere Theile des landwirtschaft¬
lichen Fortschrittes sind aus älterer Zeit fast keine vorhanden. Aber auch diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116309"/>
          <p xml:id="ID_1284" prev="#ID_1283"> knochige Landschwein mit dem schmalen Kreuz, nicht breiter wie ein Karvfen-<lb/>
rückcn ansehn, das erst im dritten Jahre auswächst und dann kolossale Futter-<lb/>
mcngen verschlingt, um ein zähes, faseriges Fleisch zu liefern und das Fett,<lb/>
für sich allein absetzend, als Speck zu produciren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1285"> Statt dessen verlangt unsere heutige Zucht ein Schwein mit gewölbtem,<lb/>
donnerartigem Rumpf, breitem Rücken, kurzen Beinen, kurzem Rüssel, das. ein<lb/>
Jahr alt, ausgewachsen ist, und in diesem einen Jahre um drei Centner Fleisch¬<lb/>
gewicht zunahm, das ein mit Fett durchwachsenes feines Fleisch liefert und zu<lb/>
jeder Zeit, ohne sonderliches Mastfutter zu erhalten, als schlachtbar verkauft<lb/>
werden kann. Wo das frühere Schwein ein Futterquantum mit 20 Silber¬<lb/>
groschen bezahlt, vergütet die Culturrace der Neuzeit mindestens einen Thaler.<lb/>
Wir Deutschen züchten sie erst seit kurzer Zeit, und das &#x201E; Vollblut" holen wir<lb/>
zumeist noch aus England. Eber von L00 bis 1000 Thalern Werth finden<lb/>
sich dort ebensoviele, als nöthig sind, um die Schweineracen aller Länder<lb/>
modern zu reformiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1286"> Das Schweinefleisch ist die Fleischnahrung des Volkes. SO Procent des<lb/>
ganzen jährlichen Fleischconsums ist Schweinefleisch. Eine Vermehrung der<lb/>
Schweinezucht sagt, daß die kleinen Leute, die beim Fleischer kauften, sich ein<lb/>
eigenes Thier aufziehen und es im Hause schlachten. Sie wird zum Theil her¬<lb/>
vorgerufen durch die moderne Zucht, die keine alten Thiere mehr hält, sondern<lb/>
einjährige schlachtet und deshalb einer größeren Zahl bedarf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1287"> Die schon erwähnten statistischen Tabellen machen über diese wirklich in<lb/>
Preußen stattgehabte Vermehrung Mittheilung. Danach hat von 1816&#x2014;1861<lb/>
die Zahl der Schweine um 1,202,512 Stück sich vergrößert, doch nicht in allen<lb/>
Provinzen gleichmäßig steigend. Die Vermehrung betrug in der Provinz Sachsen<lb/>
180 Procent, in Preußen 3S Procent. Gestiegen war die Zahl der Schweine<lb/>
überall bis zum Jahr 1849, in welchem eine Verminderung in Preußen. Posen,<lb/>
Pommern eintrat, während eine fortlaufende Zahlsteigerung aus den übrigen<lb/>
Provinzen gemeldet wird. Den Grund zu jener Verminderung bildet das Miß-<lb/>
rathen der Kartoffeln und das Eingehn vieler bisherigen Gemeinheitsweiden,<lb/>
welche höherer Cultur wichen. Im Allgemeinen muß resultiren, daß der Schweine-<lb/>
fleischconsum bedeutend zugenommen hat; so kommt z. B. in den drei Jahren<lb/>
1838&#x2014; 1861 auf die Quadratmeile des Regierungsbezirkes Erfurt eine Ver¬<lb/>
mehrung von 1281 Stück Schweinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1288"> Die Pferdezucht, welche mehr und mehr die Gebote der Mode, der Lieb¬<lb/>
haberei und des wachsenden Luxus befolgt, auch wenig landwirtschaftliche<lb/>
Fortschritte repräsentirt, übergehe ich. Die Zahl der Pferde vermehrte sich in<lb/>
Preußen 1838&#x2014;1861 um 3,8 Procent.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1289" next="#ID_1290"> Statistische Nachrichten oder Belege über andere Theile des landwirtschaft¬<lb/>
lichen Fortschrittes sind aus älterer Zeit fast keine vorhanden.  Aber auch diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] knochige Landschwein mit dem schmalen Kreuz, nicht breiter wie ein Karvfen- rückcn ansehn, das erst im dritten Jahre auswächst und dann kolossale Futter- mcngen verschlingt, um ein zähes, faseriges Fleisch zu liefern und das Fett, für sich allein absetzend, als Speck zu produciren? Statt dessen verlangt unsere heutige Zucht ein Schwein mit gewölbtem, donnerartigem Rumpf, breitem Rücken, kurzen Beinen, kurzem Rüssel, das. ein Jahr alt, ausgewachsen ist, und in diesem einen Jahre um drei Centner Fleisch¬ gewicht zunahm, das ein mit Fett durchwachsenes feines Fleisch liefert und zu jeder Zeit, ohne sonderliches Mastfutter zu erhalten, als schlachtbar verkauft werden kann. Wo das frühere Schwein ein Futterquantum mit 20 Silber¬ groschen bezahlt, vergütet die Culturrace der Neuzeit mindestens einen Thaler. Wir Deutschen züchten sie erst seit kurzer Zeit, und das „ Vollblut" holen wir zumeist noch aus England. Eber von L00 bis 1000 Thalern Werth finden sich dort ebensoviele, als nöthig sind, um die Schweineracen aller Länder modern zu reformiren. Das Schweinefleisch ist die Fleischnahrung des Volkes. SO Procent des ganzen jährlichen Fleischconsums ist Schweinefleisch. Eine Vermehrung der Schweinezucht sagt, daß die kleinen Leute, die beim Fleischer kauften, sich ein eigenes Thier aufziehen und es im Hause schlachten. Sie wird zum Theil her¬ vorgerufen durch die moderne Zucht, die keine alten Thiere mehr hält, sondern einjährige schlachtet und deshalb einer größeren Zahl bedarf. Die schon erwähnten statistischen Tabellen machen über diese wirklich in Preußen stattgehabte Vermehrung Mittheilung. Danach hat von 1816—1861 die Zahl der Schweine um 1,202,512 Stück sich vergrößert, doch nicht in allen Provinzen gleichmäßig steigend. Die Vermehrung betrug in der Provinz Sachsen 180 Procent, in Preußen 3S Procent. Gestiegen war die Zahl der Schweine überall bis zum Jahr 1849, in welchem eine Verminderung in Preußen. Posen, Pommern eintrat, während eine fortlaufende Zahlsteigerung aus den übrigen Provinzen gemeldet wird. Den Grund zu jener Verminderung bildet das Miß- rathen der Kartoffeln und das Eingehn vieler bisherigen Gemeinheitsweiden, welche höherer Cultur wichen. Im Allgemeinen muß resultiren, daß der Schweine- fleischconsum bedeutend zugenommen hat; so kommt z. B. in den drei Jahren 1838— 1861 auf die Quadratmeile des Regierungsbezirkes Erfurt eine Ver¬ mehrung von 1281 Stück Schweinen. Die Pferdezucht, welche mehr und mehr die Gebote der Mode, der Lieb¬ haberei und des wachsenden Luxus befolgt, auch wenig landwirtschaftliche Fortschritte repräsentirt, übergehe ich. Die Zahl der Pferde vermehrte sich in Preußen 1838—1861 um 3,8 Procent. Statistische Nachrichten oder Belege über andere Theile des landwirtschaft¬ lichen Fortschrittes sind aus älterer Zeit fast keine vorhanden. Aber auch diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/381>, abgerufen am 15.01.2025.