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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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werden könne, und sie behauptet, die Reinheit des Stammes schütze auch kein
Raccthier vor dem Mangel der NichtVererbung seiner Individualität.

Herr Herrmann von Nathusius in Hundisburg, Deutschlands be¬
rühmtester Viehzüchter, ist der Vertreter dieser Lehre. Mit seiner Schrift: "Ueber
Konstanz in der Thierzucht", 1858 in der Zeitschrift für deutsche Landwirthe
abgedruckt, zerbrach er die bis dahin reichende Herrschaft der mentzel-weckhcr-
linschcn Grundsätze. Die alte Schule erwartet alle Erfolge von der Vererbung,
die der Race innewohnt; die neue Lehre'von der Leistung, die das Thier zeigt,
und von der Ernährung.

Schon sind erstaunliche Erfolge erzielt, seitdem man eine Handhabe in der
neuen Theorie empfing; die Praxis war längst von dem veralteten, zwecklosen
Zuchtsystem abgewichen und hatte die Aufgabe der Neuzeit begriffen, die an
die Thierzüchter die Anforderung stellt, mehr und billigeres Fleisch zu erzeugen,
damit einer besseren Ernährung der steigenden Population genügt werde. Das
ist aber fast nur durch Veredeln der Naturracen möglich und durch die Zucht
nach Ziel und Leistung.

Das Praktische erfassend, hatten Englands Landwirthe seit Bakewcll schon
der Zucht aus Ziel gehuldigt. Was sie Außerordentliches geleistet haben, ver¬
künden die Thierzüchter in allen Sprachen, und die Praxis wird belohnt durch
enorme Preise, die für Zuchtthiere gezahlt werden. Und für diese Shorthorn-
Bullen und Ayrshire-Kühe schwärmend, werden wir Deutsche nun belehrt über
die deutliche Möglichkeit, neue Racen zu erzückten; denn weder die Shorthorn
noch die Ayrshire sind älter als ein Menschenalter. Seitdem unterscheidet der
Thierzüchter zwischen Natur- und Kunstrace. Erstere zählt er mit dem Zoologen
gemeinsam auf; letztere versinnlicht ihm den Zweck der Zucht.

Im Jahre 1816 kamen auf 26 Menschen in Preußen 10 Stück Rindvieh;
1861 ebensoviele auf 32,26 Menschen. Somit ist die Bevölkerung schneller
gewachsen, als der Rindviehstand, und es müßte daraus geschlossen werden, daß
heute weniger Rindfleisch, Milch und Butter auf den Kopf der Bevölkerung
kommt, als 1816. statistisches über diese Frage steht mir nicht zu Gebot, aber
da es keinem Zweifel unterliegt, daß das Durchschnittsgewicht aller Nindvieh-
stücke in Deutschland seit 80 Jahren um ein Viertel gewachsen, der Milchertrag
einer Kuh um ein Siebentel, so wird resultiren, daß wir heute mehr Rindfleisch
und Milchproducte genießen, als unsere Väter.

Denn das ist die Aufgabe des heutigen Landwirths, daß er Thiere zündte,
die in Leistung und Frühreife das Dagewesene überbieten und das Futter höher
verwerthen. "Weniger Stücke Vieh", ist die Parole, "aber mehr Viehproducte!"

Die Züchtungsgrundsätze der Jndividualitätslehre haben in der Schweine¬
zucht noch größeren Fortschritt bedingt. Wer hört nicht die Bürstenbinder
klagen, daß keine Borsten mehr zu kaufen seien. Wer mag heute noch das spitz-


werden könne, und sie behauptet, die Reinheit des Stammes schütze auch kein
Raccthier vor dem Mangel der NichtVererbung seiner Individualität.

Herr Herrmann von Nathusius in Hundisburg, Deutschlands be¬
rühmtester Viehzüchter, ist der Vertreter dieser Lehre. Mit seiner Schrift: „Ueber
Konstanz in der Thierzucht", 1858 in der Zeitschrift für deutsche Landwirthe
abgedruckt, zerbrach er die bis dahin reichende Herrschaft der mentzel-weckhcr-
linschcn Grundsätze. Die alte Schule erwartet alle Erfolge von der Vererbung,
die der Race innewohnt; die neue Lehre'von der Leistung, die das Thier zeigt,
und von der Ernährung.

Schon sind erstaunliche Erfolge erzielt, seitdem man eine Handhabe in der
neuen Theorie empfing; die Praxis war längst von dem veralteten, zwecklosen
Zuchtsystem abgewichen und hatte die Aufgabe der Neuzeit begriffen, die an
die Thierzüchter die Anforderung stellt, mehr und billigeres Fleisch zu erzeugen,
damit einer besseren Ernährung der steigenden Population genügt werde. Das
ist aber fast nur durch Veredeln der Naturracen möglich und durch die Zucht
nach Ziel und Leistung.

Das Praktische erfassend, hatten Englands Landwirthe seit Bakewcll schon
der Zucht aus Ziel gehuldigt. Was sie Außerordentliches geleistet haben, ver¬
künden die Thierzüchter in allen Sprachen, und die Praxis wird belohnt durch
enorme Preise, die für Zuchtthiere gezahlt werden. Und für diese Shorthorn-
Bullen und Ayrshire-Kühe schwärmend, werden wir Deutsche nun belehrt über
die deutliche Möglichkeit, neue Racen zu erzückten; denn weder die Shorthorn
noch die Ayrshire sind älter als ein Menschenalter. Seitdem unterscheidet der
Thierzüchter zwischen Natur- und Kunstrace. Erstere zählt er mit dem Zoologen
gemeinsam auf; letztere versinnlicht ihm den Zweck der Zucht.

Im Jahre 1816 kamen auf 26 Menschen in Preußen 10 Stück Rindvieh;
1861 ebensoviele auf 32,26 Menschen. Somit ist die Bevölkerung schneller
gewachsen, als der Rindviehstand, und es müßte daraus geschlossen werden, daß
heute weniger Rindfleisch, Milch und Butter auf den Kopf der Bevölkerung
kommt, als 1816. statistisches über diese Frage steht mir nicht zu Gebot, aber
da es keinem Zweifel unterliegt, daß das Durchschnittsgewicht aller Nindvieh-
stücke in Deutschland seit 80 Jahren um ein Viertel gewachsen, der Milchertrag
einer Kuh um ein Siebentel, so wird resultiren, daß wir heute mehr Rindfleisch
und Milchproducte genießen, als unsere Väter.

Denn das ist die Aufgabe des heutigen Landwirths, daß er Thiere zündte,
die in Leistung und Frühreife das Dagewesene überbieten und das Futter höher
verwerthen. „Weniger Stücke Vieh", ist die Parole, „aber mehr Viehproducte!"

Die Züchtungsgrundsätze der Jndividualitätslehre haben in der Schweine¬
zucht noch größeren Fortschritt bedingt. Wer hört nicht die Bürstenbinder
klagen, daß keine Borsten mehr zu kaufen seien. Wer mag heute noch das spitz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/380>, abgerufen am 15.01.2025.