Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

cent; denn 1816 werden 719.200 Stück und 1861 6.649,992 ausgeführt.
Die Landschafe litten sich um 28.7 Procent vermindert. Eine Abnahme der
Schafzucht ist in keiner peeußischen Provinz eingetreten; die stärkste Vermeh-
rung der ganz veredelten Schafe fand sich in Posen mit 44,8 Procent. (Siehe
d..statist. Belege v, Bandow in d. Annalen 1863. Ur. 16 u. 17.)

Etwas später wurde mit durchgreifender Veredlung des Rindviehs be¬
gonnen. Es war das ein schwereres Werk, denn die Wünsche, die sich damit
verknüpften, und die Ziele, welche man sich setzte, waren ebenso verschieden, als
die Oertlichkeiten und deren Bedürfnisse. -- Wie wenig wir auch wissen von
dem Rindvieh, das in früheren Jahrhunderten im mittleren Deutschland, z. B.
in der Mark, in Sachsen heimisch war. so scheint dort gerade der wenigst gute
Landschlag Deutschlands gewesen zu sein. Dagegen zeichneten sich Schwaben
und Franken durch große, schöne Rindviehstämme aus.

Frühzeitig schon kam Schweizervieh nach Norddeutschland, später vorzugs¬
weise holländisches, aber es war bei der Rindviehzucht mit wenigen Ausnahmen
eine Art Durcheinander eingetreten, und von einer Zucht nach Princip oder
nach einem bestimmten Ziel kaum die Rede. Güter und Gegenden, welche im
Milchverkauf ihre Rechnung fanden, kauften Holländer, schweizer, allgäuer Vieh,
meist in der Absicht, nicht es rein fortznzüehten, sondern es durch Zulauf zu
ersetzen, wenn es abgegangen war. Wo aber dennoch Zumahl stattfand, trat
bis vor Kurzem nirgends der Wille hervor, eine besondere Eigenschaft und
individuelle Tüchtigkeit dem Vieh "anzuzüchten", sondern man zog dann auf,
bald alle Kälber, die der Kuhstall sah, bald beliebte Farben, und nahm vom
Thiere später, was es an Nutzen geben wollte. Taugte es gar nichts, so war
der Fleischer da.

Wesentlich hatte diese bequeme Zuchtmethode die mcntzcl-weckberlins.be
Schule ohne ihren Willen hervorgerufen, welche in der in drei Auflagen ver¬
breiteten "landwirthschaftlichen Thierproduction" von A. von Weckherlin ihren
Ausdruck gefunden hatte.

Nach ihr lag des Pudels Kern in der Race und in den Naceeigcnschaften.
Eine gute Race brachte lauter gute Kälber, aber die gemeinen Schläge blieben,
was sie waren, und nie konnten sie erlangen, was ihnen fehlte -- den Adel
der Geburt und den Werth des Stammbaums. Das war die Lehre "von der
Constanz in der Thierzucht".

Stellen wir dieser die "Individualität" gegenüber, so haben wir die beiden
Worte, die seit einem Jahrzehnt eine lange literarische Debatte hervorgerufen ha¬
ben. Die neuere Lebre, vorzüglich von Praktikern vorgetragen, weiß nichts davon,
daß ein Stammbaum vor der Gemeinheit schütze, sie will, daß im Allgemeinen
jedem Thier die Vererbung seiner eigenen Individualität zuerkannt werde, daß
aber diese Leistung geprüft werden müsse und erst nach der Probe belohnt


47*

cent; denn 1816 werden 719.200 Stück und 1861 6.649,992 ausgeführt.
Die Landschafe litten sich um 28.7 Procent vermindert. Eine Abnahme der
Schafzucht ist in keiner peeußischen Provinz eingetreten; die stärkste Vermeh-
rung der ganz veredelten Schafe fand sich in Posen mit 44,8 Procent. (Siehe
d..statist. Belege v, Bandow in d. Annalen 1863. Ur. 16 u. 17.)

Etwas später wurde mit durchgreifender Veredlung des Rindviehs be¬
gonnen. Es war das ein schwereres Werk, denn die Wünsche, die sich damit
verknüpften, und die Ziele, welche man sich setzte, waren ebenso verschieden, als
die Oertlichkeiten und deren Bedürfnisse. — Wie wenig wir auch wissen von
dem Rindvieh, das in früheren Jahrhunderten im mittleren Deutschland, z. B.
in der Mark, in Sachsen heimisch war. so scheint dort gerade der wenigst gute
Landschlag Deutschlands gewesen zu sein. Dagegen zeichneten sich Schwaben
und Franken durch große, schöne Rindviehstämme aus.

Frühzeitig schon kam Schweizervieh nach Norddeutschland, später vorzugs¬
weise holländisches, aber es war bei der Rindviehzucht mit wenigen Ausnahmen
eine Art Durcheinander eingetreten, und von einer Zucht nach Princip oder
nach einem bestimmten Ziel kaum die Rede. Güter und Gegenden, welche im
Milchverkauf ihre Rechnung fanden, kauften Holländer, schweizer, allgäuer Vieh,
meist in der Absicht, nicht es rein fortznzüehten, sondern es durch Zulauf zu
ersetzen, wenn es abgegangen war. Wo aber dennoch Zumahl stattfand, trat
bis vor Kurzem nirgends der Wille hervor, eine besondere Eigenschaft und
individuelle Tüchtigkeit dem Vieh „anzuzüchten", sondern man zog dann auf,
bald alle Kälber, die der Kuhstall sah, bald beliebte Farben, und nahm vom
Thiere später, was es an Nutzen geben wollte. Taugte es gar nichts, so war
der Fleischer da.

Wesentlich hatte diese bequeme Zuchtmethode die mcntzcl-weckberlins.be
Schule ohne ihren Willen hervorgerufen, welche in der in drei Auflagen ver¬
breiteten „landwirthschaftlichen Thierproduction" von A. von Weckherlin ihren
Ausdruck gefunden hatte.

Nach ihr lag des Pudels Kern in der Race und in den Naceeigcnschaften.
Eine gute Race brachte lauter gute Kälber, aber die gemeinen Schläge blieben,
was sie waren, und nie konnten sie erlangen, was ihnen fehlte — den Adel
der Geburt und den Werth des Stammbaums. Das war die Lehre „von der
Constanz in der Thierzucht".

Stellen wir dieser die „Individualität" gegenüber, so haben wir die beiden
Worte, die seit einem Jahrzehnt eine lange literarische Debatte hervorgerufen ha¬
ben. Die neuere Lebre, vorzüglich von Praktikern vorgetragen, weiß nichts davon,
daß ein Stammbaum vor der Gemeinheit schütze, sie will, daß im Allgemeinen
jedem Thier die Vererbung seiner eigenen Individualität zuerkannt werde, daß
aber diese Leistung geprüft werden müsse und erst nach der Probe belohnt


47*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116307"/>
          <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> cent; denn 1816 werden 719.200 Stück und 1861 6.649,992 ausgeführt.<lb/>
Die Landschafe litten sich um 28.7 Procent vermindert. Eine Abnahme der<lb/>
Schafzucht ist in keiner peeußischen Provinz eingetreten; die stärkste Vermeh-<lb/>
rung der ganz veredelten Schafe fand sich in Posen mit 44,8 Procent. (Siehe<lb/>
d..statist. Belege v, Bandow in d. Annalen 1863. Ur. 16 u. 17.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272"> Etwas später wurde mit durchgreifender Veredlung des Rindviehs be¬<lb/>
gonnen. Es war das ein schwereres Werk, denn die Wünsche, die sich damit<lb/>
verknüpften, und die Ziele, welche man sich setzte, waren ebenso verschieden, als<lb/>
die Oertlichkeiten und deren Bedürfnisse. &#x2014; Wie wenig wir auch wissen von<lb/>
dem Rindvieh, das in früheren Jahrhunderten im mittleren Deutschland, z. B.<lb/>
in der Mark, in Sachsen heimisch war. so scheint dort gerade der wenigst gute<lb/>
Landschlag Deutschlands gewesen zu sein. Dagegen zeichneten sich Schwaben<lb/>
und Franken durch große, schöne Rindviehstämme aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273"> Frühzeitig schon kam Schweizervieh nach Norddeutschland, später vorzugs¬<lb/>
weise holländisches, aber es war bei der Rindviehzucht mit wenigen Ausnahmen<lb/>
eine Art Durcheinander eingetreten, und von einer Zucht nach Princip oder<lb/>
nach einem bestimmten Ziel kaum die Rede. Güter und Gegenden, welche im<lb/>
Milchverkauf ihre Rechnung fanden, kauften Holländer, schweizer, allgäuer Vieh,<lb/>
meist in der Absicht, nicht es rein fortznzüehten, sondern es durch Zulauf zu<lb/>
ersetzen, wenn es abgegangen war. Wo aber dennoch Zumahl stattfand, trat<lb/>
bis vor Kurzem nirgends der Wille hervor, eine besondere Eigenschaft und<lb/>
individuelle Tüchtigkeit dem Vieh &#x201E;anzuzüchten", sondern man zog dann auf,<lb/>
bald alle Kälber, die der Kuhstall sah, bald beliebte Farben, und nahm vom<lb/>
Thiere später, was es an Nutzen geben wollte. Taugte es gar nichts, so war<lb/>
der Fleischer da.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1274"> Wesentlich hatte diese bequeme Zuchtmethode die mcntzcl-weckberlins.be<lb/>
Schule ohne ihren Willen hervorgerufen, welche in der in drei Auflagen ver¬<lb/>
breiteten &#x201E;landwirthschaftlichen Thierproduction" von A. von Weckherlin ihren<lb/>
Ausdruck gefunden hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275"> Nach ihr lag des Pudels Kern in der Race und in den Naceeigcnschaften.<lb/>
Eine gute Race brachte lauter gute Kälber, aber die gemeinen Schläge blieben,<lb/>
was sie waren, und nie konnten sie erlangen, was ihnen fehlte &#x2014; den Adel<lb/>
der Geburt und den Werth des Stammbaums. Das war die Lehre &#x201E;von der<lb/>
Constanz in der Thierzucht".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1276" next="#ID_1277"> Stellen wir dieser die &#x201E;Individualität" gegenüber, so haben wir die beiden<lb/>
Worte, die seit einem Jahrzehnt eine lange literarische Debatte hervorgerufen ha¬<lb/>
ben. Die neuere Lebre, vorzüglich von Praktikern vorgetragen, weiß nichts davon,<lb/>
daß ein Stammbaum vor der Gemeinheit schütze, sie will, daß im Allgemeinen<lb/>
jedem Thier die Vererbung seiner eigenen Individualität zuerkannt werde, daß<lb/>
aber diese Leistung geprüft werden müsse und erst nach der Probe belohnt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 47*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] cent; denn 1816 werden 719.200 Stück und 1861 6.649,992 ausgeführt. Die Landschafe litten sich um 28.7 Procent vermindert. Eine Abnahme der Schafzucht ist in keiner peeußischen Provinz eingetreten; die stärkste Vermeh- rung der ganz veredelten Schafe fand sich in Posen mit 44,8 Procent. (Siehe d..statist. Belege v, Bandow in d. Annalen 1863. Ur. 16 u. 17.) Etwas später wurde mit durchgreifender Veredlung des Rindviehs be¬ gonnen. Es war das ein schwereres Werk, denn die Wünsche, die sich damit verknüpften, und die Ziele, welche man sich setzte, waren ebenso verschieden, als die Oertlichkeiten und deren Bedürfnisse. — Wie wenig wir auch wissen von dem Rindvieh, das in früheren Jahrhunderten im mittleren Deutschland, z. B. in der Mark, in Sachsen heimisch war. so scheint dort gerade der wenigst gute Landschlag Deutschlands gewesen zu sein. Dagegen zeichneten sich Schwaben und Franken durch große, schöne Rindviehstämme aus. Frühzeitig schon kam Schweizervieh nach Norddeutschland, später vorzugs¬ weise holländisches, aber es war bei der Rindviehzucht mit wenigen Ausnahmen eine Art Durcheinander eingetreten, und von einer Zucht nach Princip oder nach einem bestimmten Ziel kaum die Rede. Güter und Gegenden, welche im Milchverkauf ihre Rechnung fanden, kauften Holländer, schweizer, allgäuer Vieh, meist in der Absicht, nicht es rein fortznzüehten, sondern es durch Zulauf zu ersetzen, wenn es abgegangen war. Wo aber dennoch Zumahl stattfand, trat bis vor Kurzem nirgends der Wille hervor, eine besondere Eigenschaft und individuelle Tüchtigkeit dem Vieh „anzuzüchten", sondern man zog dann auf, bald alle Kälber, die der Kuhstall sah, bald beliebte Farben, und nahm vom Thiere später, was es an Nutzen geben wollte. Taugte es gar nichts, so war der Fleischer da. Wesentlich hatte diese bequeme Zuchtmethode die mcntzcl-weckberlins.be Schule ohne ihren Willen hervorgerufen, welche in der in drei Auflagen ver¬ breiteten „landwirthschaftlichen Thierproduction" von A. von Weckherlin ihren Ausdruck gefunden hatte. Nach ihr lag des Pudels Kern in der Race und in den Naceeigcnschaften. Eine gute Race brachte lauter gute Kälber, aber die gemeinen Schläge blieben, was sie waren, und nie konnten sie erlangen, was ihnen fehlte — den Adel der Geburt und den Werth des Stammbaums. Das war die Lehre „von der Constanz in der Thierzucht". Stellen wir dieser die „Individualität" gegenüber, so haben wir die beiden Worte, die seit einem Jahrzehnt eine lange literarische Debatte hervorgerufen ha¬ ben. Die neuere Lebre, vorzüglich von Praktikern vorgetragen, weiß nichts davon, daß ein Stammbaum vor der Gemeinheit schütze, sie will, daß im Allgemeinen jedem Thier die Vererbung seiner eigenen Individualität zuerkannt werde, daß aber diese Leistung geprüft werden müsse und erst nach der Probe belohnt 47*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/379>, abgerufen am 15.01.2025.