Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Marburg wieder vereinigt, und wiederum in der Zeit von 1810, wo Wilhelm, Eine Frucht dieser ihrer gemeinsamen Thätigkeit sind zunächst die "Kinder- Noch in demselben Jahre erschienen (Kassel 1812) "die beiden ältesten deut¬ Marburg wieder vereinigt, und wiederum in der Zeit von 1810, wo Wilhelm, Eine Frucht dieser ihrer gemeinsamen Thätigkeit sind zunächst die „Kinder- Noch in demselben Jahre erschienen (Kassel 1812) „die beiden ältesten deut¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116222"/> <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003"> Marburg wieder vereinigt, und wiederum in der Zeit von 1810, wo Wilhelm,<lb/> nun vollständig genesen, sich nach Kassel begab, bis 1814, wo Jacob, nach dem<lb/> Zusammenbrechen des westphälischen Königreiches als Legationssecretär bei<lb/> der hessischen Gesandtschaft ins Hauptquartier der Verbündeten und zum zweiten<lb/> Male nach Paris gesandt ward, wohin er im Auftrage der preußischen Re¬<lb/> gierung im Jahre darauf noch ein drittes Mal kommen sollte. Von Paris ging<lb/> er, ebenfalls als Gesandtschaftssecretär, nach Wien (October 1814 bis Juni 181S)<lb/> zu den Verhandlungen des dortigen Kongresses, dann aber entsagte er der diplo¬<lb/> matischen Laufbahn und fand eine Anstellung an der öffentlichen Bibliothek zu<lb/> Kassel, an der sein Bruder Wilhelm bereits 1814 ein Amt erhalten hatte. Seit<lb/> dieser Zeit (1816) sind die beiden Brüder nicht wieder getrennt, worden, wenn<lb/> wir von den vorübergehenden Folgen der göttinger Katastrophe absehen. Die<lb/> Jahre 1810—1816 waren die ihrer so erfolgreichen gemeinsamen Arbeit, die<lb/> uns jetzt beschäftigen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1005"> Eine Frucht dieser ihrer gemeinsamen Thätigkeit sind zunächst die „Kinder-<lb/> und Hausmärchen" (Berlin 1812). Die Bedeutung dieses ebenso liebenswür¬<lb/> digen wie wichtigen Werkes ist eine doppelte. Einmal machte es zuerst darauf<lb/> aufmerksam, welch ein Schatz des lieblichsten Erzählungsstoffes noch im Volks¬<lb/> munde vorhanden sei. und gab Fingerzeige zu seiner wissenschaftlichen Verwerthung.<lb/> Eine nicht endende Reihe von Märcbensammlungen bei unF wie bei anderen<lb/> Völkern ist diesem Muster gefolgt, und noch immer scheint der Faden nicht ab¬<lb/> zureißen. Fast' ebenso bedeutend, wenn nicht noch bedeutender, ist ihre Wich¬<lb/> tigkeit für die Literatur im weiteren Sinne und für die GeschmaÄsbildung ge¬<lb/> wesen. Wenn man behaupten darf, daß die Richtung der Brüder aus das<lb/> Volksthümliche der Sagen- und Märchenwelt recht eigentlich ihren Keim in den<lb/> Gedanken- und Empsindungskrcisen der Romantiker hatte, so muß man sagen,<lb/> daß ihre Ausführung, der tactvoll getroffene einfache, volksmäßige Ton so durch¬<lb/> aus classisch ist, daß kaum ein zweites Werk in solchem Grade ein wirksames<lb/> Correctiv gegen die Ueberschwenglichteiten der Romantik geworden ist, als die<lb/> grimmschen Märchen. Mit Recht sind sie dem deutschen Volke ein Haus- und<lb/> Familienbuch geworden, und mit Recht haben sie gegenwärtig ihren Weg selbst<lb/> in die Schulen gefunden. Später überließ Jacob dies Gebiet ganz seinem<lb/> Bruder, von dem allein die späteren Ausgaben, namentlich auch die Anmer¬<lb/> kungen, ausgegangen zu sein scheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1006" next="#ID_1007"> Noch in demselben Jahre erschienen (Kassel 1812) „die beiden ältesten deut¬<lb/> schen Gedichte, das Lied ovo Hildebrand und das Wessvbrunncr Gebet". Ja<lb/> so beträchtlich war bereits der gemeinschaftliche Vorrath altdeutscher Poesien und<lb/> gelehrter Untersuchungen angewachsen, daß die Brüder daran denken konnten,<lb/> nachdem Büschings und v. d. Hagens „Museum", an dem sich Jacob betheiligt<lb/> hatte, eingegangen war, ein eigenes Organ, und zwar für sich allein, zu schaffen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Marburg wieder vereinigt, und wiederum in der Zeit von 1810, wo Wilhelm,
nun vollständig genesen, sich nach Kassel begab, bis 1814, wo Jacob, nach dem
Zusammenbrechen des westphälischen Königreiches als Legationssecretär bei
der hessischen Gesandtschaft ins Hauptquartier der Verbündeten und zum zweiten
Male nach Paris gesandt ward, wohin er im Auftrage der preußischen Re¬
gierung im Jahre darauf noch ein drittes Mal kommen sollte. Von Paris ging
er, ebenfalls als Gesandtschaftssecretär, nach Wien (October 1814 bis Juni 181S)
zu den Verhandlungen des dortigen Kongresses, dann aber entsagte er der diplo¬
matischen Laufbahn und fand eine Anstellung an der öffentlichen Bibliothek zu
Kassel, an der sein Bruder Wilhelm bereits 1814 ein Amt erhalten hatte. Seit
dieser Zeit (1816) sind die beiden Brüder nicht wieder getrennt, worden, wenn
wir von den vorübergehenden Folgen der göttinger Katastrophe absehen. Die
Jahre 1810—1816 waren die ihrer so erfolgreichen gemeinsamen Arbeit, die
uns jetzt beschäftigen soll.
Eine Frucht dieser ihrer gemeinsamen Thätigkeit sind zunächst die „Kinder-
und Hausmärchen" (Berlin 1812). Die Bedeutung dieses ebenso liebenswür¬
digen wie wichtigen Werkes ist eine doppelte. Einmal machte es zuerst darauf
aufmerksam, welch ein Schatz des lieblichsten Erzählungsstoffes noch im Volks¬
munde vorhanden sei. und gab Fingerzeige zu seiner wissenschaftlichen Verwerthung.
Eine nicht endende Reihe von Märcbensammlungen bei unF wie bei anderen
Völkern ist diesem Muster gefolgt, und noch immer scheint der Faden nicht ab¬
zureißen. Fast' ebenso bedeutend, wenn nicht noch bedeutender, ist ihre Wich¬
tigkeit für die Literatur im weiteren Sinne und für die GeschmaÄsbildung ge¬
wesen. Wenn man behaupten darf, daß die Richtung der Brüder aus das
Volksthümliche der Sagen- und Märchenwelt recht eigentlich ihren Keim in den
Gedanken- und Empsindungskrcisen der Romantiker hatte, so muß man sagen,
daß ihre Ausführung, der tactvoll getroffene einfache, volksmäßige Ton so durch¬
aus classisch ist, daß kaum ein zweites Werk in solchem Grade ein wirksames
Correctiv gegen die Ueberschwenglichteiten der Romantik geworden ist, als die
grimmschen Märchen. Mit Recht sind sie dem deutschen Volke ein Haus- und
Familienbuch geworden, und mit Recht haben sie gegenwärtig ihren Weg selbst
in die Schulen gefunden. Später überließ Jacob dies Gebiet ganz seinem
Bruder, von dem allein die späteren Ausgaben, namentlich auch die Anmer¬
kungen, ausgegangen zu sein scheinen.
Noch in demselben Jahre erschienen (Kassel 1812) „die beiden ältesten deut¬
schen Gedichte, das Lied ovo Hildebrand und das Wessvbrunncr Gebet". Ja
so beträchtlich war bereits der gemeinschaftliche Vorrath altdeutscher Poesien und
gelehrter Untersuchungen angewachsen, daß die Brüder daran denken konnten,
nachdem Büschings und v. d. Hagens „Museum", an dem sich Jacob betheiligt
hatte, eingegangen war, ein eigenes Organ, und zwar für sich allein, zu schaffen.
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