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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Colorit mehr Leben und- harmonische Stimmung bringen. Wenn nur Viele
den Weg gehen wollten, den nun Füßli in seiner Copie eingeschlagen hat, so
würde der deutschen Kunst mehr gehoben, als mit Kunstschulen, Akademien
und fürstlichen Bestellungen.

Einen Versuch ganz besonderer Art, gegenüber der conventionellen Kunst¬
weise unsers Jahrhunderts die Malerei zu erneuern, haben die Belgier Guf-
sens und Swerts gemacht. Sie wollen im Gegensatz zu dem leeren Pathos
und dem übertriebenen Geberdenspiel der gewöhnlichen Geschichtsmalerei zur
einfachen und naiven Anschauung der älteren Meister, etwa der Flandrer,
zurückkehren. Gestalten und Gruppirung sollen derb und bestimmt nach dem
Leben sein, in bürgerlicher Auffassung die Sache geben, durch die ruhige Ge¬
diegenheit der Erscheinung, die herbe Individualisirung der Köpfe und die
Kraft der Localsarben in einem hellen Tageslicht eine ernste eindringliche Wir¬
kung machen. Aber diesen Versuchen, von denen viel Aufhebens gemacht worden
und die auf den ersten Blick durch die ungewohnte Art imponiren, fehlt bei
näherem Zusehen ganz und gar die Meisterschaft, durch welche die alten Flan¬
drer auch setzt noch wirken; die Empfindung, die diesen eigenthümlich ist, können
sie ohnedieß nicht haben. In dem historischen Carton von GuffenS, der an
der Handelskammer in Brüssel stereochromisch ausgeführt war, aber durch den
Brand der Börse im Jahre 18S8 zerstört ist, wie in dem Oelbild von Swerts
-- Empfang der venetianischen Gesandten in Antwerpen 1324 -- ist die
Handlung wohl anschaulich wiedergegeben; aber es fehlt den Köpfen, die
Charaktere sein wollen, bei scheinbarer Präcision ebenso an der Bestimmtheit
der Form wie am Ausdruck, und so mißglückt ist die Absicht der Einfachheit,
daß die Figuren nur dazustehen scheinen, um sich ansehen zu lassen. In dem
Bilde von Swerts sind zudem die Gestalten auseinander gedrängt, die Farben
grell und unvermittelt, die Gesammtwirkung bunt und hölzern. Das Votiv-
gemälde von GuffenS mit der moderwen Donatoren-Familie, dessen Anordnung
den Alten durchaus nachgebildet ist, zeigt so recht, wie weit der moderne
Künstler gegen diese zurücksteht. In der Mitlelgruppe (Madonna mit Heiligen)
wird die Einfachheit zur nichtssagenden Leerheit und die Köpfe der Donatoren
sind bei einer gewissen Individualität doch süßlich, flach und sentimental.
Moderne Menschen in betender Stellung sind freilich auch für den Maler kein
günstiges Motiv. Vollends anspruchsvoll und altbacken zugleich erscheint diese
gemachte Naivetät in den Bildnissen von Guffens, welche mit grober Härte
einer dennoch unsichern Zeichnung und Trockenheit des Colorits die ganz ge¬
wöhnliche prosaische Erscheinung wiedergeben. Die ganze Richtung ist eine
künstliche, die Gediegenheit der Darstellung nur scheinbar; und wenn auch die
Abwehr der gewöhnlichen conventionellen Manier, das Zurückgehen auf eine
einfache Erscheinungsweise anzuerkennen ist, so ist doch die künstlerische Aus-


Colorit mehr Leben und- harmonische Stimmung bringen. Wenn nur Viele
den Weg gehen wollten, den nun Füßli in seiner Copie eingeschlagen hat, so
würde der deutschen Kunst mehr gehoben, als mit Kunstschulen, Akademien
und fürstlichen Bestellungen.

Einen Versuch ganz besonderer Art, gegenüber der conventionellen Kunst¬
weise unsers Jahrhunderts die Malerei zu erneuern, haben die Belgier Guf-
sens und Swerts gemacht. Sie wollen im Gegensatz zu dem leeren Pathos
und dem übertriebenen Geberdenspiel der gewöhnlichen Geschichtsmalerei zur
einfachen und naiven Anschauung der älteren Meister, etwa der Flandrer,
zurückkehren. Gestalten und Gruppirung sollen derb und bestimmt nach dem
Leben sein, in bürgerlicher Auffassung die Sache geben, durch die ruhige Ge¬
diegenheit der Erscheinung, die herbe Individualisirung der Köpfe und die
Kraft der Localsarben in einem hellen Tageslicht eine ernste eindringliche Wir¬
kung machen. Aber diesen Versuchen, von denen viel Aufhebens gemacht worden
und die auf den ersten Blick durch die ungewohnte Art imponiren, fehlt bei
näherem Zusehen ganz und gar die Meisterschaft, durch welche die alten Flan¬
drer auch setzt noch wirken; die Empfindung, die diesen eigenthümlich ist, können
sie ohnedieß nicht haben. In dem historischen Carton von GuffenS, der an
der Handelskammer in Brüssel stereochromisch ausgeführt war, aber durch den
Brand der Börse im Jahre 18S8 zerstört ist, wie in dem Oelbild von Swerts
— Empfang der venetianischen Gesandten in Antwerpen 1324 — ist die
Handlung wohl anschaulich wiedergegeben; aber es fehlt den Köpfen, die
Charaktere sein wollen, bei scheinbarer Präcision ebenso an der Bestimmtheit
der Form wie am Ausdruck, und so mißglückt ist die Absicht der Einfachheit,
daß die Figuren nur dazustehen scheinen, um sich ansehen zu lassen. In dem
Bilde von Swerts sind zudem die Gestalten auseinander gedrängt, die Farben
grell und unvermittelt, die Gesammtwirkung bunt und hölzern. Das Votiv-
gemälde von GuffenS mit der moderwen Donatoren-Familie, dessen Anordnung
den Alten durchaus nachgebildet ist, zeigt so recht, wie weit der moderne
Künstler gegen diese zurücksteht. In der Mitlelgruppe (Madonna mit Heiligen)
wird die Einfachheit zur nichtssagenden Leerheit und die Köpfe der Donatoren
sind bei einer gewissen Individualität doch süßlich, flach und sentimental.
Moderne Menschen in betender Stellung sind freilich auch für den Maler kein
günstiges Motiv. Vollends anspruchsvoll und altbacken zugleich erscheint diese
gemachte Naivetät in den Bildnissen von Guffens, welche mit grober Härte
einer dennoch unsichern Zeichnung und Trockenheit des Colorits die ganz ge¬
wöhnliche prosaische Erscheinung wiedergeben. Die ganze Richtung ist eine
künstliche, die Gediegenheit der Darstellung nur scheinbar; und wenn auch die
Abwehr der gewöhnlichen conventionellen Manier, das Zurückgehen auf eine
einfache Erscheinungsweise anzuerkennen ist, so ist doch die künstlerische Aus-


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[0218] Colorit mehr Leben und- harmonische Stimmung bringen. Wenn nur Viele den Weg gehen wollten, den nun Füßli in seiner Copie eingeschlagen hat, so würde der deutschen Kunst mehr gehoben, als mit Kunstschulen, Akademien und fürstlichen Bestellungen. Einen Versuch ganz besonderer Art, gegenüber der conventionellen Kunst¬ weise unsers Jahrhunderts die Malerei zu erneuern, haben die Belgier Guf- sens und Swerts gemacht. Sie wollen im Gegensatz zu dem leeren Pathos und dem übertriebenen Geberdenspiel der gewöhnlichen Geschichtsmalerei zur einfachen und naiven Anschauung der älteren Meister, etwa der Flandrer, zurückkehren. Gestalten und Gruppirung sollen derb und bestimmt nach dem Leben sein, in bürgerlicher Auffassung die Sache geben, durch die ruhige Ge¬ diegenheit der Erscheinung, die herbe Individualisirung der Köpfe und die Kraft der Localsarben in einem hellen Tageslicht eine ernste eindringliche Wir¬ kung machen. Aber diesen Versuchen, von denen viel Aufhebens gemacht worden und die auf den ersten Blick durch die ungewohnte Art imponiren, fehlt bei näherem Zusehen ganz und gar die Meisterschaft, durch welche die alten Flan¬ drer auch setzt noch wirken; die Empfindung, die diesen eigenthümlich ist, können sie ohnedieß nicht haben. In dem historischen Carton von GuffenS, der an der Handelskammer in Brüssel stereochromisch ausgeführt war, aber durch den Brand der Börse im Jahre 18S8 zerstört ist, wie in dem Oelbild von Swerts — Empfang der venetianischen Gesandten in Antwerpen 1324 — ist die Handlung wohl anschaulich wiedergegeben; aber es fehlt den Köpfen, die Charaktere sein wollen, bei scheinbarer Präcision ebenso an der Bestimmtheit der Form wie am Ausdruck, und so mißglückt ist die Absicht der Einfachheit, daß die Figuren nur dazustehen scheinen, um sich ansehen zu lassen. In dem Bilde von Swerts sind zudem die Gestalten auseinander gedrängt, die Farben grell und unvermittelt, die Gesammtwirkung bunt und hölzern. Das Votiv- gemälde von GuffenS mit der moderwen Donatoren-Familie, dessen Anordnung den Alten durchaus nachgebildet ist, zeigt so recht, wie weit der moderne Künstler gegen diese zurücksteht. In der Mitlelgruppe (Madonna mit Heiligen) wird die Einfachheit zur nichtssagenden Leerheit und die Köpfe der Donatoren sind bei einer gewissen Individualität doch süßlich, flach und sentimental. Moderne Menschen in betender Stellung sind freilich auch für den Maler kein günstiges Motiv. Vollends anspruchsvoll und altbacken zugleich erscheint diese gemachte Naivetät in den Bildnissen von Guffens, welche mit grober Härte einer dennoch unsichern Zeichnung und Trockenheit des Colorits die ganz ge¬ wöhnliche prosaische Erscheinung wiedergeben. Die ganze Richtung ist eine künstliche, die Gediegenheit der Darstellung nur scheinbar; und wenn auch die Abwehr der gewöhnlichen conventionellen Manier, das Zurückgehen auf eine einfache Erscheinungsweise anzuerkennen ist, so ist doch die künstlerische Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/218>, abgerufen am 15.01.2025.