Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.der Kunst entrückt sind! Das sind Mensckcn, die uns mehr erzählen, als ganze Grenzboten IV. 1863. 27
der Kunst entrückt sind! Das sind Mensckcn, die uns mehr erzählen, als ganze Grenzboten IV. 1863. 27
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116145"/> <p xml:id="ID_811" prev="#ID_810" next="#ID_812"> der Kunst entrückt sind! Das sind Mensckcn, die uns mehr erzählen, als ganze<lb/> Säle von geschichtlichen Fresken, und dasPublicum, das von der Kunst einen<lb/> reichen Inhalt mitgetheilt haben will, wird ihn hier finden, wenn es nur von<lb/> sich aus etwas Phantasie mitbringt. Diese Tiefe und Lebensfülle in die Er¬<lb/> scheinung zu legen, läßt sich freilich nicht lernen; allein wie hier die Natur<lb/> angeschaut und gestaltet ist, wie überhaupt die Alten es gemacht haben, um<lb/> das innere Bild zum lebendigen Ausdruck zu bringen, darum sollte sich die<lb/> deutsche Malerei doch endlich einmal kümmern. Wie die Breite und energische<lb/> Bestimmtheit der Zeichnung den Bau in seinen großen Zügen faßt und mit<lb/> der eigenartigen Bildung des Individuums in Einklang setzt, wie zugleich die<lb/> Form in den malerischen Schein hereingenommen ist, indem die Figuren wie<lb/> in der warmen belebenden Hülle von Licht und Luft sich bewegen und die kräf¬<lb/> tige Fülle der Einzeltöne in die Harmonie des Gescunmttons ausklingt, wie<lb/> hier mit einem Wort die volle Wirkung der Natur ist, aber in dem idealen<lb/> Schein einer ganz freien, ganz selbständigen Kunst, welche die Natur über sie<lb/> selber wieder hinaushebt: das auch nur halbwegs zu erreichen, wird den Mo¬<lb/> dernen micht gelingen, so lange sie mit halben flüchtig überall hergeholten<lb/> Fertigkeiten Originale auf eigene Faust sein wollen. Schon die Aufgabe, die<lb/> vier verschiedenen Noth zu einer so reichen Gesammiwirkung zusammenzustimmen<lb/> würde dem heutigen Künstler schwer werden, und am Aermel des einen-<lb/> Kardinals kann man mehr Freude hahen, als an allen fürstlichen Bildnissen<lb/> dieser und anderer Ausstellungen zusammengenommen. Freilich, das Kolorit<lb/> allein thut es nicht, und wenn manche Moderne der Malerei damit aushelfen<lb/> wollen, daß sie die Dinge in einen „stimmungsvollen" Ton untertauchen und<lb/> darin ihre Form verschwimmen lassen, so wollen sie eine neue Kunstepoche mit<lb/> dem beginnen, womit die anderen aufgehört haben. — Wir haben mehr vom<lb/> Original als von der Copie geredet; indessen mir scheint, es liegt darin eine<lb/> größere Anerkennung derselben, als in einem ausführlichen Lob. Sie hat uns<lb/> mitten unter den umherhängenden Landschaften und Genrebildchen Raphael so<lb/> lebendig vergegenwärtigt, .daß sich dem Auge zunächst die Kluft zwischen mo¬<lb/> derner und alter Kunst aufdrängte. Füßli ist in die Größe des Originals ein¬<lb/> gedrungen , und sein Bild hat unbeschadet der genauen und sorgfältigen Nach¬<lb/> bildung den freien lebendigen Zug desselben. Möglich, daß er in den Händen<lb/> die Freiheit und Durchbildung Raphaels nicht erreicht hat und im Kopfe Leos<lb/> der Ausdruck d^es strengen Ernstes etwas zu sehr ins Mürrische spielt; doch<lb/> um darüber sicher zu urtheilen, müßte man das Original zur unmittelbaren<lb/> Vergleichung bei der Hand haben. Das Frauenporträt von demselben Künstler<lb/> ist einfach aufgefaßt, lebendig und fest in der Form; doch ist die Färbung tro¬<lb/> cken und ohne rechte Wärme und Tiefe. Wer aber nach dem Raphael so copirt<lb/> hat, der wird ohne Zweifel die Form bald noch größer sehen und auch in sein.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1863. 27</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
der Kunst entrückt sind! Das sind Mensckcn, die uns mehr erzählen, als ganze
Säle von geschichtlichen Fresken, und dasPublicum, das von der Kunst einen
reichen Inhalt mitgetheilt haben will, wird ihn hier finden, wenn es nur von
sich aus etwas Phantasie mitbringt. Diese Tiefe und Lebensfülle in die Er¬
scheinung zu legen, läßt sich freilich nicht lernen; allein wie hier die Natur
angeschaut und gestaltet ist, wie überhaupt die Alten es gemacht haben, um
das innere Bild zum lebendigen Ausdruck zu bringen, darum sollte sich die
deutsche Malerei doch endlich einmal kümmern. Wie die Breite und energische
Bestimmtheit der Zeichnung den Bau in seinen großen Zügen faßt und mit
der eigenartigen Bildung des Individuums in Einklang setzt, wie zugleich die
Form in den malerischen Schein hereingenommen ist, indem die Figuren wie
in der warmen belebenden Hülle von Licht und Luft sich bewegen und die kräf¬
tige Fülle der Einzeltöne in die Harmonie des Gescunmttons ausklingt, wie
hier mit einem Wort die volle Wirkung der Natur ist, aber in dem idealen
Schein einer ganz freien, ganz selbständigen Kunst, welche die Natur über sie
selber wieder hinaushebt: das auch nur halbwegs zu erreichen, wird den Mo¬
dernen micht gelingen, so lange sie mit halben flüchtig überall hergeholten
Fertigkeiten Originale auf eigene Faust sein wollen. Schon die Aufgabe, die
vier verschiedenen Noth zu einer so reichen Gesammiwirkung zusammenzustimmen
würde dem heutigen Künstler schwer werden, und am Aermel des einen-
Kardinals kann man mehr Freude hahen, als an allen fürstlichen Bildnissen
dieser und anderer Ausstellungen zusammengenommen. Freilich, das Kolorit
allein thut es nicht, und wenn manche Moderne der Malerei damit aushelfen
wollen, daß sie die Dinge in einen „stimmungsvollen" Ton untertauchen und
darin ihre Form verschwimmen lassen, so wollen sie eine neue Kunstepoche mit
dem beginnen, womit die anderen aufgehört haben. — Wir haben mehr vom
Original als von der Copie geredet; indessen mir scheint, es liegt darin eine
größere Anerkennung derselben, als in einem ausführlichen Lob. Sie hat uns
mitten unter den umherhängenden Landschaften und Genrebildchen Raphael so
lebendig vergegenwärtigt, .daß sich dem Auge zunächst die Kluft zwischen mo¬
derner und alter Kunst aufdrängte. Füßli ist in die Größe des Originals ein¬
gedrungen , und sein Bild hat unbeschadet der genauen und sorgfältigen Nach¬
bildung den freien lebendigen Zug desselben. Möglich, daß er in den Händen
die Freiheit und Durchbildung Raphaels nicht erreicht hat und im Kopfe Leos
der Ausdruck d^es strengen Ernstes etwas zu sehr ins Mürrische spielt; doch
um darüber sicher zu urtheilen, müßte man das Original zur unmittelbaren
Vergleichung bei der Hand haben. Das Frauenporträt von demselben Künstler
ist einfach aufgefaßt, lebendig und fest in der Form; doch ist die Färbung tro¬
cken und ohne rechte Wärme und Tiefe. Wer aber nach dem Raphael so copirt
hat, der wird ohne Zweifel die Form bald noch größer sehen und auch in sein.
Grenzboten IV. 1863. 27
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