Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.schauungsweise der großen Meister, ihre Art, wie sie die Natur aus der bil¬ Hier müssen wir eines Bildes-gedenken, das, wiewohl es kein Original schauungsweise der großen Meister, ihre Art, wie sie die Natur aus der bil¬ Hier müssen wir eines Bildes-gedenken, das, wiewohl es kein Original <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116144"/> <p xml:id="ID_809" prev="#ID_808"> schauungsweise der großen Meister, ihre Art, wie sie die Natur aus der bil¬<lb/> denden Phantasie heraus als eine neue vollendete Welt des Scheins wieder¬<lb/> geboren haben, der modernen Kunst wieder zuzuführen: nicht zur Nachahmung,<lb/> sondern zum freien Gebrauch, damit diese nicht weiter ihre Auffassung des Le¬<lb/> bens in kindischen, sondern in reifen und edlen Formen ausspreche. Verfolgen<lb/> die Künstler diese Aufgabe, so soll man ihnen nicht vorwerfen, daß sie längst<lb/> begrabene Götter wieder auf die Bühne bringen wollen; denn diese Götter,<lb/> aus der Kunst geboren, haben eben deshalb das Recht des ewigen Daseins,<lb/> und so oft sie mit dem Zeugniß jenes Herkommens zurückkehren, müssen sie<lb/> willkommen sein. Wenn das Geschlecht noch zu prosaisch oder zu unfertig ist,<lb/> um sich eigene Götter zu erzeugen, welche die Phantasie gestalten könnte, so<lb/> soll es die Kunst nicht schmähen, wenn sie in einer schönern Welt ihren idealen<lb/> Trieb zu befriedigen und zu bilden sucht. Kommt dann die Zeit, in welcher<lb/> endlich der Inhalt unseres Lebens klar und lebendig vor die Anschauung tre¬<lb/> ten kann, dann hat die Kunst auch, indem sie jenen Weg gemacht hat, die<lb/> Mittel erlangt, ihn im Bilde festzuhalten, und es wird ihr nicht schwer wer¬<lb/> den, die alten Götter zu verlassen. Also nicht so ist es gemeint, daß jene<lb/> Richtung das letzte Wort der modernen Malerei sei; sondern sie soll die leben¬<lb/> dige Vermittlung mit den großen Mustern unterhalten, damit uns nicht die<lb/> Kunst als die Welt schöner Formen verloren gehe und nicht die neue Zeit von<lb/> vorne anzufangen habe. Wäre die italienische Kunst geworden, was sie ist,<lb/> wenn sie nicht an der Antike groß geworden wäre?</p><lb/> <p xml:id="ID_810" next="#ID_811"> Hier müssen wir eines Bildes-gedenken, das, wiewohl es kein Original<lb/> war, den Blick auch des Laien aus sich zog und festhielt: eine Copie von<lb/> W. Füßli nach Raphaels Leo dem Zehnten mit den Cardinälen Medici und<lb/> de Rossi (in der Galerie Pitti zu Florenz). Sie kam erst spät aus Italien,<lb/> als die Ausstellung längst eröffnet war, doch wie gerufen, um uns die Alten<lb/> als die unvergänglichen Muster aufs Neue eindringlich vorzuhalten. Vielleicht<lb/> ist kein anderes Bild Raphaels so geeignet, der neuen Kunst und ihren auf¬<lb/> strebenden Talenten den Weg zu zeigen, den sie zu gehen haben, keines so<lb/> wirksam, um das Gespreizte, die Flausen und das oberflächliche Geschick in<lb/> der modernen Production bloßzulegcn. Denn wohl findet sich in keinem andern<lb/> größern Werke Raphaels, die sixtinische Madonna etwa ausgenommen, eine solche<lb/> Einfachheit großer Auffassung bei so vollendeter Durchbildung der Form und<lb/> Färbung; und dann ist hier der einfachste Vorwurf der Kunst, ein Stoff, den<lb/> die Gegenwart noch täglich liefert, drei Personen nach dem Leben in einem<lb/> Kostüm, das heute noch, wenn auch etwas fadenscheinig und nicht mehr mit<lb/> dem Nimbus früherer Zeiten zu sehen ist. Aber welch eine Welt liegt in die¬<lb/> sem Rahmen, welch ein tiefer Lebensgrund blickt aus den Köpfen, und wie<lb/> gegenwärtig sind diese Gestalten, indem sie doch der Zeit in den idealen Raum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
schauungsweise der großen Meister, ihre Art, wie sie die Natur aus der bil¬
denden Phantasie heraus als eine neue vollendete Welt des Scheins wieder¬
geboren haben, der modernen Kunst wieder zuzuführen: nicht zur Nachahmung,
sondern zum freien Gebrauch, damit diese nicht weiter ihre Auffassung des Le¬
bens in kindischen, sondern in reifen und edlen Formen ausspreche. Verfolgen
die Künstler diese Aufgabe, so soll man ihnen nicht vorwerfen, daß sie längst
begrabene Götter wieder auf die Bühne bringen wollen; denn diese Götter,
aus der Kunst geboren, haben eben deshalb das Recht des ewigen Daseins,
und so oft sie mit dem Zeugniß jenes Herkommens zurückkehren, müssen sie
willkommen sein. Wenn das Geschlecht noch zu prosaisch oder zu unfertig ist,
um sich eigene Götter zu erzeugen, welche die Phantasie gestalten könnte, so
soll es die Kunst nicht schmähen, wenn sie in einer schönern Welt ihren idealen
Trieb zu befriedigen und zu bilden sucht. Kommt dann die Zeit, in welcher
endlich der Inhalt unseres Lebens klar und lebendig vor die Anschauung tre¬
ten kann, dann hat die Kunst auch, indem sie jenen Weg gemacht hat, die
Mittel erlangt, ihn im Bilde festzuhalten, und es wird ihr nicht schwer wer¬
den, die alten Götter zu verlassen. Also nicht so ist es gemeint, daß jene
Richtung das letzte Wort der modernen Malerei sei; sondern sie soll die leben¬
dige Vermittlung mit den großen Mustern unterhalten, damit uns nicht die
Kunst als die Welt schöner Formen verloren gehe und nicht die neue Zeit von
vorne anzufangen habe. Wäre die italienische Kunst geworden, was sie ist,
wenn sie nicht an der Antike groß geworden wäre?
Hier müssen wir eines Bildes-gedenken, das, wiewohl es kein Original
war, den Blick auch des Laien aus sich zog und festhielt: eine Copie von
W. Füßli nach Raphaels Leo dem Zehnten mit den Cardinälen Medici und
de Rossi (in der Galerie Pitti zu Florenz). Sie kam erst spät aus Italien,
als die Ausstellung längst eröffnet war, doch wie gerufen, um uns die Alten
als die unvergänglichen Muster aufs Neue eindringlich vorzuhalten. Vielleicht
ist kein anderes Bild Raphaels so geeignet, der neuen Kunst und ihren auf¬
strebenden Talenten den Weg zu zeigen, den sie zu gehen haben, keines so
wirksam, um das Gespreizte, die Flausen und das oberflächliche Geschick in
der modernen Production bloßzulegcn. Denn wohl findet sich in keinem andern
größern Werke Raphaels, die sixtinische Madonna etwa ausgenommen, eine solche
Einfachheit großer Auffassung bei so vollendeter Durchbildung der Form und
Färbung; und dann ist hier der einfachste Vorwurf der Kunst, ein Stoff, den
die Gegenwart noch täglich liefert, drei Personen nach dem Leben in einem
Kostüm, das heute noch, wenn auch etwas fadenscheinig und nicht mehr mit
dem Nimbus früherer Zeiten zu sehen ist. Aber welch eine Welt liegt in die¬
sem Rahmen, welch ein tiefer Lebensgrund blickt aus den Köpfen, und wie
gegenwärtig sind diese Gestalten, indem sie doch der Zeit in den idealen Raum
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