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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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trag, der eigentlich von ihm ausging. Er schrieb die konservative Haltung des
tiroler Volkes in den vergangenen Jahrhunderten, namentlich bei der kirchlichen
Umwälzung im 16. und bei der politischen im 18. und 19., mehr der weisen
Leitung der Landesfürsten als dem eigenen Verdienste desselben zu. Von jener
bange auch das künftige Glück nicht nur Tirols, sondern vieler benachbarter
Länder ab, eine sociale Umwälzung bereite sich als Folge der früheren vor, und
auch jetzt sähen wieder alle Patrioten vom Rhein bis ans eiserne Thor, von
der Weichsel bis zur Adria aus Oestreich, sie schaarten sich um den Thron Franz
Joseph des Ersten, ihm gelte daher vor Allem das "tirolische Nationalfest", "möge
er denn bei diesem Anlasse in tandesväterlicher Huld herabsehen auf sein treues,
ewig treues Tirol!" Diesen gleißenden Worten, die unter dem Schleier der
Loyalität die Bedingung, an die der Seelenhut die Treue der Aelpler binden
wollte, kaum verhüllten, folgte die allgemeine Zustimmung zu den Anträgen
Haßlwanters. Das "Nationalsest" sollte zu einer Demonstration für die
Glaubcnseinhcit werden, dies war der Plan, den der Bischof von Brixen und
seine Helfershelfer im Schilde führten. Anzeichen davon ließen nicht lange auf
sich warten.

Den ersten Anlaß gab die vom Landtag beschlossene und von dessen Aus¬
schuß verfaßte Adresse an den Kaiser. Darin kam unter andern auch eine
Stelle vor, die deu Dank für die dem Lande Tirol gestattete "freie Selbst-
cntwicklung" aussprach. Dr-. Haßlwanter, der auch Mitglied dieses Ausschusses
ist, verstand darunter vor Allem die Autonomie in dem eigenartigsten Ver¬
hältnisse Tirols, der Einigkeit im Glauben, und auch dem Kaiser sollte dies
wenigstens sinnbildlich klar gemacht werden. Man betraute daher einige ver¬
läßliche Leute, darunter auch einen Geistlichen, mit der Ausschmückung der
Reinschrift, und siehe da, gleich auf der ersten Seite war ein Drache mit der
Inschrift "Häresie" und einer Schleife in den Krallen, worauf "freie Forschung"
stand, und weiter hinten ein Kirchlein mit den Buchstaben (?. it., nämlich
"Glaubenscinhcit", so wie ein Kapuziner, der die Bauern zum Kampfe an¬
führt, zu erblicken. Die Inschriften "freie Forschung" und (Z-. mußten
zwar auf Anordnung des Landeshauptmanns entfernt werden, die Symbole
hingegen blieben stehen, und die Abgeordneten des Ausschusses überreichten dem
Kaiser am 6. August das so sinnig verzierte Pergament.

Die Feier selbst dachte man anfänglich in ganz eigenthümlicher Weise zu
veranstalten. Wenn bis dahin die Glaubenseinheit nicht gewährt wäre, sollten
die Tiroler "ein Volk in Trauer" vorstellen, kein Fcstjubel aufkommen, ja selbst
das Freischießcn die gedankenlose Kurzweil des gewöhnlichen Wettkampfes auf
der Scheibe nicht überbieten. Die Regierung mochte begreifen lernen, daß im
Volke mit der Verweigerung der Glaubenseinheit alle Lust erstorben, die Sehne
seiner Kraft durchschnitten sei. Damit war aber, wie sich bald zeigte, nicht


trag, der eigentlich von ihm ausging. Er schrieb die konservative Haltung des
tiroler Volkes in den vergangenen Jahrhunderten, namentlich bei der kirchlichen
Umwälzung im 16. und bei der politischen im 18. und 19., mehr der weisen
Leitung der Landesfürsten als dem eigenen Verdienste desselben zu. Von jener
bange auch das künftige Glück nicht nur Tirols, sondern vieler benachbarter
Länder ab, eine sociale Umwälzung bereite sich als Folge der früheren vor, und
auch jetzt sähen wieder alle Patrioten vom Rhein bis ans eiserne Thor, von
der Weichsel bis zur Adria aus Oestreich, sie schaarten sich um den Thron Franz
Joseph des Ersten, ihm gelte daher vor Allem das „tirolische Nationalfest", „möge
er denn bei diesem Anlasse in tandesväterlicher Huld herabsehen auf sein treues,
ewig treues Tirol!" Diesen gleißenden Worten, die unter dem Schleier der
Loyalität die Bedingung, an die der Seelenhut die Treue der Aelpler binden
wollte, kaum verhüllten, folgte die allgemeine Zustimmung zu den Anträgen
Haßlwanters. Das „Nationalsest" sollte zu einer Demonstration für die
Glaubcnseinhcit werden, dies war der Plan, den der Bischof von Brixen und
seine Helfershelfer im Schilde führten. Anzeichen davon ließen nicht lange auf
sich warten.

Den ersten Anlaß gab die vom Landtag beschlossene und von dessen Aus¬
schuß verfaßte Adresse an den Kaiser. Darin kam unter andern auch eine
Stelle vor, die deu Dank für die dem Lande Tirol gestattete „freie Selbst-
cntwicklung" aussprach. Dr-. Haßlwanter, der auch Mitglied dieses Ausschusses
ist, verstand darunter vor Allem die Autonomie in dem eigenartigsten Ver¬
hältnisse Tirols, der Einigkeit im Glauben, und auch dem Kaiser sollte dies
wenigstens sinnbildlich klar gemacht werden. Man betraute daher einige ver¬
läßliche Leute, darunter auch einen Geistlichen, mit der Ausschmückung der
Reinschrift, und siehe da, gleich auf der ersten Seite war ein Drache mit der
Inschrift „Häresie" und einer Schleife in den Krallen, worauf „freie Forschung"
stand, und weiter hinten ein Kirchlein mit den Buchstaben (?. it., nämlich
„Glaubenscinhcit", so wie ein Kapuziner, der die Bauern zum Kampfe an¬
führt, zu erblicken. Die Inschriften „freie Forschung" und (Z-. mußten
zwar auf Anordnung des Landeshauptmanns entfernt werden, die Symbole
hingegen blieben stehen, und die Abgeordneten des Ausschusses überreichten dem
Kaiser am 6. August das so sinnig verzierte Pergament.

Die Feier selbst dachte man anfänglich in ganz eigenthümlicher Weise zu
veranstalten. Wenn bis dahin die Glaubenseinheit nicht gewährt wäre, sollten
die Tiroler „ein Volk in Trauer" vorstellen, kein Fcstjubel aufkommen, ja selbst
das Freischießcn die gedankenlose Kurzweil des gewöhnlichen Wettkampfes auf
der Scheibe nicht überbieten. Die Regierung mochte begreifen lernen, daß im
Volke mit der Verweigerung der Glaubenseinheit alle Lust erstorben, die Sehne
seiner Kraft durchschnitten sei. Damit war aber, wie sich bald zeigte, nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/182>, abgerufen am 15.01.2025.