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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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den Theile von Webers Aufforderung zum Tanz so ziemlich wieder eingeübt,
während der dritte Theil mit seinen Läufern mir Schwierigkeiten entgegenstellte,
Vor denen die Steifheit meiner Finger erliegen zu müssen schien.

"Das hilft Alles nichts," entgegnete K. aus meinen Einwurf. "Du kommst
gleich mit mir zum Principal. Spiele mir aber erst etwas vor."

Mit bangen Vorahnungen setzte ich mich ans Klavier, haspelte die ersten
beiden Theile der Aufforderung ab und blieb im dritten Theile, wie ich voraus¬
gesehen, stecken.

"Ach, das ist Unsinn!" fuhr mich jener an. "Wenn Du stecken bleiben
willst! Das ist gar nichts!"

"Bester Freund," antwortete ich begütigend, "ich bliebe ja von gan¬
zem Herzen gern nicht stecken; aber ich muß ja, weil ich das Stück nicht kann. "

"Ach was! närrisches Zeug! Das muß Alles in einem Zuge fortgehen,
sonst ist Deine Sache gar nichts. Aber komm nur mit."

So brachen wir denn auf, um den Principal des gedachten Instituts zu
treffen, der in einer großen Musikalienhandlung nicht fern von meiner Woh¬
nung zu sprechen war. Mein Freund sollte den Dolmetscher machen, da ich
noch nicht englisch sprechen konnte und überhaupt sehr wenig Englisch verstand.
In der Bekümmerniß meines Herzens suchte ich unterwegs meinem Begleiter
einzuschärfen, den Principal vom Zustand meiner künstlerischen Leistungsfähig¬
keit gewissenhaft in Kenntniß zu setzen, ihm aber auch zugleich bemerklich zu
machen, daß ich mit eisernem Fleiße das Fehlende nachzuholen bemüht sein werde."

"Rede doch um Himmelswillen nicht solch wunderliches Zeug!" erwiderte
jener. "Das geht in Amerika gar nicht, Liebster. Hier muß man Alles kön¬
nen. Der Amerikaner verlangt einen fertigen Mann. Wenn ich dem Principale
Deine Predigt halten wollte, wäre die Stelle unbedingt für Dich verloren."

Durch diese Worte in eine ganz eigenthümliche Stimmung versetzt, betrat
ich die Musikalienhandlung. Der Principal, Herr Poindexter, ein wohlbeleib¬
ter Herr und Methodist, war zugegen, musterte mich vom Kops bis zu den
Füßen und schien mich dann für den wirklichen und wahrhaftigen Besitzer der
erwähnten drei schönen Künste zu halten. Bei meinem Eintritt in den Laden
hatte ich übrigens mit Entsetzen in der Nähe des Einganges ein offen stehen¬
des Piano bemerkt und suchte daher den Schauplatz der Verhandlungen mög¬
lichst fern von diesem Instrument zu verlegen, damit nicht ein zufälliger Blick
auf dasselbe den Principal bestimme, den Vortrag eines Stückes von mir zu
verlangen.

Die Unterhandlungen begannen zwischen meinem Freunde und Poindexter
und waten überraschend schnell zu Ende gebracht. Denn es' dauerte keine fünf
Minuten, so eröffnete mir jener, daß Alles in der Ordnung und ick als Pro¬
fessor der Malerei, Zeichnenkunst und Musik engagirt sei. Das ging mir denn


Grenzboten IV. 1863. 20

den Theile von Webers Aufforderung zum Tanz so ziemlich wieder eingeübt,
während der dritte Theil mit seinen Läufern mir Schwierigkeiten entgegenstellte,
Vor denen die Steifheit meiner Finger erliegen zu müssen schien.

„Das hilft Alles nichts," entgegnete K. aus meinen Einwurf. „Du kommst
gleich mit mir zum Principal. Spiele mir aber erst etwas vor."

Mit bangen Vorahnungen setzte ich mich ans Klavier, haspelte die ersten
beiden Theile der Aufforderung ab und blieb im dritten Theile, wie ich voraus¬
gesehen, stecken.

„Ach, das ist Unsinn!" fuhr mich jener an. „Wenn Du stecken bleiben
willst! Das ist gar nichts!"

„Bester Freund," antwortete ich begütigend, „ich bliebe ja von gan¬
zem Herzen gern nicht stecken; aber ich muß ja, weil ich das Stück nicht kann. "

„Ach was! närrisches Zeug! Das muß Alles in einem Zuge fortgehen,
sonst ist Deine Sache gar nichts. Aber komm nur mit."

So brachen wir denn auf, um den Principal des gedachten Instituts zu
treffen, der in einer großen Musikalienhandlung nicht fern von meiner Woh¬
nung zu sprechen war. Mein Freund sollte den Dolmetscher machen, da ich
noch nicht englisch sprechen konnte und überhaupt sehr wenig Englisch verstand.
In der Bekümmerniß meines Herzens suchte ich unterwegs meinem Begleiter
einzuschärfen, den Principal vom Zustand meiner künstlerischen Leistungsfähig¬
keit gewissenhaft in Kenntniß zu setzen, ihm aber auch zugleich bemerklich zu
machen, daß ich mit eisernem Fleiße das Fehlende nachzuholen bemüht sein werde."

„Rede doch um Himmelswillen nicht solch wunderliches Zeug!" erwiderte
jener. „Das geht in Amerika gar nicht, Liebster. Hier muß man Alles kön¬
nen. Der Amerikaner verlangt einen fertigen Mann. Wenn ich dem Principale
Deine Predigt halten wollte, wäre die Stelle unbedingt für Dich verloren."

Durch diese Worte in eine ganz eigenthümliche Stimmung versetzt, betrat
ich die Musikalienhandlung. Der Principal, Herr Poindexter, ein wohlbeleib¬
ter Herr und Methodist, war zugegen, musterte mich vom Kops bis zu den
Füßen und schien mich dann für den wirklichen und wahrhaftigen Besitzer der
erwähnten drei schönen Künste zu halten. Bei meinem Eintritt in den Laden
hatte ich übrigens mit Entsetzen in der Nähe des Einganges ein offen stehen¬
des Piano bemerkt und suchte daher den Schauplatz der Verhandlungen mög¬
lichst fern von diesem Instrument zu verlegen, damit nicht ein zufälliger Blick
auf dasselbe den Principal bestimme, den Vortrag eines Stückes von mir zu
verlangen.

Die Unterhandlungen begannen zwischen meinem Freunde und Poindexter
und waten überraschend schnell zu Ende gebracht. Denn es' dauerte keine fünf
Minuten, so eröffnete mir jener, daß Alles in der Ordnung und ick als Pro¬
fessor der Malerei, Zeichnenkunst und Musik engagirt sei. Das ging mir denn


Grenzboten IV. 1863. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/161>, abgerufen am 15.01.2025.