Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.rale Vorschläge, die im englischen und östreichischen Lager das höchste Mißfallen Kaiser Franz, von "seinem Gewissen gedrungen", dem zarten Gewissen, Castlereagh meinte: "Noch nicht", und Talleyrand kam auf das zurück, was Man trennte sich mit dem Beschluß, daß England die Bildung einer "sta¬ rale Vorschläge, die im englischen und östreichischen Lager das höchste Mißfallen Kaiser Franz, von „seinem Gewissen gedrungen", dem zarten Gewissen, Castlereagh meinte: „Noch nicht", und Talleyrand kam auf das zurück, was Man trennte sich mit dem Beschluß, daß England die Bildung einer „sta¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116070"/> <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499"> rale Vorschläge, die im englischen und östreichischen Lager das höchste Mißfallen<lb/> erregten. Krakau und Thorn zu Republiken erklärt, das Herzogthum Warschau<lb/> ein constitutionelles Reich, die polnischen Provinzen Oestreichs und Preußens<lb/> mit landständischen Verfassungen ausgestattet. Sachsen ganz mit'Preußen ver¬<lb/> bunden, Deutschland ein Bundesstaat, in den einzelnen deutschen Ländern par¬<lb/> lamentarische Einrichtungen — das waren Forderungen, welche in Wien wie<lb/> in London als entschieden revolutionär galten, und so gewann es täglich<lb/> mehr den Anschein, als sollte der Zwist durch die Waffen geschlichtet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_501"> Kaiser Franz, von „seinem Gewissen gedrungen", dem zarten Gewissen,<lb/> welches Cobentzls und Thuguts begehrliche Politik geleitet, und welches 1793<lb/> das Gebiet des neutralen Venedig als Preis für die Fortsetzung des Kriegs<lb/> gegen Frankreich verlangt, erklärte jetzt schlankweg: „Der König von Sachsen<lb/> muß sein Land wieder haben, sonst schieße ich." Alexander seinerseits demon-<lb/> strirte, nachdem es ihm mißlungen, Talleyrand zu gewinnen, rücksichtsloser wie<lb/> je gegen die Bourbonen. Talleyrand, welcher zum Entgeld dafür den Libera¬<lb/> lismus Alexanders mit beißenden Witzen verspottete, glaubte jetzt den rechten<lb/> Augenblick gekommen. Er schlug Castlereagh vor, die Rechte des Königs von<lb/> Sachsen amtlich anzuerkennen und bezeichnete als das sicherste Mittel dazu eine<lb/> „Convention" zwischen England, Oestreich und Frankreich. „Aber ein Bünd-<lb/> niß," rief Castlereagh erschrocken aus, „setzt einen Krieg voraus oder kann<lb/> dazu führen! Und unser Auftrag ist, alles Mögliche zu thun, um einen Krieg<lb/> zu verhüten." — Dazu müsse man auch alles Mögliche thun, belehrte Talley¬<lb/> rand, nur nicht die Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas auf¬<lb/> opfern. — Ein Krieg würde aber in England sehr ungern gesehen werden.—<lb/> Er würde im Gegentheil populär sein, erwiderte der französische Diplomat,<lb/> wenn man-ihm ein großes Ziel Von europäischem Interesse gäbe. — Welches?<lb/> — „Die Herstellung Polens!"</p><lb/> <p xml:id="ID_502"> Castlereagh meinte: „Noch nicht", und Talleyrand kam auf das zurück, was<lb/> ihm eigentlich am Herzen lag, er sagte, es sei gleichgiltig, wie die Rechte des<lb/> Königs von Sachsen anerkannt würden, ob durch eine Convention, Noten oder<lb/> ein Protokoll, nur daß es geschehe, sei wichtig. Castlereagh wich diesmal noch<lb/> aus, indem er antwortete: „Oestreich hat die Rechte des Königs von Sachsen<lb/> anerkannt, Sie haben sie amtlich anerkannt, ich erkenne sie laut an. Ist der<lb/> Unterschied wohl so groß, daß er einen Act, wie Sie ihn verlangen, nöthig<lb/> macht?"</p><lb/> <p xml:id="ID_503" next="#ID_504"> Man trennte sich mit dem Beschluß, daß England die Bildung einer „sta¬<lb/> tistischen Commission" beantragen sollte, deren Ausgabe es wäre, sich genaue<lb/> Kenntniß von allen zur Verfügung stehenden Gebieten zu vsrschaffen und da¬<lb/> durch den Unterhandlungen über die Vertheilung eine sichere Grundlage zu<lb/> geben. Diese Commission wurde wirklich gebildet, und Talleyrand verstand es,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
rale Vorschläge, die im englischen und östreichischen Lager das höchste Mißfallen
erregten. Krakau und Thorn zu Republiken erklärt, das Herzogthum Warschau
ein constitutionelles Reich, die polnischen Provinzen Oestreichs und Preußens
mit landständischen Verfassungen ausgestattet. Sachsen ganz mit'Preußen ver¬
bunden, Deutschland ein Bundesstaat, in den einzelnen deutschen Ländern par¬
lamentarische Einrichtungen — das waren Forderungen, welche in Wien wie
in London als entschieden revolutionär galten, und so gewann es täglich
mehr den Anschein, als sollte der Zwist durch die Waffen geschlichtet werden.
Kaiser Franz, von „seinem Gewissen gedrungen", dem zarten Gewissen,
welches Cobentzls und Thuguts begehrliche Politik geleitet, und welches 1793
das Gebiet des neutralen Venedig als Preis für die Fortsetzung des Kriegs
gegen Frankreich verlangt, erklärte jetzt schlankweg: „Der König von Sachsen
muß sein Land wieder haben, sonst schieße ich." Alexander seinerseits demon-
strirte, nachdem es ihm mißlungen, Talleyrand zu gewinnen, rücksichtsloser wie
je gegen die Bourbonen. Talleyrand, welcher zum Entgeld dafür den Libera¬
lismus Alexanders mit beißenden Witzen verspottete, glaubte jetzt den rechten
Augenblick gekommen. Er schlug Castlereagh vor, die Rechte des Königs von
Sachsen amtlich anzuerkennen und bezeichnete als das sicherste Mittel dazu eine
„Convention" zwischen England, Oestreich und Frankreich. „Aber ein Bünd-
niß," rief Castlereagh erschrocken aus, „setzt einen Krieg voraus oder kann
dazu führen! Und unser Auftrag ist, alles Mögliche zu thun, um einen Krieg
zu verhüten." — Dazu müsse man auch alles Mögliche thun, belehrte Talley¬
rand, nur nicht die Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas auf¬
opfern. — Ein Krieg würde aber in England sehr ungern gesehen werden.—
Er würde im Gegentheil populär sein, erwiderte der französische Diplomat,
wenn man-ihm ein großes Ziel Von europäischem Interesse gäbe. — Welches?
— „Die Herstellung Polens!"
Castlereagh meinte: „Noch nicht", und Talleyrand kam auf das zurück, was
ihm eigentlich am Herzen lag, er sagte, es sei gleichgiltig, wie die Rechte des
Königs von Sachsen anerkannt würden, ob durch eine Convention, Noten oder
ein Protokoll, nur daß es geschehe, sei wichtig. Castlereagh wich diesmal noch
aus, indem er antwortete: „Oestreich hat die Rechte des Königs von Sachsen
anerkannt, Sie haben sie amtlich anerkannt, ich erkenne sie laut an. Ist der
Unterschied wohl so groß, daß er einen Act, wie Sie ihn verlangen, nöthig
macht?"
Man trennte sich mit dem Beschluß, daß England die Bildung einer „sta¬
tistischen Commission" beantragen sollte, deren Ausgabe es wäre, sich genaue
Kenntniß von allen zur Verfügung stehenden Gebieten zu vsrschaffen und da¬
durch den Unterhandlungen über die Vertheilung eine sichere Grundlage zu
geben. Diese Commission wurde wirklich gebildet, und Talleyrand verstand es,
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