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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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aber weil die vornehmsten deutschen Staaten gegen dieselbe seien und sich
nur mit Mißtrauen einem Bunde anschließen würden, der auf eine solche That¬
sache gegründet wäre. Auch Frankreich widerspreche und könne sich demnach
leicht an die Spitze der kleinern deutschen Staaten stellen; dem müsse man
zuvorkommen. Zum Schlüsse bot er eine Entschädigung Preußens an, der zu¬
folge demselben etwa ein Fünftel Sachsens zufallen und das Fehlende in Po¬
len und am Rhein gesucht werden sollte.

Hardenberg war mit Recht entrüstet darüber, daß Oestreich, nachdem es zuerst
unter Bedingungen in die Einverleibung ganz Sachsens gewilligt, dann drei
Viertheile desselben angeboten, jetzt ohne Anlaß zu einer Sinnesänderung mit
solchen Vorschlägen kam. Er legte seinen ganzen Schriftwechsel mit Metternich
seit dem 4. October dem Kaiser Alexander vor. Dieser erklärte entschieden,
Preußen solle selbst das Maß seiner Forderungen bestimmen, er werde es mit
seiner ganzen Heeresmacht unterstützen. Der Briefwechsel zeige, daß Metternich
Preußen und Rußland trennen wolle. Die Sache müsse unter den drei Mäch¬
ten Rußland, Oestreich und Preußen abgemacht werden und zwar schleunig.
Selbst von einem Ultimatum sprach er, und -- noch an demselben Tage
(11. December) hatte er die von Hardenberg erhaltenen Papiere dem Kaiser
Franz vorgelegt. Dieser "die Geradheit, die Aufrichtigkeit, die Gerechtigkeit
selbst", mißbilligte das Verfahren seines Ministers dem Anscheine nach sehr ent¬
schieden, aber Metternich blieb an der Spitze der Geschäfte und fuhr fort sie
wie bisher zu leiten. Ja er war jetzt nur noch eifriger bemüht, Nußland von
Preußen zu trennen. Während er Hardenberg zu überreden suchte, seine letzte
Note sei keine amtliche, sondern nur eine vertrauliche gewesen (eine Lüge, denn
er hatte sie Castlereagh und Talleyrand mitgetheilt), bemühte er sich persönlich
zu Alexander, um Hardenberg als Feind Rußlands zu denunciren, zu welchem
Zweck er eine Denkschrift des preußischen Ministers aus der Zeit vor dem
6. November übergab, in welcher es hieß: man dürfe jetzt nicht feindliche Ma߬
regeln gegen Rußland ergreifen, sondern müsse nachgeben und die Sicherheit
Europas darin suchen, daß man sich in den Stand setze, künftig russischen
Unternehmungen zu widerstehen. Preußens Verlangen nach Sachsen sollte auf
diese Weise als Vorbereitung zum Kampfe mit Rußland erscheinen, und ge¬
heimnißvoll fügte Metternich hinzu, daß er noch mehre Schreiben Harte-nbergs
besitze, von denen er indeß nicht Gebrauch machen dürfe, da sie Geheimnisse
eines Dritten -- sollte heißen des Königs von Preußen -- enthielten.

Dieser Schritt hatte aber nicht den gewünschten Erfolg; denn Alexander
zeigte sich empört, nannte das Verfahren Metternichs einen Act der Treulosig¬
keit, erklärte, mit einem so unzuverlässigen Menschen nicht mehr unterhandeln
zu wollen, und verbot sogar den Mitgliedern der kaiserlichen Familie den Ver¬
kehr mit ihm.


aber weil die vornehmsten deutschen Staaten gegen dieselbe seien und sich
nur mit Mißtrauen einem Bunde anschließen würden, der auf eine solche That¬
sache gegründet wäre. Auch Frankreich widerspreche und könne sich demnach
leicht an die Spitze der kleinern deutschen Staaten stellen; dem müsse man
zuvorkommen. Zum Schlüsse bot er eine Entschädigung Preußens an, der zu¬
folge demselben etwa ein Fünftel Sachsens zufallen und das Fehlende in Po¬
len und am Rhein gesucht werden sollte.

Hardenberg war mit Recht entrüstet darüber, daß Oestreich, nachdem es zuerst
unter Bedingungen in die Einverleibung ganz Sachsens gewilligt, dann drei
Viertheile desselben angeboten, jetzt ohne Anlaß zu einer Sinnesänderung mit
solchen Vorschlägen kam. Er legte seinen ganzen Schriftwechsel mit Metternich
seit dem 4. October dem Kaiser Alexander vor. Dieser erklärte entschieden,
Preußen solle selbst das Maß seiner Forderungen bestimmen, er werde es mit
seiner ganzen Heeresmacht unterstützen. Der Briefwechsel zeige, daß Metternich
Preußen und Rußland trennen wolle. Die Sache müsse unter den drei Mäch¬
ten Rußland, Oestreich und Preußen abgemacht werden und zwar schleunig.
Selbst von einem Ultimatum sprach er, und — noch an demselben Tage
(11. December) hatte er die von Hardenberg erhaltenen Papiere dem Kaiser
Franz vorgelegt. Dieser „die Geradheit, die Aufrichtigkeit, die Gerechtigkeit
selbst", mißbilligte das Verfahren seines Ministers dem Anscheine nach sehr ent¬
schieden, aber Metternich blieb an der Spitze der Geschäfte und fuhr fort sie
wie bisher zu leiten. Ja er war jetzt nur noch eifriger bemüht, Nußland von
Preußen zu trennen. Während er Hardenberg zu überreden suchte, seine letzte
Note sei keine amtliche, sondern nur eine vertrauliche gewesen (eine Lüge, denn
er hatte sie Castlereagh und Talleyrand mitgetheilt), bemühte er sich persönlich
zu Alexander, um Hardenberg als Feind Rußlands zu denunciren, zu welchem
Zweck er eine Denkschrift des preußischen Ministers aus der Zeit vor dem
6. November übergab, in welcher es hieß: man dürfe jetzt nicht feindliche Ma߬
regeln gegen Rußland ergreifen, sondern müsse nachgeben und die Sicherheit
Europas darin suchen, daß man sich in den Stand setze, künftig russischen
Unternehmungen zu widerstehen. Preußens Verlangen nach Sachsen sollte auf
diese Weise als Vorbereitung zum Kampfe mit Rußland erscheinen, und ge¬
heimnißvoll fügte Metternich hinzu, daß er noch mehre Schreiben Harte-nbergs
besitze, von denen er indeß nicht Gebrauch machen dürfe, da sie Geheimnisse
eines Dritten — sollte heißen des Königs von Preußen — enthielten.

Dieser Schritt hatte aber nicht den gewünschten Erfolg; denn Alexander
zeigte sich empört, nannte das Verfahren Metternichs einen Act der Treulosig¬
keit, erklärte, mit einem so unzuverlässigen Menschen nicht mehr unterhandeln
zu wollen, und verbot sogar den Mitgliedern der kaiserlichen Familie den Ver¬
kehr mit ihm.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/140>, abgerufen am 15.01.2025.