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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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eine bestimmte Richtung, die Richtung nach dem Ziele Talleyrands erhalten
hatte. Was anfangs als die Hauptaufgabe des europäischen Fürstenraths ge¬
golten, wurde jetzt fallen gelassen: man gestattete dem Kaiser Alexander seine
bisher für hochgefährlich angesehenen Pläne mit Polen auszuführen. Was
Nebensache gewesen war. die Entscheidung in Betreff Sachsens, wurde zur
Hauptfrage, und England wie Oestreich traten jetzt entschieden gegen Preußens
Ansprüche auf.

Die Gründe für diese Aenderung waren für Castlereagh doppelter Art.
Einmal hatte die parlamentarische Opposition in London, mit der in England
gewöhnlichen Unkenntnis; parlamentarischer Verhältnisse die Bevölkerung Sachsens
als eine eigne "Nation" auffassend, sich empört dagegen geäußert, daß ein Diplo¬
matenverein über die Selbständigkeit einer Nation entscheiden solle. Sodann
hatte der Prinz-Regent es Sanscülottismus genannt, die Interessen der sächsi¬
schen Dynastie zu vernachlässigen, und Castlereagh war nicht blos ein mittel¬
mäßiger Kopf, sondern auch eine furchtsame Seele.

Metternichs Motive dagegen ersehen wir zum Theil aus einem Wort, welches
er um diese Zeit gegen Gagern fallen ließ. "Was Sachsen betrifft," sagte er, "so
haben wir einen bestimmten Entschluß gefaßt. Oestreich stellt sich an die Spitze der
Mächte, die sich weigern. Zunächst aus einem guten Grunde: nämlich um
diese Rolle nicht Frankreich zu überlassen." D. h. Oestreich dachte,
wie noch diesen Tag, seinen Einfluß in Deutschland darauf zu begründen, daß
es sich zum Schirmvogt der dynastischen Interessen im Gegensatz zu den natio¬
nalen machte, und besorgte nun, Frankreich könne ihm in dieser Richtung den
'Rang ablaufen, wenn man nicht mit wo möglich noch größerem Eifer für den
König von Sachsen in die Schranken trat. Der Eiser, den man dabei entwickelte,
mußte durch einen höheren Wärmegrad gut machen, daß er . ein verspäteter war.

So lautete die Antwort Metternichs auf jenes bewegliche Schreiben Harden-
bergs (10. December) sehr wenig befriedigend für Preußen. Es hieß da, indem
man darauf habe verzichten müssen, die wichtigste der Fragen, die in Wien zu
lösen gewesen, die in Betreff des Herzogthums Warschau, im Interesse Europas
durch Wiederherstellung eines unabhängigen Polens*) oder eine Theilung des
Herzogthums zu erledigen, habe Oestreich seine Forderungen dem Wunsche nach
Frieden untergeordnet. Nur dürften Thorn und Krakau nicht, zu freien Städten
erhoben, unabhängig bleiben, und die Bestimmungen in Betreff der Verfassung,
welche das russische Polen erhalten solle, müßten gemeinschaftlich getroffen wer¬
den. Die Vereinigung Sachsens mit Preußen, erklärte die Note dann weiter¬
hin, sei durchaus unzulässig, und zwar zunächst wegen der Grundsätze des
Kaisers Franz, der Familienbande, der Grenz- und Nachbarverhältnisse, dann



Welches gerade Oestreich nie gewollt, nie wollen gekonnt.
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eine bestimmte Richtung, die Richtung nach dem Ziele Talleyrands erhalten
hatte. Was anfangs als die Hauptaufgabe des europäischen Fürstenraths ge¬
golten, wurde jetzt fallen gelassen: man gestattete dem Kaiser Alexander seine
bisher für hochgefährlich angesehenen Pläne mit Polen auszuführen. Was
Nebensache gewesen war. die Entscheidung in Betreff Sachsens, wurde zur
Hauptfrage, und England wie Oestreich traten jetzt entschieden gegen Preußens
Ansprüche auf.

Die Gründe für diese Aenderung waren für Castlereagh doppelter Art.
Einmal hatte die parlamentarische Opposition in London, mit der in England
gewöhnlichen Unkenntnis; parlamentarischer Verhältnisse die Bevölkerung Sachsens
als eine eigne „Nation" auffassend, sich empört dagegen geäußert, daß ein Diplo¬
matenverein über die Selbständigkeit einer Nation entscheiden solle. Sodann
hatte der Prinz-Regent es Sanscülottismus genannt, die Interessen der sächsi¬
schen Dynastie zu vernachlässigen, und Castlereagh war nicht blos ein mittel¬
mäßiger Kopf, sondern auch eine furchtsame Seele.

Metternichs Motive dagegen ersehen wir zum Theil aus einem Wort, welches
er um diese Zeit gegen Gagern fallen ließ. „Was Sachsen betrifft," sagte er, „so
haben wir einen bestimmten Entschluß gefaßt. Oestreich stellt sich an die Spitze der
Mächte, die sich weigern. Zunächst aus einem guten Grunde: nämlich um
diese Rolle nicht Frankreich zu überlassen." D. h. Oestreich dachte,
wie noch diesen Tag, seinen Einfluß in Deutschland darauf zu begründen, daß
es sich zum Schirmvogt der dynastischen Interessen im Gegensatz zu den natio¬
nalen machte, und besorgte nun, Frankreich könne ihm in dieser Richtung den
'Rang ablaufen, wenn man nicht mit wo möglich noch größerem Eifer für den
König von Sachsen in die Schranken trat. Der Eiser, den man dabei entwickelte,
mußte durch einen höheren Wärmegrad gut machen, daß er . ein verspäteter war.

So lautete die Antwort Metternichs auf jenes bewegliche Schreiben Harden-
bergs (10. December) sehr wenig befriedigend für Preußen. Es hieß da, indem
man darauf habe verzichten müssen, die wichtigste der Fragen, die in Wien zu
lösen gewesen, die in Betreff des Herzogthums Warschau, im Interesse Europas
durch Wiederherstellung eines unabhängigen Polens*) oder eine Theilung des
Herzogthums zu erledigen, habe Oestreich seine Forderungen dem Wunsche nach
Frieden untergeordnet. Nur dürften Thorn und Krakau nicht, zu freien Städten
erhoben, unabhängig bleiben, und die Bestimmungen in Betreff der Verfassung,
welche das russische Polen erhalten solle, müßten gemeinschaftlich getroffen wer¬
den. Die Vereinigung Sachsens mit Preußen, erklärte die Note dann weiter¬
hin, sei durchaus unzulässig, und zwar zunächst wegen der Grundsätze des
Kaisers Franz, der Familienbande, der Grenz- und Nachbarverhältnisse, dann



Welches gerade Oestreich nie gewollt, nie wollen gekonnt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/139>, abgerufen am 15.01.2025.