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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Armee angekündigt, eine Maßregel, die am entschiedensten bekundete, daß Ru߬
land nicht gesonnen war. auf Polen zu verzichten.

Daß indeß der Kaiser von Rußland nicht so fest entschlossen war. als es
schien, zeigt ein Gespräch, das er um diese Zeit mit dem sehr kriegerisch gesinnten
Schwarzenberg hatte. Aufgefordert, ohne Rückhalt zu sprechen, hatte dieser erklärt:
Rußlands Verfahren gegen Oestreich sei nicht ganz loyal, seine Ansprüche gefährde¬
ten Oestreich und würden bald einen neuen Krieg herbeiführen. Da rief der
Kaiser in einem unbewachten Augenblicke aus: "Wenn ich mich nur weniger
tief eingelassen hätte. Aber wie kann ich mich wieder losmachen? Sie sehen
selbst: wie die Sachen jetzt stehen, kann ich unmöglich zurück."

So sprach der getreue Freund Friedrich Wilhelms nicht volle acht Tage
nachdem er jene zu Ende unseres ersten Abschnitts geschilderte gefühlvolle
Scene mit dem König von Preußen hervorgerufen hatte.

Ein Gespräch mit Talleyrand zeigte dann wenig später (am 14. November)
etwas deutlicher, daß Alexander nur seine Verpflichtungen hinsichtlich Sachsens
meinte, wenn er sich so weit eingelassen zu haben beklagte. Die Rede kam
hier sehr bald von Polen auf Sachsen, und Talleyrand machte geltend, daß es
sich hier für den König von Frankreich nicht blos um eine Familienangelegen¬
heit, sondern vielmehr um ein erhabenes Princip, um die Interessen aller Kö¬
nige, um die heiligsten Interessen Alexanders selbst handele. -- Alexander wen¬
dete ein, er spreche stets von Principien, aber es sei auch ein Princip, daß
man sein Wort halten müsse. Talleyrand wußte Rath; er belehrte den Kaiser,
daß es Verpflichtungen in verschiedenen Abstufungen gebe; die, welche der Kai¬
ser beim Uebergang über den Riemen gegen Europa übernommen, müßten alle
andern weit überwiegen. Dem EinWurf, daß der König von Sachsen als
Treubrüchiger keine Theilnahme verdiene, wußte er mit der Bemerkung zu be¬
gegnen, daß jener gegen Rußland im Frühjahr 1813 gar keine Verpflichtungen
übernommen habe; nur.gegen Oestreich, und Oestreich klage nicht, daß er die¬
selben verletzt habe.

Im weitern Verlauf der Unterredung sprach Alexander die Hoffnung aus,
daß die zur Zeit schwebenden Angelegenheiten schließlich zu einer Annäherung
zwischen Rußland und Frankreich führen würden, und fragte, wie der König
in dieser Beziehung gesinnt sei. Der König, erwiderte Talleyrand, werde nie
die Dienste vergessen, die der Kaiser ihm geleistet habe, aber er habe auch
Pflichten als Souverän eines großen Reichs und als Haupt einer der ältesten
und mächtigsten Dynastien. Er könne das sächsische Haus nicht verlassen. Er
werde, falls dies nöthig ^protestiren, und Spanien, Bayern sowie andere Staa¬
ten würden desgleichen thun.

, Alexander scheint die erhabenen politischen Grundsätze des französischen
Botschafters nicht für unerschütterlich gehalten zu haben; denn er schlug dem


Armee angekündigt, eine Maßregel, die am entschiedensten bekundete, daß Ru߬
land nicht gesonnen war. auf Polen zu verzichten.

Daß indeß der Kaiser von Rußland nicht so fest entschlossen war. als es
schien, zeigt ein Gespräch, das er um diese Zeit mit dem sehr kriegerisch gesinnten
Schwarzenberg hatte. Aufgefordert, ohne Rückhalt zu sprechen, hatte dieser erklärt:
Rußlands Verfahren gegen Oestreich sei nicht ganz loyal, seine Ansprüche gefährde¬
ten Oestreich und würden bald einen neuen Krieg herbeiführen. Da rief der
Kaiser in einem unbewachten Augenblicke aus: „Wenn ich mich nur weniger
tief eingelassen hätte. Aber wie kann ich mich wieder losmachen? Sie sehen
selbst: wie die Sachen jetzt stehen, kann ich unmöglich zurück."

So sprach der getreue Freund Friedrich Wilhelms nicht volle acht Tage
nachdem er jene zu Ende unseres ersten Abschnitts geschilderte gefühlvolle
Scene mit dem König von Preußen hervorgerufen hatte.

Ein Gespräch mit Talleyrand zeigte dann wenig später (am 14. November)
etwas deutlicher, daß Alexander nur seine Verpflichtungen hinsichtlich Sachsens
meinte, wenn er sich so weit eingelassen zu haben beklagte. Die Rede kam
hier sehr bald von Polen auf Sachsen, und Talleyrand machte geltend, daß es
sich hier für den König von Frankreich nicht blos um eine Familienangelegen¬
heit, sondern vielmehr um ein erhabenes Princip, um die Interessen aller Kö¬
nige, um die heiligsten Interessen Alexanders selbst handele. — Alexander wen¬
dete ein, er spreche stets von Principien, aber es sei auch ein Princip, daß
man sein Wort halten müsse. Talleyrand wußte Rath; er belehrte den Kaiser,
daß es Verpflichtungen in verschiedenen Abstufungen gebe; die, welche der Kai¬
ser beim Uebergang über den Riemen gegen Europa übernommen, müßten alle
andern weit überwiegen. Dem EinWurf, daß der König von Sachsen als
Treubrüchiger keine Theilnahme verdiene, wußte er mit der Bemerkung zu be¬
gegnen, daß jener gegen Rußland im Frühjahr 1813 gar keine Verpflichtungen
übernommen habe; nur.gegen Oestreich, und Oestreich klage nicht, daß er die¬
selben verletzt habe.

Im weitern Verlauf der Unterredung sprach Alexander die Hoffnung aus,
daß die zur Zeit schwebenden Angelegenheiten schließlich zu einer Annäherung
zwischen Rußland und Frankreich führen würden, und fragte, wie der König
in dieser Beziehung gesinnt sei. Der König, erwiderte Talleyrand, werde nie
die Dienste vergessen, die der Kaiser ihm geleistet habe, aber er habe auch
Pflichten als Souverän eines großen Reichs und als Haupt einer der ältesten
und mächtigsten Dynastien. Er könne das sächsische Haus nicht verlassen. Er
werde, falls dies nöthig ^protestiren, und Spanien, Bayern sowie andere Staa¬
ten würden desgleichen thun.

, Alexander scheint die erhabenen politischen Grundsätze des französischen
Botschafters nicht für unerschütterlich gehalten zu haben; denn er schlug dem


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[0134] Armee angekündigt, eine Maßregel, die am entschiedensten bekundete, daß Ru߬ land nicht gesonnen war. auf Polen zu verzichten. Daß indeß der Kaiser von Rußland nicht so fest entschlossen war. als es schien, zeigt ein Gespräch, das er um diese Zeit mit dem sehr kriegerisch gesinnten Schwarzenberg hatte. Aufgefordert, ohne Rückhalt zu sprechen, hatte dieser erklärt: Rußlands Verfahren gegen Oestreich sei nicht ganz loyal, seine Ansprüche gefährde¬ ten Oestreich und würden bald einen neuen Krieg herbeiführen. Da rief der Kaiser in einem unbewachten Augenblicke aus: „Wenn ich mich nur weniger tief eingelassen hätte. Aber wie kann ich mich wieder losmachen? Sie sehen selbst: wie die Sachen jetzt stehen, kann ich unmöglich zurück." So sprach der getreue Freund Friedrich Wilhelms nicht volle acht Tage nachdem er jene zu Ende unseres ersten Abschnitts geschilderte gefühlvolle Scene mit dem König von Preußen hervorgerufen hatte. Ein Gespräch mit Talleyrand zeigte dann wenig später (am 14. November) etwas deutlicher, daß Alexander nur seine Verpflichtungen hinsichtlich Sachsens meinte, wenn er sich so weit eingelassen zu haben beklagte. Die Rede kam hier sehr bald von Polen auf Sachsen, und Talleyrand machte geltend, daß es sich hier für den König von Frankreich nicht blos um eine Familienangelegen¬ heit, sondern vielmehr um ein erhabenes Princip, um die Interessen aller Kö¬ nige, um die heiligsten Interessen Alexanders selbst handele. — Alexander wen¬ dete ein, er spreche stets von Principien, aber es sei auch ein Princip, daß man sein Wort halten müsse. Talleyrand wußte Rath; er belehrte den Kaiser, daß es Verpflichtungen in verschiedenen Abstufungen gebe; die, welche der Kai¬ ser beim Uebergang über den Riemen gegen Europa übernommen, müßten alle andern weit überwiegen. Dem EinWurf, daß der König von Sachsen als Treubrüchiger keine Theilnahme verdiene, wußte er mit der Bemerkung zu be¬ gegnen, daß jener gegen Rußland im Frühjahr 1813 gar keine Verpflichtungen übernommen habe; nur.gegen Oestreich, und Oestreich klage nicht, daß er die¬ selben verletzt habe. Im weitern Verlauf der Unterredung sprach Alexander die Hoffnung aus, daß die zur Zeit schwebenden Angelegenheiten schließlich zu einer Annäherung zwischen Rußland und Frankreich führen würden, und fragte, wie der König in dieser Beziehung gesinnt sei. Der König, erwiderte Talleyrand, werde nie die Dienste vergessen, die der Kaiser ihm geleistet habe, aber er habe auch Pflichten als Souverän eines großen Reichs und als Haupt einer der ältesten und mächtigsten Dynastien. Er könne das sächsische Haus nicht verlassen. Er werde, falls dies nöthig ^protestiren, und Spanien, Bayern sowie andere Staa¬ ten würden desgleichen thun. , Alexander scheint die erhabenen politischen Grundsätze des französischen Botschafters nicht für unerschütterlich gehalten zu haben; denn er schlug dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/134>, abgerufen am 15.01.2025.