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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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läßt, hält der Starost (d. h. der Familienälteste) eine Rede/und die Eltern
seinen das Paar, welches im höchsten Schmuck vor ihnen steht. Das Haar -
der Braut ist mit Myrtchenzweigen besteckt, und an der Brust prangt ein Blu¬
menstrauß. Inmitten des Straußes, mit welchem der Bräutigam geziert ist,
leuchtet eine Citrone. Brautjungfern und Brautdiener umgeben das Paar,
wenn es unter Musik und Jauchzen zur Kirche geleitet wird, wobei die jungen
Männer des Dorfes dem Zuge vvranreiten. Beim Eintritt in die Kirche be¬
ginnt,das Lied! KW sitz ?g.rü>, LoKU, hol: Wohl dem, der den Herrn fürchtet
.'e., während dessen das Paar an den Altar geführt wird. Dort setzen Frauen
dem Bräutigam einen kleinen Kranz auf, den sie ihm an den Haaren befestigen.
Brautjungfern und Gäste stehen hinter dem Paare, die Brautdiener zu beiden
Seiten desselben. Bei der Trauhandlung selbst ist der Bräutigam gewissenhaft
darauf bedacht, daß seine Hand obenauf sei, locum er die Rechte der Braut
faßt; die Braut aber trachtet in stiller List danach, dem Mann auf den Flügel
seines Rockes zu irrem. Tritt der Zug aus der Kirche, so beginnt die außen
darrende Musik; man zieht in die nark'ZMö. (das Wirthshaus), tanzt eiligst
etliche Mazurets und strömt nun unter,lautem Jubel nach dem Hochzeitshause.
An dem voll besetzten Tische spricht der Starvst das Tischgebet und fordert
darauf die Gäste ans, sich niederzulassen und dankbar zu genießen, was Gott
geschenkt und was die Eltern ihren Kindern am Ehrentage hergerichtet haben.
Unter den Klängen der Musik reichen die Brautdiener die Speisen umher.
Diese sind gut und kräftig, nur folgen sie in einer uns ungewohnten Art:
Erst mehre'Suppe", darauf der unerläßliche Meerrettig mit Rindfleisch, dann-
Schwarzsauer mir Schweinefleisch, Milchhirse mit Rosinen und Pfefferkuchen (wie
bei den Wenden der Lausitz. D. Red.), endlich verschiedene Braten,-worunter auch
Geflügel. Zwischencin wird Bier, auch wohl ein Glas Liqueur getrunken; zum
Schlüsse wird Thee mit Arak servirt. Hat abermals der Starost das Tisch¬
gebet gesprochen, und sind die Tische hinweggeräumt, so beginnt der Tanz.
Die Krone desselben ist der gegen Mitternacht beginnende und mindestens zwei
Stunden dauernde Brandkauz, der in harmloser Art den Untergang des alten
Wesens symbolisirt. Hinter der Braut, die nacheinander mit jeder Braut¬
jungfer zu tanzen hat, bewegt sich, ein Licht in seiner Linken, der gewandteste
Brautdicner, der mit dem Federwisch in seiner Rechten unverdrossen und un-
ermüdet nach dem Myrthcnschmuckc der Braut hin die Bewegung des Weg-
kebrens macht, bis dieselbe von den Frauen mit der Haube bedeckt wird.

Mit den Begräbnissen find nach altslavischer Sitte noch immer Todten-
mahle verknüpft, die freilich bei der Armuth der Meisten gewöhnlich sehr einfach
und prunklos find; sie werden nach dem Trauergottesdienst gehalten, in großer
Mäßigkeit, mit vollem Anstand und in ernster Stille. Fast immer ist das
Trauergeleite sehr stark; es gilt für Pflicht, dem Abgeschiedenen noch die letzte


läßt, hält der Starost (d. h. der Familienälteste) eine Rede/und die Eltern
seinen das Paar, welches im höchsten Schmuck vor ihnen steht. Das Haar -
der Braut ist mit Myrtchenzweigen besteckt, und an der Brust prangt ein Blu¬
menstrauß. Inmitten des Straußes, mit welchem der Bräutigam geziert ist,
leuchtet eine Citrone. Brautjungfern und Brautdiener umgeben das Paar,
wenn es unter Musik und Jauchzen zur Kirche geleitet wird, wobei die jungen
Männer des Dorfes dem Zuge vvranreiten. Beim Eintritt in die Kirche be¬
ginnt,das Lied! KW sitz ?g.rü>, LoKU, hol: Wohl dem, der den Herrn fürchtet
.'e., während dessen das Paar an den Altar geführt wird. Dort setzen Frauen
dem Bräutigam einen kleinen Kranz auf, den sie ihm an den Haaren befestigen.
Brautjungfern und Gäste stehen hinter dem Paare, die Brautdiener zu beiden
Seiten desselben. Bei der Trauhandlung selbst ist der Bräutigam gewissenhaft
darauf bedacht, daß seine Hand obenauf sei, locum er die Rechte der Braut
faßt; die Braut aber trachtet in stiller List danach, dem Mann auf den Flügel
seines Rockes zu irrem. Tritt der Zug aus der Kirche, so beginnt die außen
darrende Musik; man zieht in die nark'ZMö. (das Wirthshaus), tanzt eiligst
etliche Mazurets und strömt nun unter,lautem Jubel nach dem Hochzeitshause.
An dem voll besetzten Tische spricht der Starvst das Tischgebet und fordert
darauf die Gäste ans, sich niederzulassen und dankbar zu genießen, was Gott
geschenkt und was die Eltern ihren Kindern am Ehrentage hergerichtet haben.
Unter den Klängen der Musik reichen die Brautdiener die Speisen umher.
Diese sind gut und kräftig, nur folgen sie in einer uns ungewohnten Art:
Erst mehre'Suppe», darauf der unerläßliche Meerrettig mit Rindfleisch, dann-
Schwarzsauer mir Schweinefleisch, Milchhirse mit Rosinen und Pfefferkuchen (wie
bei den Wenden der Lausitz. D. Red.), endlich verschiedene Braten,-worunter auch
Geflügel. Zwischencin wird Bier, auch wohl ein Glas Liqueur getrunken; zum
Schlüsse wird Thee mit Arak servirt. Hat abermals der Starost das Tisch¬
gebet gesprochen, und sind die Tische hinweggeräumt, so beginnt der Tanz.
Die Krone desselben ist der gegen Mitternacht beginnende und mindestens zwei
Stunden dauernde Brandkauz, der in harmloser Art den Untergang des alten
Wesens symbolisirt. Hinter der Braut, die nacheinander mit jeder Braut¬
jungfer zu tanzen hat, bewegt sich, ein Licht in seiner Linken, der gewandteste
Brautdicner, der mit dem Federwisch in seiner Rechten unverdrossen und un-
ermüdet nach dem Myrthcnschmuckc der Braut hin die Bewegung des Weg-
kebrens macht, bis dieselbe von den Frauen mit der Haube bedeckt wird.

Mit den Begräbnissen find nach altslavischer Sitte noch immer Todten-
mahle verknüpft, die freilich bei der Armuth der Meisten gewöhnlich sehr einfach
und prunklos find; sie werden nach dem Trauergottesdienst gehalten, in großer
Mäßigkeit, mit vollem Anstand und in ernster Stille. Fast immer ist das
Trauergeleite sehr stark; es gilt für Pflicht, dem Abgeschiedenen noch die letzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/468>, abgerufen am 28.07.2024.