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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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und dort. Inzwischen bringt die Hausfrau ein halb Quart Erbsen. Mehl oder
Gerste, wohl auch ein wenig Speck und schüttet die Gabe in den geöffneten
leinenen Sack. Nach längerem Aufenthalte bedankt sich der Arme und zieht
seines Weges; ist ihm die Last der empfangenen Gaben zu schwer, so läßt er
sie vielleicht für diesmal stehen, um sie später abzuholen. So will der Pole
geben, dagegen sind ihm repartirte Armenbeiträge zuwider. Sind arme Leute
oder Waisenkinder von der Gemeinde zu erhalten, so nimmt man sie am lieb¬
sten lageweise der Reihe nach in Kost.

Um das Familienleben ist es meist gut bestellt. Von unehelich geborenen
Kindern hört man selten. Desgleichen verlautet wenig von Mißhandlungen
unter Eheleuten.

Auf die Erhaltung ihrer Nationalität sind die protestantischen Polen ernst
bedacht und müssen in diesem Stücke den vielen Deutschen, welche das theure
Gut ihrer Bolksthümlichteit in Sprache und Sitte oft um ein Linsengericht auf¬
geben und (wie unser unermüdlicher Gönner Dr. Metzig in Lissa) durch die schnö¬
deste Selbsterniedrigung um die trügerische Freundschaft von Fremden buhlen,
recht zur Beschämung dienen. In ihren Sitten und Gewohnheiten stehen sie
durchaus auf dem nationalen Standpunkte, der nur hier und da in einigen
Stücken durch den Verkehr von Schlesien aus beeinflußt worden ist. Den
Männern ist eigenthümlich der Schnurrbart, während sonst das Gesicht frei
gehalten wird. Sie tragen gern Blau; blau sind ihre Röcke, blaugeblümt und
blaugestreist die Bettüberzüge, blau der Anzug der wohlhabenden Brautleute.
Zur weiblichen Kleidung gehört das turbanartig um den Kops geschlungene
meist buntfarbige Tuch. Nur bei Leidtragenden und bei Abendmahlsgenossen
ist dieses Tuch ebenso, wie das von dem schwarzen Kleide sich scharf abhebende,
zugleich Schulter und Rücken deckende Halstuch und wie die Schürze von weißer
Farbe (daher die Frau auch biatg, gtova d. h. Weißkopf genannt). Höchst
kleidsam ist der ^festanliegende, mit weitem Schooß versehene Spencer von
blauem Tuche, wie solchen oft die Hausfrau trägt. Desgleichen ist die Sonn-
tagstleidung der Jungfrauen (das Mieder, aus welchem die sauberen weißen, nur
an der Handwurzel geschlossenen Hemdenärmel frei hervortreten) eine sehr
gefällige.

Gemischte Ehen sind ungewöhnlich; es gilt fast überall noch das alte
Sprichwort: Nie clvdr^ö, gel^ Ä^va Meierte poa .MuH ^^pier/Mq, d. h. es
ist nicht gut, wenn zweierlei Gebete unter einem Dcckbctte sind. Immer¬
hin aber gibt es dann und wann eine Ausnahme von der Regel; doch weiß
man auch, daß dann der katholische Ehemann den Fleiß, die Sparsamkeit und
Wirthschaftlichkeit seiner evangelischen Hausfrau nicht genug rühmen kann.

Verlobung und Hochzeit werden sehr feierlich begangen, insonderheit aber wird
die letztere mit möglichstem Pomp gefeiert. Bevor der Festzug das Haus ver-


Grenzboten III. 1863. S8

und dort. Inzwischen bringt die Hausfrau ein halb Quart Erbsen. Mehl oder
Gerste, wohl auch ein wenig Speck und schüttet die Gabe in den geöffneten
leinenen Sack. Nach längerem Aufenthalte bedankt sich der Arme und zieht
seines Weges; ist ihm die Last der empfangenen Gaben zu schwer, so läßt er
sie vielleicht für diesmal stehen, um sie später abzuholen. So will der Pole
geben, dagegen sind ihm repartirte Armenbeiträge zuwider. Sind arme Leute
oder Waisenkinder von der Gemeinde zu erhalten, so nimmt man sie am lieb¬
sten lageweise der Reihe nach in Kost.

Um das Familienleben ist es meist gut bestellt. Von unehelich geborenen
Kindern hört man selten. Desgleichen verlautet wenig von Mißhandlungen
unter Eheleuten.

Auf die Erhaltung ihrer Nationalität sind die protestantischen Polen ernst
bedacht und müssen in diesem Stücke den vielen Deutschen, welche das theure
Gut ihrer Bolksthümlichteit in Sprache und Sitte oft um ein Linsengericht auf¬
geben und (wie unser unermüdlicher Gönner Dr. Metzig in Lissa) durch die schnö¬
deste Selbsterniedrigung um die trügerische Freundschaft von Fremden buhlen,
recht zur Beschämung dienen. In ihren Sitten und Gewohnheiten stehen sie
durchaus auf dem nationalen Standpunkte, der nur hier und da in einigen
Stücken durch den Verkehr von Schlesien aus beeinflußt worden ist. Den
Männern ist eigenthümlich der Schnurrbart, während sonst das Gesicht frei
gehalten wird. Sie tragen gern Blau; blau sind ihre Röcke, blaugeblümt und
blaugestreist die Bettüberzüge, blau der Anzug der wohlhabenden Brautleute.
Zur weiblichen Kleidung gehört das turbanartig um den Kops geschlungene
meist buntfarbige Tuch. Nur bei Leidtragenden und bei Abendmahlsgenossen
ist dieses Tuch ebenso, wie das von dem schwarzen Kleide sich scharf abhebende,
zugleich Schulter und Rücken deckende Halstuch und wie die Schürze von weißer
Farbe (daher die Frau auch biatg, gtova d. h. Weißkopf genannt). Höchst
kleidsam ist der ^festanliegende, mit weitem Schooß versehene Spencer von
blauem Tuche, wie solchen oft die Hausfrau trägt. Desgleichen ist die Sonn-
tagstleidung der Jungfrauen (das Mieder, aus welchem die sauberen weißen, nur
an der Handwurzel geschlossenen Hemdenärmel frei hervortreten) eine sehr
gefällige.

Gemischte Ehen sind ungewöhnlich; es gilt fast überall noch das alte
Sprichwort: Nie clvdr^ö, gel^ Ä^va Meierte poa .MuH ^^pier/Mq, d. h. es
ist nicht gut, wenn zweierlei Gebete unter einem Dcckbctte sind. Immer¬
hin aber gibt es dann und wann eine Ausnahme von der Regel; doch weiß
man auch, daß dann der katholische Ehemann den Fleiß, die Sparsamkeit und
Wirthschaftlichkeit seiner evangelischen Hausfrau nicht genug rühmen kann.

Verlobung und Hochzeit werden sehr feierlich begangen, insonderheit aber wird
die letztere mit möglichstem Pomp gefeiert. Bevor der Festzug das Haus ver-


Grenzboten III. 1863. S8
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[0467] und dort. Inzwischen bringt die Hausfrau ein halb Quart Erbsen. Mehl oder Gerste, wohl auch ein wenig Speck und schüttet die Gabe in den geöffneten leinenen Sack. Nach längerem Aufenthalte bedankt sich der Arme und zieht seines Weges; ist ihm die Last der empfangenen Gaben zu schwer, so läßt er sie vielleicht für diesmal stehen, um sie später abzuholen. So will der Pole geben, dagegen sind ihm repartirte Armenbeiträge zuwider. Sind arme Leute oder Waisenkinder von der Gemeinde zu erhalten, so nimmt man sie am lieb¬ sten lageweise der Reihe nach in Kost. Um das Familienleben ist es meist gut bestellt. Von unehelich geborenen Kindern hört man selten. Desgleichen verlautet wenig von Mißhandlungen unter Eheleuten. Auf die Erhaltung ihrer Nationalität sind die protestantischen Polen ernst bedacht und müssen in diesem Stücke den vielen Deutschen, welche das theure Gut ihrer Bolksthümlichteit in Sprache und Sitte oft um ein Linsengericht auf¬ geben und (wie unser unermüdlicher Gönner Dr. Metzig in Lissa) durch die schnö¬ deste Selbsterniedrigung um die trügerische Freundschaft von Fremden buhlen, recht zur Beschämung dienen. In ihren Sitten und Gewohnheiten stehen sie durchaus auf dem nationalen Standpunkte, der nur hier und da in einigen Stücken durch den Verkehr von Schlesien aus beeinflußt worden ist. Den Männern ist eigenthümlich der Schnurrbart, während sonst das Gesicht frei gehalten wird. Sie tragen gern Blau; blau sind ihre Röcke, blaugeblümt und blaugestreist die Bettüberzüge, blau der Anzug der wohlhabenden Brautleute. Zur weiblichen Kleidung gehört das turbanartig um den Kops geschlungene meist buntfarbige Tuch. Nur bei Leidtragenden und bei Abendmahlsgenossen ist dieses Tuch ebenso, wie das von dem schwarzen Kleide sich scharf abhebende, zugleich Schulter und Rücken deckende Halstuch und wie die Schürze von weißer Farbe (daher die Frau auch biatg, gtova d. h. Weißkopf genannt). Höchst kleidsam ist der ^festanliegende, mit weitem Schooß versehene Spencer von blauem Tuche, wie solchen oft die Hausfrau trägt. Desgleichen ist die Sonn- tagstleidung der Jungfrauen (das Mieder, aus welchem die sauberen weißen, nur an der Handwurzel geschlossenen Hemdenärmel frei hervortreten) eine sehr gefällige. Gemischte Ehen sind ungewöhnlich; es gilt fast überall noch das alte Sprichwort: Nie clvdr^ö, gel^ Ä^va Meierte poa .MuH ^^pier/Mq, d. h. es ist nicht gut, wenn zweierlei Gebete unter einem Dcckbctte sind. Immer¬ hin aber gibt es dann und wann eine Ausnahme von der Regel; doch weiß man auch, daß dann der katholische Ehemann den Fleiß, die Sparsamkeit und Wirthschaftlichkeit seiner evangelischen Hausfrau nicht genug rühmen kann. Verlobung und Hochzeit werden sehr feierlich begangen, insonderheit aber wird die letztere mit möglichstem Pomp gefeiert. Bevor der Festzug das Haus ver- Grenzboten III. 1863. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/467>, abgerufen am 28.07.2024.