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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Ehre zu erweisen. Man gibt dem sauber und ordentlich eingekleideten Todten
ein Gesangbuch und ein Stück Geld in den Sarg. Wird der Sarg gehoben,
so stößt man zum Zeichen des Abschieds an die Thürpfosten rechts und links
an und greift dann dreimal in die Speichen des linken Vorderrades. Sind
die Leidtragenden heimgekehrt, so geht der älteste Erbe zu-den Hausthieren und
zu den Bienen umher und sagt ihnen, daß der Vater, die Mutter, der Ehe¬
gatte oder die Gattin verstorben ist.. Sonst, meint man. gehe das Vieh oder
der Bienenstock ein.

Bei allem Festhalten an ihrer Nationalität sind die protestantischen Polen
aber auch sehr gute Preußen. Sie erkennen sehr wohl den Schuh, welchen
sie unter Preußens Krone gefunden haben, und sie wissen die Selbständigkeit,
die sie auf ihrem Eigenthum genießen, und die vor Alters entbehrte Rechts¬
sicherheit, die unter dem jetzigen Regiment ihnen zu Theil geworden, sehr gut
zu schätzen. Ja, schon der Gedanke an die Möglichkeit, daß sie auf irgend eine
Art in die alte Knechtschaft unter ihrem Adel zurückgelangen könnten, ist ihnen
wahrhaft entsetzlich; aber sie trösten sich mit ihrem Lieblingswort: 5iio <ur t<zA<>
?Ä" L6g (das wird der liebe Gott nicht wollen).

Die Tradition ist in dieser Hinsicht noch frisch und lebendig. Noch heute
gibts alte Leute, welche der rechtlose Zustand der Vergangenheit hart gedrückt
hat. und welche ihren Söhnen und Enkeln die Sklaverei der früheren Zeit
nicht schlimm genug schildern können. Dieselbe Tradition lebt freilich auch un¬
ter den katholischen Polen; doch werden diese durch Priester und Edelleute, de¬
ren Einfluß sie sich schwer entziehen können, oft wider besseres Wissen auf un¬
rechte Wege geleitet. -- Wie aus dein Jahre 1848, so auch aus der gegen¬
wärtigen tiefbewegten Zeit, weiß mau kaum ein Beispiel, daß die protestanti¬
schen Polen zur Betheiligung an de" revolutionären Umtrieben jenseits der
Grenze sich hätten gewinnen lassen. Wohl aber hört man oft genug, wie schla¬
gend sie bei nachbarlichem Verkehr unruhige Landsleute abzufertigen wissen.
Sie fragen, ob sich die lieben Brüder wieder dem Al^eKeie (Edelmann) preis¬
geben wollen, der ihnen seiner Zeit den guten Acker abgenommen, sie auf den
Sand gebracht und ihnen die erbärmlichsten Lehmhütten als Wohn- und Wirth-
schaftsgebäude hingestellt hätte; ob sie Lust hätten, am Sonntag wieder "auf
den Hof" zu gehen, um dort nack der Laune des gnädigen Herrn für allerlei
während der Woche notirte Versehen sich körperlich züchtige" zu lassen. Ein
günstiger Schluß auf die gute Gesinnung unserer evangelischen Polen kann
übrigens auch aus dem Umstände gezogen werden, daß vorzugsweise aus ihrer
Mitte Ortsschulzen und Gemeindevorsteher hervorgehen, die sich besonders gut
bewähren, wenn sie preußische Soldaten gewesen sind.


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Ehre zu erweisen. Man gibt dem sauber und ordentlich eingekleideten Todten
ein Gesangbuch und ein Stück Geld in den Sarg. Wird der Sarg gehoben,
so stößt man zum Zeichen des Abschieds an die Thürpfosten rechts und links
an und greift dann dreimal in die Speichen des linken Vorderrades. Sind
die Leidtragenden heimgekehrt, so geht der älteste Erbe zu-den Hausthieren und
zu den Bienen umher und sagt ihnen, daß der Vater, die Mutter, der Ehe¬
gatte oder die Gattin verstorben ist.. Sonst, meint man. gehe das Vieh oder
der Bienenstock ein.

Bei allem Festhalten an ihrer Nationalität sind die protestantischen Polen
aber auch sehr gute Preußen. Sie erkennen sehr wohl den Schuh, welchen
sie unter Preußens Krone gefunden haben, und sie wissen die Selbständigkeit,
die sie auf ihrem Eigenthum genießen, und die vor Alters entbehrte Rechts¬
sicherheit, die unter dem jetzigen Regiment ihnen zu Theil geworden, sehr gut
zu schätzen. Ja, schon der Gedanke an die Möglichkeit, daß sie auf irgend eine
Art in die alte Knechtschaft unter ihrem Adel zurückgelangen könnten, ist ihnen
wahrhaft entsetzlich; aber sie trösten sich mit ihrem Lieblingswort: 5iio <ur t<zA<>
?Ä» L6g (das wird der liebe Gott nicht wollen).

Die Tradition ist in dieser Hinsicht noch frisch und lebendig. Noch heute
gibts alte Leute, welche der rechtlose Zustand der Vergangenheit hart gedrückt
hat. und welche ihren Söhnen und Enkeln die Sklaverei der früheren Zeit
nicht schlimm genug schildern können. Dieselbe Tradition lebt freilich auch un¬
ter den katholischen Polen; doch werden diese durch Priester und Edelleute, de¬
ren Einfluß sie sich schwer entziehen können, oft wider besseres Wissen auf un¬
rechte Wege geleitet. — Wie aus dein Jahre 1848, so auch aus der gegen¬
wärtigen tiefbewegten Zeit, weiß mau kaum ein Beispiel, daß die protestanti¬
schen Polen zur Betheiligung an de» revolutionären Umtrieben jenseits der
Grenze sich hätten gewinnen lassen. Wohl aber hört man oft genug, wie schla¬
gend sie bei nachbarlichem Verkehr unruhige Landsleute abzufertigen wissen.
Sie fragen, ob sich die lieben Brüder wieder dem Al^eKeie (Edelmann) preis¬
geben wollen, der ihnen seiner Zeit den guten Acker abgenommen, sie auf den
Sand gebracht und ihnen die erbärmlichsten Lehmhütten als Wohn- und Wirth-
schaftsgebäude hingestellt hätte; ob sie Lust hätten, am Sonntag wieder „auf
den Hof" zu gehen, um dort nack der Laune des gnädigen Herrn für allerlei
während der Woche notirte Versehen sich körperlich züchtige» zu lassen. Ein
günstiger Schluß auf die gute Gesinnung unserer evangelischen Polen kann
übrigens auch aus dem Umstände gezogen werden, daß vorzugsweise aus ihrer
Mitte Ortsschulzen und Gemeindevorsteher hervorgehen, die sich besonders gut
bewähren, wenn sie preußische Soldaten gewesen sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/469>, abgerufen am 27.07.2024.