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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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zu Angerburg, in Schlesien und Posen durch das neuerrichtete Seminar zu
Constadt nach Möglichkeit gesorgt.

Zur Erleichterung des Studiums der Theologie für unbemittelte Polen
bestehen in Königsberg einige Stipendien aus älterer Zeit. In Breslau hat
der letztverstorbene Fürst von Pleß ein solches gestiftet. In Posen sammeln
die Geistlichen und Gemeinden der Kreise Adelnd, Ostrowo und Kempen seit
einigen Jahren gleichfalls an einem Stiftungscapital für ein polnisches Sti¬
pendium, doch schreitet die Sammlung bei der Armuth und der geringen
Zahl der Contribuenten nur langsam vorwärts.

Wir schließen mit einigen Auszügen aus dem, was unsre Schrift im drit¬
ten Abschnitt über Charakter und Sitte der protestantischen Polen in der Pro¬
vinz Posen sagt.

Dieselben sind größtenteils Landleute, welche sich durch Feldbau und
Viehzucht, durch Zimmer- und Tagearbeit und durch das Müllerhandwerk nähren.
Sie sind fleißige Arbeiter, friedfertige Nachbarn, sorgsame und sparsame Haus¬
hälter, weshalb das Sprichwort von der "polnischen Wirthschaft" nur aus¬
nahmsweise Anwendung auf sie findet. Die meisten leben ziemlich dürftig;
Fleisch wird meist nur ausnahmsweise an Feiertagen oder bei häuslichen Festen
genossen;'wer sein Brot, sein Kraut und seine Kartoffeln ausreichend hat, gilt
schon für wohlhabend. Die Leute sind überaus genügsam. Freilich, an Markt-
und Sonntagen zieht man gern zur Stadt, umsich dort etwas zu Gute zu thun.
Da wird allerdings oft mehr getrunken, als gut ist, und Mancher geht schwe¬
ren Schrittes heim. Dennoch sind eigentliche Säufer sehr selten. Ja. mehr
als einmal hat man von Vorwürfen gehört, die ein römischer Priester seinen
katholischen Polen macht, weil diese häufig Haus und Hof vertrinken und dann
ihr Besitztum an evangelische Landsleute verlieren. Denn daß leidere ein
viel größeres Maß von Besonnenheit und' sittlicher Kraft besitzen, ist bald zu
erkennen. Und bei solchem Vorzuge darf man wohl den auch anderwärts bei
der ländlichen Bevölkerung vorhandenen Mangel nicht zu hart beurtheilen: daß
unsere Polen sehr langsam zu wirtschaftlichen Verbesserungen sich entschließen,
und daß sie gegen die Kunst der Aerzte noch oft mißtrauisch sind und sich lie¬
ber an Quacksalber und Pfuscher wenden. -- Auf die eigentlichen weiblichen
Handarbeiten in Stricken, Nähen, Spinnen u. tgi. wird nicht viel Gewicht ge-
legt; man schätzt am meisten die Arbeiten in Hos und Feld. -- Sehr freund-
lich und sorgsam behandelt man das Vieh. Eine Hauptquelle, um baares
Geld zu gewinnen, bildet die Schweinezucht, die man besonders gut versteht.
Baar Geld wird aber ungern ausgegeben; lieber entschädigt man den Feld¬
arbeiter durch freie Wohnung und einige Ackerbeete. Kommt ein Armer ins
Haus, so wird er freundlich und gastfrei aufgenommen. Er tritt ohne Weite¬
res in die Stube, bietet seinen Gruß und setzt sich auf die Ofenbank. Dann
fragt er nach dem Befinden der Familie und berichtet allerlei Neues von hier


zu Angerburg, in Schlesien und Posen durch das neuerrichtete Seminar zu
Constadt nach Möglichkeit gesorgt.

Zur Erleichterung des Studiums der Theologie für unbemittelte Polen
bestehen in Königsberg einige Stipendien aus älterer Zeit. In Breslau hat
der letztverstorbene Fürst von Pleß ein solches gestiftet. In Posen sammeln
die Geistlichen und Gemeinden der Kreise Adelnd, Ostrowo und Kempen seit
einigen Jahren gleichfalls an einem Stiftungscapital für ein polnisches Sti¬
pendium, doch schreitet die Sammlung bei der Armuth und der geringen
Zahl der Contribuenten nur langsam vorwärts.

Wir schließen mit einigen Auszügen aus dem, was unsre Schrift im drit¬
ten Abschnitt über Charakter und Sitte der protestantischen Polen in der Pro¬
vinz Posen sagt.

Dieselben sind größtenteils Landleute, welche sich durch Feldbau und
Viehzucht, durch Zimmer- und Tagearbeit und durch das Müllerhandwerk nähren.
Sie sind fleißige Arbeiter, friedfertige Nachbarn, sorgsame und sparsame Haus¬
hälter, weshalb das Sprichwort von der „polnischen Wirthschaft" nur aus¬
nahmsweise Anwendung auf sie findet. Die meisten leben ziemlich dürftig;
Fleisch wird meist nur ausnahmsweise an Feiertagen oder bei häuslichen Festen
genossen;'wer sein Brot, sein Kraut und seine Kartoffeln ausreichend hat, gilt
schon für wohlhabend. Die Leute sind überaus genügsam. Freilich, an Markt-
und Sonntagen zieht man gern zur Stadt, umsich dort etwas zu Gute zu thun.
Da wird allerdings oft mehr getrunken, als gut ist, und Mancher geht schwe¬
ren Schrittes heim. Dennoch sind eigentliche Säufer sehr selten. Ja. mehr
als einmal hat man von Vorwürfen gehört, die ein römischer Priester seinen
katholischen Polen macht, weil diese häufig Haus und Hof vertrinken und dann
ihr Besitztum an evangelische Landsleute verlieren. Denn daß leidere ein
viel größeres Maß von Besonnenheit und' sittlicher Kraft besitzen, ist bald zu
erkennen. Und bei solchem Vorzuge darf man wohl den auch anderwärts bei
der ländlichen Bevölkerung vorhandenen Mangel nicht zu hart beurtheilen: daß
unsere Polen sehr langsam zu wirtschaftlichen Verbesserungen sich entschließen,
und daß sie gegen die Kunst der Aerzte noch oft mißtrauisch sind und sich lie¬
ber an Quacksalber und Pfuscher wenden. — Auf die eigentlichen weiblichen
Handarbeiten in Stricken, Nähen, Spinnen u. tgi. wird nicht viel Gewicht ge-
legt; man schätzt am meisten die Arbeiten in Hos und Feld. — Sehr freund-
lich und sorgsam behandelt man das Vieh. Eine Hauptquelle, um baares
Geld zu gewinnen, bildet die Schweinezucht, die man besonders gut versteht.
Baar Geld wird aber ungern ausgegeben; lieber entschädigt man den Feld¬
arbeiter durch freie Wohnung und einige Ackerbeete. Kommt ein Armer ins
Haus, so wird er freundlich und gastfrei aufgenommen. Er tritt ohne Weite¬
res in die Stube, bietet seinen Gruß und setzt sich auf die Ofenbank. Dann
fragt er nach dem Befinden der Familie und berichtet allerlei Neues von hier


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[0466] zu Angerburg, in Schlesien und Posen durch das neuerrichtete Seminar zu Constadt nach Möglichkeit gesorgt. Zur Erleichterung des Studiums der Theologie für unbemittelte Polen bestehen in Königsberg einige Stipendien aus älterer Zeit. In Breslau hat der letztverstorbene Fürst von Pleß ein solches gestiftet. In Posen sammeln die Geistlichen und Gemeinden der Kreise Adelnd, Ostrowo und Kempen seit einigen Jahren gleichfalls an einem Stiftungscapital für ein polnisches Sti¬ pendium, doch schreitet die Sammlung bei der Armuth und der geringen Zahl der Contribuenten nur langsam vorwärts. Wir schließen mit einigen Auszügen aus dem, was unsre Schrift im drit¬ ten Abschnitt über Charakter und Sitte der protestantischen Polen in der Pro¬ vinz Posen sagt. Dieselben sind größtenteils Landleute, welche sich durch Feldbau und Viehzucht, durch Zimmer- und Tagearbeit und durch das Müllerhandwerk nähren. Sie sind fleißige Arbeiter, friedfertige Nachbarn, sorgsame und sparsame Haus¬ hälter, weshalb das Sprichwort von der „polnischen Wirthschaft" nur aus¬ nahmsweise Anwendung auf sie findet. Die meisten leben ziemlich dürftig; Fleisch wird meist nur ausnahmsweise an Feiertagen oder bei häuslichen Festen genossen;'wer sein Brot, sein Kraut und seine Kartoffeln ausreichend hat, gilt schon für wohlhabend. Die Leute sind überaus genügsam. Freilich, an Markt- und Sonntagen zieht man gern zur Stadt, umsich dort etwas zu Gute zu thun. Da wird allerdings oft mehr getrunken, als gut ist, und Mancher geht schwe¬ ren Schrittes heim. Dennoch sind eigentliche Säufer sehr selten. Ja. mehr als einmal hat man von Vorwürfen gehört, die ein römischer Priester seinen katholischen Polen macht, weil diese häufig Haus und Hof vertrinken und dann ihr Besitztum an evangelische Landsleute verlieren. Denn daß leidere ein viel größeres Maß von Besonnenheit und' sittlicher Kraft besitzen, ist bald zu erkennen. Und bei solchem Vorzuge darf man wohl den auch anderwärts bei der ländlichen Bevölkerung vorhandenen Mangel nicht zu hart beurtheilen: daß unsere Polen sehr langsam zu wirtschaftlichen Verbesserungen sich entschließen, und daß sie gegen die Kunst der Aerzte noch oft mißtrauisch sind und sich lie¬ ber an Quacksalber und Pfuscher wenden. — Auf die eigentlichen weiblichen Handarbeiten in Stricken, Nähen, Spinnen u. tgi. wird nicht viel Gewicht ge- legt; man schätzt am meisten die Arbeiten in Hos und Feld. — Sehr freund- lich und sorgsam behandelt man das Vieh. Eine Hauptquelle, um baares Geld zu gewinnen, bildet die Schweinezucht, die man besonders gut versteht. Baar Geld wird aber ungern ausgegeben; lieber entschädigt man den Feld¬ arbeiter durch freie Wohnung und einige Ackerbeete. Kommt ein Armer ins Haus, so wird er freundlich und gastfrei aufgenommen. Er tritt ohne Weite¬ res in die Stube, bietet seinen Gruß und setzt sich auf die Ofenbank. Dann fragt er nach dem Befinden der Familie und berichtet allerlei Neues von hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/466>, abgerufen am 28.07.2024.