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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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in eine völlig heidnische Stadt verwandelt, die Beschneidung verboten, die
Feier des Sabbaths untersagt und der Opferaltar Jahveh für den Vater der
hellenischen Götter eingerichtet. Die patriotische Erhebung, welche durch dieses
Verfahren hervorgerufen wurde, ist bekannt. Das Heldengeschlecht der Hasmo-
näer, nach seinem glänzendsten Vertreter Jehuda Makkabaj auch die Makkabäer
genannt, erkämpfte sich nach langem wechselvollen Streit mit der Uebermacht
der Heiden unsterblichen Ruhm, dem Lande die Unabhängigkeit und der Partei
der Nationalgesinnten und Gesetzeifrigen den Vorrang. Man konnte unter Jo¬
hannes Hyrkanos, der sich zuerst von der Herrschaft der Syrer ganz losriß und
die eigne über die Grenzen des Landes hinaus erweiterte, die Tage Davids
und Salomos wiedergekommen glauben. Aber der Einfluß der Fremden war
nicht völlig mehr zu bannen. Indem man sich von den Griechen losmachte,
schloß man ein verhängnißvolles Bündniß mit Rom, und als mit der gesicher¬
ten Freiheit der Friede wiederkehrte, entzündete sich an dem Gegensatz einerseits
der Orthodoxen und der Freidenker, andrerseits der aristokratischen und der de¬
mokratischen Fraction unter den ersteren ein neuer Kampf, der unter Mitwir¬
kung anderer Elemente zuletzt zum Sturz der Hasmonäer und zur Erhebung
der Herodianer führte. Die Makkabäer hatten im Allgemeinen den Sieg und
die Herrschaft der fromm-nationalen Partei vertreten. Die Herodianer repräsen-
tiren schon durch ihren, nichtjüdischer Ursprung, dann aber durch ihr laues Ver¬
halten zur Landesreligion und ihre Hinneigung zur Fremde einen noch ent¬
schiedeneren Triumph der gegnerischen Richtung, die freilich ohne Hilfe der
Römer die Oberhand nicht behalten hätte.

Die siegreiche Partei der Frommen spaltete sich, wahrscheinlich schon Vor
Johannes Hyrkanos, in zwei Fractionen: eine in ihrem Kern schon früher vor¬
handen gewesene aristokratische, die Sadducäer, und eine demokratische, die
Pharisäer, deren Wesen und Lehre und deren Verhältniß zu einander erst
in neuester Zeit, und zwar von Geiger, zunächst in dem Werke "Urschrift
und Uebersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwicke¬
lung des Judenthums", dann in der oben angezeigten kleinen Schrift, richtig
oder doch der Wahrheit näher als von allen uns bekannten früheren Historikern
charakterisirt worden ist.

Um das rechte Verständniß der jüdischen Sekten zur Zeit Jesu zu gewin¬
nen, hat man außer den Quellen, welche die nächsten zu sein scheinen, d. h.
außer Josephus und den Evangelien, auch die im Talmud enthaltenen Ueber¬
lieferungen zu berücksichtigen, und zwar ist aus letztere ein ganz besonderer Werth
zu legen. Josephus ist vielfach unzuverlässig, schon weil er, theils aus Eitel¬
keit, theils um sich dem Publicum, für das er schrieb, besser verständlich zu
machen, die jüdischen Zustände als den griechischen Verhältnissen ähnlicher dar¬
gestellt hat, als sie in Wirklichkeit waren. Die Reden Jesu bei den Synopti-


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in eine völlig heidnische Stadt verwandelt, die Beschneidung verboten, die
Feier des Sabbaths untersagt und der Opferaltar Jahveh für den Vater der
hellenischen Götter eingerichtet. Die patriotische Erhebung, welche durch dieses
Verfahren hervorgerufen wurde, ist bekannt. Das Heldengeschlecht der Hasmo-
näer, nach seinem glänzendsten Vertreter Jehuda Makkabaj auch die Makkabäer
genannt, erkämpfte sich nach langem wechselvollen Streit mit der Uebermacht
der Heiden unsterblichen Ruhm, dem Lande die Unabhängigkeit und der Partei
der Nationalgesinnten und Gesetzeifrigen den Vorrang. Man konnte unter Jo¬
hannes Hyrkanos, der sich zuerst von der Herrschaft der Syrer ganz losriß und
die eigne über die Grenzen des Landes hinaus erweiterte, die Tage Davids
und Salomos wiedergekommen glauben. Aber der Einfluß der Fremden war
nicht völlig mehr zu bannen. Indem man sich von den Griechen losmachte,
schloß man ein verhängnißvolles Bündniß mit Rom, und als mit der gesicher¬
ten Freiheit der Friede wiederkehrte, entzündete sich an dem Gegensatz einerseits
der Orthodoxen und der Freidenker, andrerseits der aristokratischen und der de¬
mokratischen Fraction unter den ersteren ein neuer Kampf, der unter Mitwir¬
kung anderer Elemente zuletzt zum Sturz der Hasmonäer und zur Erhebung
der Herodianer führte. Die Makkabäer hatten im Allgemeinen den Sieg und
die Herrschaft der fromm-nationalen Partei vertreten. Die Herodianer repräsen-
tiren schon durch ihren, nichtjüdischer Ursprung, dann aber durch ihr laues Ver¬
halten zur Landesreligion und ihre Hinneigung zur Fremde einen noch ent¬
schiedeneren Triumph der gegnerischen Richtung, die freilich ohne Hilfe der
Römer die Oberhand nicht behalten hätte.

Die siegreiche Partei der Frommen spaltete sich, wahrscheinlich schon Vor
Johannes Hyrkanos, in zwei Fractionen: eine in ihrem Kern schon früher vor¬
handen gewesene aristokratische, die Sadducäer, und eine demokratische, die
Pharisäer, deren Wesen und Lehre und deren Verhältniß zu einander erst
in neuester Zeit, und zwar von Geiger, zunächst in dem Werke „Urschrift
und Uebersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwicke¬
lung des Judenthums", dann in der oben angezeigten kleinen Schrift, richtig
oder doch der Wahrheit näher als von allen uns bekannten früheren Historikern
charakterisirt worden ist.

Um das rechte Verständniß der jüdischen Sekten zur Zeit Jesu zu gewin¬
nen, hat man außer den Quellen, welche die nächsten zu sein scheinen, d. h.
außer Josephus und den Evangelien, auch die im Talmud enthaltenen Ueber¬
lieferungen zu berücksichtigen, und zwar ist aus letztere ein ganz besonderer Werth
zu legen. Josephus ist vielfach unzuverlässig, schon weil er, theils aus Eitel¬
keit, theils um sich dem Publicum, für das er schrieb, besser verständlich zu
machen, die jüdischen Zustände als den griechischen Verhältnissen ähnlicher dar¬
gestellt hat, als sie in Wirklichkeit waren. Die Reden Jesu bei den Synopti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/413>, abgerufen am 28.07.2024.