Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unsrer bedeutendsten politischen Schriftsteller vor der Revolution. Scharfe Be-
obachtungs- und Combinationsgabe, verbunden mit einer nimmer ruhenden Vater¬
landsliebe und einer mitunter ans Naive streifenden reinen Begeisterung, die
über alles Kleine und Irrthümliche schließlich den Sieg davon trug, haben in
seinem Kopfe eine politische Gcsammtanschauung erzeugt, wie sie damals in
Deutschland sicher höchst selten vorhanden war. Was hätte uns. so fragen wir
wieder, dieser Mann leisten können, wenn er getragen war von einem großen
öffentlichen Leben, und wann werden endlich die Früchte reifen, deren Saaten
er ausstreuen half und die er im Geiste voraus erblickte?

Es liegt auf der Hand, daß ein Fest zu Ehren Friedrich Lifts in unsern
Tagen seine heikeligen Seiten hatte. Es konnte im Grund jede Partei der
andern das Fest streitig machen. Man hätte es den Schutzzöllnern kaum ver¬
denken können, wenn sie sich abermals um diesen Namen geschaart hätten, um
angesichts des ehernen Standbildes ihres Agitators für die harte Bedrängniß
ihrer Sache in dieser Zeit sich gegenseitig neuen Muth zuzusprechen. Allein
in welchem Sinne immer die erste Anregung zum Denkmal vor zwölf Jahren
ausgegangen sein mochte, so lag doch gerade in diesem Zeitraum eine so un¬
geheure Umwandlung in unsren gesammten volkswirtschaftlichen Anschauungen,
daß es nur als ein kolossaler Anachronismus erscheinen konnte, ein in jenem
Sinne errichtetes Denkmal zu enthüllen in Tagen, da selbst Oestreich seinen
Uebergang zum Freihandelssystem unzweideutig angekündigt hat. Jedenfalls fei¬
erte man auf diese Weise von Lifts Wirksamkeit nur die eine Seite, und wenn
nicht alle Zeichen der Zeit trogen, gerade diejenige, deren bleibender Werth am
zweifelhaftesten war; man hatte List noch immer nur als Mann der Partei
aufgefaßt, während doch Alle über seine nationale Bedeutung einig waren.
Andrerseits konnte freilich der Charakter einer nationalen Feier auch dadurch
nur aufs stärkste getrübt werden, wenn etwa die Parteien kampfgerüstet herbei¬
zogen und vor dem neuen Erzguß alter Hader sich erneuerte. Es mußte im
Gegentheil die Aufgabe sein, die Feier über den Gegensätzen des Tags zu halten,
und jedem, der irgendwie die großen vaterländischen Verdienste Lifts anerkannte,
gleichviel wie er zum jetzigen Kampf seine Stellung nahm, die Theilnahme zu
ermöglichen. So einigte man sich stillschweigend dahin, dem Fest einen gewisser¬
maßen neutralen Charakter zu geben, was freilich auf die Feststimmung nicht
eben erhebend zurückwirken und die Eifriger weder hüben noch drüben befrie¬
digen konnte, aber unter den gegebenen Umständen wohl das einzig Nichtige,
und mit ein wenig Tact und Selbstverläugnung auch wohl zu erreichen war.
In dieser Beziehung war es besonders von Werth, daß gerade einige der be¬
kanntesten Schutzzöllner und sonstigen Gegner des Handelsvertrags sich selbst
vom Fest ausgeschlossen hatten, wodurch denn jede Provocation um so leichter
vermieden und jene Linie des Tacts wirklich kaum ein einziges Mal überschrit-


unsrer bedeutendsten politischen Schriftsteller vor der Revolution. Scharfe Be-
obachtungs- und Combinationsgabe, verbunden mit einer nimmer ruhenden Vater¬
landsliebe und einer mitunter ans Naive streifenden reinen Begeisterung, die
über alles Kleine und Irrthümliche schließlich den Sieg davon trug, haben in
seinem Kopfe eine politische Gcsammtanschauung erzeugt, wie sie damals in
Deutschland sicher höchst selten vorhanden war. Was hätte uns. so fragen wir
wieder, dieser Mann leisten können, wenn er getragen war von einem großen
öffentlichen Leben, und wann werden endlich die Früchte reifen, deren Saaten
er ausstreuen half und die er im Geiste voraus erblickte?

Es liegt auf der Hand, daß ein Fest zu Ehren Friedrich Lifts in unsern
Tagen seine heikeligen Seiten hatte. Es konnte im Grund jede Partei der
andern das Fest streitig machen. Man hätte es den Schutzzöllnern kaum ver¬
denken können, wenn sie sich abermals um diesen Namen geschaart hätten, um
angesichts des ehernen Standbildes ihres Agitators für die harte Bedrängniß
ihrer Sache in dieser Zeit sich gegenseitig neuen Muth zuzusprechen. Allein
in welchem Sinne immer die erste Anregung zum Denkmal vor zwölf Jahren
ausgegangen sein mochte, so lag doch gerade in diesem Zeitraum eine so un¬
geheure Umwandlung in unsren gesammten volkswirtschaftlichen Anschauungen,
daß es nur als ein kolossaler Anachronismus erscheinen konnte, ein in jenem
Sinne errichtetes Denkmal zu enthüllen in Tagen, da selbst Oestreich seinen
Uebergang zum Freihandelssystem unzweideutig angekündigt hat. Jedenfalls fei¬
erte man auf diese Weise von Lifts Wirksamkeit nur die eine Seite, und wenn
nicht alle Zeichen der Zeit trogen, gerade diejenige, deren bleibender Werth am
zweifelhaftesten war; man hatte List noch immer nur als Mann der Partei
aufgefaßt, während doch Alle über seine nationale Bedeutung einig waren.
Andrerseits konnte freilich der Charakter einer nationalen Feier auch dadurch
nur aufs stärkste getrübt werden, wenn etwa die Parteien kampfgerüstet herbei¬
zogen und vor dem neuen Erzguß alter Hader sich erneuerte. Es mußte im
Gegentheil die Aufgabe sein, die Feier über den Gegensätzen des Tags zu halten,
und jedem, der irgendwie die großen vaterländischen Verdienste Lifts anerkannte,
gleichviel wie er zum jetzigen Kampf seine Stellung nahm, die Theilnahme zu
ermöglichen. So einigte man sich stillschweigend dahin, dem Fest einen gewisser¬
maßen neutralen Charakter zu geben, was freilich auf die Feststimmung nicht
eben erhebend zurückwirken und die Eifriger weder hüben noch drüben befrie¬
digen konnte, aber unter den gegebenen Umständen wohl das einzig Nichtige,
und mit ein wenig Tact und Selbstverläugnung auch wohl zu erreichen war.
In dieser Beziehung war es besonders von Werth, daß gerade einige der be¬
kanntesten Schutzzöllner und sonstigen Gegner des Handelsvertrags sich selbst
vom Fest ausgeschlossen hatten, wodurch denn jede Provocation um so leichter
vermieden und jene Linie des Tacts wirklich kaum ein einziges Mal überschrit-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115732"/>
          <p xml:id="ID_930" prev="#ID_929"> unsrer bedeutendsten politischen Schriftsteller vor der Revolution. Scharfe Be-<lb/>
obachtungs- und Combinationsgabe, verbunden mit einer nimmer ruhenden Vater¬<lb/>
landsliebe und einer mitunter ans Naive streifenden reinen Begeisterung, die<lb/>
über alles Kleine und Irrthümliche schließlich den Sieg davon trug, haben in<lb/>
seinem Kopfe eine politische Gcsammtanschauung erzeugt, wie sie damals in<lb/>
Deutschland sicher höchst selten vorhanden war. Was hätte uns. so fragen wir<lb/>
wieder, dieser Mann leisten können, wenn er getragen war von einem großen<lb/>
öffentlichen Leben, und wann werden endlich die Früchte reifen, deren Saaten<lb/>
er ausstreuen half und die er im Geiste voraus erblickte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_931" next="#ID_932"> Es liegt auf der Hand, daß ein Fest zu Ehren Friedrich Lifts in unsern<lb/>
Tagen seine heikeligen Seiten hatte.  Es konnte im Grund jede Partei der<lb/>
andern das Fest streitig machen.  Man hätte es den Schutzzöllnern kaum ver¬<lb/>
denken können, wenn sie sich abermals um diesen Namen geschaart hätten, um<lb/>
angesichts des ehernen Standbildes ihres Agitators für die harte Bedrängniß<lb/>
ihrer Sache in dieser Zeit sich gegenseitig neuen Muth zuzusprechen. Allein<lb/>
in welchem Sinne immer die erste Anregung zum Denkmal vor zwölf Jahren<lb/>
ausgegangen sein mochte, so lag doch gerade in diesem Zeitraum eine so un¬<lb/>
geheure Umwandlung in unsren gesammten volkswirtschaftlichen Anschauungen,<lb/>
daß es nur als ein kolossaler Anachronismus erscheinen konnte, ein in jenem<lb/>
Sinne errichtetes Denkmal zu enthüllen in Tagen, da selbst Oestreich seinen<lb/>
Uebergang zum Freihandelssystem unzweideutig angekündigt hat.  Jedenfalls fei¬<lb/>
erte man auf diese Weise von Lifts Wirksamkeit nur die eine Seite, und wenn<lb/>
nicht alle Zeichen der Zeit trogen, gerade diejenige, deren bleibender Werth am<lb/>
zweifelhaftesten war; man hatte List noch immer nur als Mann der Partei<lb/>
aufgefaßt, während doch Alle über seine nationale Bedeutung einig waren.<lb/>
Andrerseits konnte freilich der Charakter einer nationalen Feier auch dadurch<lb/>
nur aufs stärkste getrübt werden, wenn etwa die Parteien kampfgerüstet herbei¬<lb/>
zogen und vor dem neuen Erzguß alter Hader sich erneuerte.  Es mußte im<lb/>
Gegentheil die Aufgabe sein, die Feier über den Gegensätzen des Tags zu halten,<lb/>
und jedem, der irgendwie die großen vaterländischen Verdienste Lifts anerkannte,<lb/>
gleichviel wie er zum jetzigen Kampf seine Stellung nahm, die Theilnahme zu<lb/>
ermöglichen. So einigte man sich stillschweigend dahin, dem Fest einen gewisser¬<lb/>
maßen neutralen Charakter zu geben, was freilich auf die Feststimmung nicht<lb/>
eben erhebend zurückwirken und die Eifriger weder hüben noch drüben befrie¬<lb/>
digen konnte, aber unter den gegebenen Umständen wohl das einzig Nichtige,<lb/>
und mit ein wenig Tact und Selbstverläugnung auch wohl zu erreichen war.<lb/>
In dieser Beziehung war es besonders von Werth, daß gerade einige der be¬<lb/>
kanntesten Schutzzöllner und sonstigen Gegner des Handelsvertrags sich selbst<lb/>
vom Fest ausgeschlossen hatten, wodurch denn jede Provocation um so leichter<lb/>
vermieden und jene Linie des Tacts wirklich kaum ein einziges Mal überschrit-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] unsrer bedeutendsten politischen Schriftsteller vor der Revolution. Scharfe Be- obachtungs- und Combinationsgabe, verbunden mit einer nimmer ruhenden Vater¬ landsliebe und einer mitunter ans Naive streifenden reinen Begeisterung, die über alles Kleine und Irrthümliche schließlich den Sieg davon trug, haben in seinem Kopfe eine politische Gcsammtanschauung erzeugt, wie sie damals in Deutschland sicher höchst selten vorhanden war. Was hätte uns. so fragen wir wieder, dieser Mann leisten können, wenn er getragen war von einem großen öffentlichen Leben, und wann werden endlich die Früchte reifen, deren Saaten er ausstreuen half und die er im Geiste voraus erblickte? Es liegt auf der Hand, daß ein Fest zu Ehren Friedrich Lifts in unsern Tagen seine heikeligen Seiten hatte. Es konnte im Grund jede Partei der andern das Fest streitig machen. Man hätte es den Schutzzöllnern kaum ver¬ denken können, wenn sie sich abermals um diesen Namen geschaart hätten, um angesichts des ehernen Standbildes ihres Agitators für die harte Bedrängniß ihrer Sache in dieser Zeit sich gegenseitig neuen Muth zuzusprechen. Allein in welchem Sinne immer die erste Anregung zum Denkmal vor zwölf Jahren ausgegangen sein mochte, so lag doch gerade in diesem Zeitraum eine so un¬ geheure Umwandlung in unsren gesammten volkswirtschaftlichen Anschauungen, daß es nur als ein kolossaler Anachronismus erscheinen konnte, ein in jenem Sinne errichtetes Denkmal zu enthüllen in Tagen, da selbst Oestreich seinen Uebergang zum Freihandelssystem unzweideutig angekündigt hat. Jedenfalls fei¬ erte man auf diese Weise von Lifts Wirksamkeit nur die eine Seite, und wenn nicht alle Zeichen der Zeit trogen, gerade diejenige, deren bleibender Werth am zweifelhaftesten war; man hatte List noch immer nur als Mann der Partei aufgefaßt, während doch Alle über seine nationale Bedeutung einig waren. Andrerseits konnte freilich der Charakter einer nationalen Feier auch dadurch nur aufs stärkste getrübt werden, wenn etwa die Parteien kampfgerüstet herbei¬ zogen und vor dem neuen Erzguß alter Hader sich erneuerte. Es mußte im Gegentheil die Aufgabe sein, die Feier über den Gegensätzen des Tags zu halten, und jedem, der irgendwie die großen vaterländischen Verdienste Lifts anerkannte, gleichviel wie er zum jetzigen Kampf seine Stellung nahm, die Theilnahme zu ermöglichen. So einigte man sich stillschweigend dahin, dem Fest einen gewisser¬ maßen neutralen Charakter zu geben, was freilich auf die Feststimmung nicht eben erhebend zurückwirken und die Eifriger weder hüben noch drüben befrie¬ digen konnte, aber unter den gegebenen Umständen wohl das einzig Nichtige, und mit ein wenig Tact und Selbstverläugnung auch wohl zu erreichen war. In dieser Beziehung war es besonders von Werth, daß gerade einige der be¬ kanntesten Schutzzöllner und sonstigen Gegner des Handelsvertrags sich selbst vom Fest ausgeschlossen hatten, wodurch denn jede Provocation um so leichter vermieden und jene Linie des Tacts wirklich kaum ein einziges Mal überschrit-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/340>, abgerufen am 28.07.2024.