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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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nerung werth ist es, daß seine schutzzöllnerische Ueberzeugung, wie entschieden
sie immer auftrat, ihn doch keineswegs so weit hinriß, als seine Anhänger in
Süddeutschland schon im Jahre 1845 zu gehen Miene machten. Als nämlich
damals angesichts des preußischen Widerstands gegen Erhöhung der Schutzzölle
in der würtembergischen Kammer die Drohung laut wurde, sich von Preußen
zu trennen und mit Oestreich zu verbinden, trat er solchen Gelüsten entschieden
entgegen. Mit dem Zollverein schienen ihm die Hoffnungen der deutschen Ein¬
heit zu stehen und zu fallen, seine Sprengung erschien ihm als der Anfang
von Deutschlands Verfall. So imposant und lebenskräftig auch Oestreich auf¬
trete, so könne es doch nur der treue Alliirte des vereinten Deutschlands sein;
unser Geist, unsere Interessen, unsere Bildung, unsere Hoffnungen und Wünsche
passen nicht in das Gefüge des Kaiserstaats, nur vou einem näheren Anschluß
der beiden Handelskörper könne vor der Hand die Rede sein, nicht von einer
vollständigen Vereinigung. Seine Hoffnungen ruhten auf Preußen. Mit ge¬
hobener Erwartung folgte er den Symptomen, welche die Verleihung einer
Preußischen Verfassung ankündigten, freilich dazwischen wieder von trostlosen
Stimmungen überwältigt, in denen es ihm schien, daß uns der König von
Preußen allerdings zu einem Zollverein über ganz Deutschland, zur Marine
und zum deutschen Parlament führen werde, aber nur anders, als er geglaubt,
nämlich durch eine Revolution; das Endergebniß könne nicht zweifelhaft sein,
aber den Glauben an eine gute und organische Entwickelung habe er aufgegeben.

Dieser Gedanke der durch Preußen herzustellenden Nationaleinheit ist "och
der Kern seines letzten Vermächtnisses, seiner Denkschrift über eine englisch-
deutsche Allianz, die er den Höfen von London und Berlin einreichte. Selbst¬
verständlich ist ihm, dem angeblichen Preußenhasser, daß Deutschland seine
Wiedergeburt nur von Preußen zu erwarten habe, und der Zollverein, dessen
Gründung hauptsächlich der preußischen Regierung zu verdanken sei, sei der
erste und folgenreichste Schritt zu dieser Wiedergeburt, die materielle Grundlage
der künstigen politischen Einigung; durch diese Maßregel habe daher Preußen
die Herzen aller derer gewonnen, die das Wohl des deutschen Vaterlandes im
Herzen tragen und Einsicht genug besitzen, um zu wissen, daß dasselbe nur durch
Nationaleinheit gegen die Uebergriffe seiner mächtigen Nachbarn zu schützen sei.
Was List in ebenso sachlich klarer als prophetischer Weise in dieser Denkschrift
über die europäischen Allianzen sagte, über die Hinneigung Frankreichs zu Ru߬
land, über den Geist der französischen Verwaltung, über das Verhältniß Eng¬
lands zu Amerika und zu Indien, über die orientalische Frage, endlich über
den Zustand der Währung in Deutschland, die tiefe Kluft zwischen dem Volk
und den bureaukratischen Regierungen, "die einen hellsehender Politiker erschrecken
müßte, würde er nicht erkennen, daß Preußens Existenz und Zukunft auf der
politischen Wiedergeburt Deutschlands beruht", dies Alles macht ihn zu einem


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nerung werth ist es, daß seine schutzzöllnerische Ueberzeugung, wie entschieden
sie immer auftrat, ihn doch keineswegs so weit hinriß, als seine Anhänger in
Süddeutschland schon im Jahre 1845 zu gehen Miene machten. Als nämlich
damals angesichts des preußischen Widerstands gegen Erhöhung der Schutzzölle
in der würtembergischen Kammer die Drohung laut wurde, sich von Preußen
zu trennen und mit Oestreich zu verbinden, trat er solchen Gelüsten entschieden
entgegen. Mit dem Zollverein schienen ihm die Hoffnungen der deutschen Ein¬
heit zu stehen und zu fallen, seine Sprengung erschien ihm als der Anfang
von Deutschlands Verfall. So imposant und lebenskräftig auch Oestreich auf¬
trete, so könne es doch nur der treue Alliirte des vereinten Deutschlands sein;
unser Geist, unsere Interessen, unsere Bildung, unsere Hoffnungen und Wünsche
passen nicht in das Gefüge des Kaiserstaats, nur vou einem näheren Anschluß
der beiden Handelskörper könne vor der Hand die Rede sein, nicht von einer
vollständigen Vereinigung. Seine Hoffnungen ruhten auf Preußen. Mit ge¬
hobener Erwartung folgte er den Symptomen, welche die Verleihung einer
Preußischen Verfassung ankündigten, freilich dazwischen wieder von trostlosen
Stimmungen überwältigt, in denen es ihm schien, daß uns der König von
Preußen allerdings zu einem Zollverein über ganz Deutschland, zur Marine
und zum deutschen Parlament führen werde, aber nur anders, als er geglaubt,
nämlich durch eine Revolution; das Endergebniß könne nicht zweifelhaft sein,
aber den Glauben an eine gute und organische Entwickelung habe er aufgegeben.

Dieser Gedanke der durch Preußen herzustellenden Nationaleinheit ist »och
der Kern seines letzten Vermächtnisses, seiner Denkschrift über eine englisch-
deutsche Allianz, die er den Höfen von London und Berlin einreichte. Selbst¬
verständlich ist ihm, dem angeblichen Preußenhasser, daß Deutschland seine
Wiedergeburt nur von Preußen zu erwarten habe, und der Zollverein, dessen
Gründung hauptsächlich der preußischen Regierung zu verdanken sei, sei der
erste und folgenreichste Schritt zu dieser Wiedergeburt, die materielle Grundlage
der künstigen politischen Einigung; durch diese Maßregel habe daher Preußen
die Herzen aller derer gewonnen, die das Wohl des deutschen Vaterlandes im
Herzen tragen und Einsicht genug besitzen, um zu wissen, daß dasselbe nur durch
Nationaleinheit gegen die Uebergriffe seiner mächtigen Nachbarn zu schützen sei.
Was List in ebenso sachlich klarer als prophetischer Weise in dieser Denkschrift
über die europäischen Allianzen sagte, über die Hinneigung Frankreichs zu Ru߬
land, über den Geist der französischen Verwaltung, über das Verhältniß Eng¬
lands zu Amerika und zu Indien, über die orientalische Frage, endlich über
den Zustand der Währung in Deutschland, die tiefe Kluft zwischen dem Volk
und den bureaukratischen Regierungen, „die einen hellsehender Politiker erschrecken
müßte, würde er nicht erkennen, daß Preußens Existenz und Zukunft auf der
politischen Wiedergeburt Deutschlands beruht", dies Alles macht ihn zu einem


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[0339] nerung werth ist es, daß seine schutzzöllnerische Ueberzeugung, wie entschieden sie immer auftrat, ihn doch keineswegs so weit hinriß, als seine Anhänger in Süddeutschland schon im Jahre 1845 zu gehen Miene machten. Als nämlich damals angesichts des preußischen Widerstands gegen Erhöhung der Schutzzölle in der würtembergischen Kammer die Drohung laut wurde, sich von Preußen zu trennen und mit Oestreich zu verbinden, trat er solchen Gelüsten entschieden entgegen. Mit dem Zollverein schienen ihm die Hoffnungen der deutschen Ein¬ heit zu stehen und zu fallen, seine Sprengung erschien ihm als der Anfang von Deutschlands Verfall. So imposant und lebenskräftig auch Oestreich auf¬ trete, so könne es doch nur der treue Alliirte des vereinten Deutschlands sein; unser Geist, unsere Interessen, unsere Bildung, unsere Hoffnungen und Wünsche passen nicht in das Gefüge des Kaiserstaats, nur vou einem näheren Anschluß der beiden Handelskörper könne vor der Hand die Rede sein, nicht von einer vollständigen Vereinigung. Seine Hoffnungen ruhten auf Preußen. Mit ge¬ hobener Erwartung folgte er den Symptomen, welche die Verleihung einer Preußischen Verfassung ankündigten, freilich dazwischen wieder von trostlosen Stimmungen überwältigt, in denen es ihm schien, daß uns der König von Preußen allerdings zu einem Zollverein über ganz Deutschland, zur Marine und zum deutschen Parlament führen werde, aber nur anders, als er geglaubt, nämlich durch eine Revolution; das Endergebniß könne nicht zweifelhaft sein, aber den Glauben an eine gute und organische Entwickelung habe er aufgegeben. Dieser Gedanke der durch Preußen herzustellenden Nationaleinheit ist »och der Kern seines letzten Vermächtnisses, seiner Denkschrift über eine englisch- deutsche Allianz, die er den Höfen von London und Berlin einreichte. Selbst¬ verständlich ist ihm, dem angeblichen Preußenhasser, daß Deutschland seine Wiedergeburt nur von Preußen zu erwarten habe, und der Zollverein, dessen Gründung hauptsächlich der preußischen Regierung zu verdanken sei, sei der erste und folgenreichste Schritt zu dieser Wiedergeburt, die materielle Grundlage der künstigen politischen Einigung; durch diese Maßregel habe daher Preußen die Herzen aller derer gewonnen, die das Wohl des deutschen Vaterlandes im Herzen tragen und Einsicht genug besitzen, um zu wissen, daß dasselbe nur durch Nationaleinheit gegen die Uebergriffe seiner mächtigen Nachbarn zu schützen sei. Was List in ebenso sachlich klarer als prophetischer Weise in dieser Denkschrift über die europäischen Allianzen sagte, über die Hinneigung Frankreichs zu Ru߬ land, über den Geist der französischen Verwaltung, über das Verhältniß Eng¬ lands zu Amerika und zu Indien, über die orientalische Frage, endlich über den Zustand der Währung in Deutschland, die tiefe Kluft zwischen dem Volk und den bureaukratischen Regierungen, „die einen hellsehender Politiker erschrecken müßte, würde er nicht erkennen, daß Preußens Existenz und Zukunft auf der politischen Wiedergeburt Deutschlands beruht", dies Alles macht ihn zu einem 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/339>, abgerufen am 28.07.2024.