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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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durch die Versammlung beim Stern, das Glaubensschießen in Lana und die
vielen Processionen ausgesprochen, wobei er jedoch gelten ließ, daß die Geist¬
lichkeit diese Schauspiele veranstaltet. "Wie groß," rief er aus, "muß ihre
Macht sein, wenn ein ganzes Volk willig gehorcht! Mögen Andere versuchen,
denselben Einfluß zu üben, der Erfolg wird ein Maulwurfshaufen gegen die
Ortelesspitze werden!" Vielleicht paßt das Gleichniß umgekehrt besser.

In würdiger und schlagender Weise deckten Blaas und Baron Ingram
den Flitter dieser frommen Künste auf. Blaas beleuchtete insbesondere mit
ungescheuter Offenheit den gesetzwidrigen Standpunkt, den der Oberstaatsanwalt
eingenommen, er unterstützte seine Ansicht namentlich mit jenen Gründen, wo¬
mit wir schon oben die schiefe Auffassung der Reichsgesetze dargelegt. Zu
Rechtsverletzungen, wie die vorgeschlagenen Ausnahmsgesetze wären, meinte er.
wolle er nicht helfen, "mißfalle es nun, wem es wolle". Ingram erörterte
mit ebenso edlem Freimuth die Nachtheile, die sich aus der Ausschließung so
vieler Deutschen für die einheimische Nationalwirtschaft ergäben, die erschwerte
Stellung der tirolischen Abgeordneten im Reichsrath, denen man stets ihre
Sondcrgelüste vorwerfe; ja den Gewinn, den selbst die katholischen Seelsorger
aus dem Sporn des Wetteifers und der nothgedrungenen besseren Ausbildung
zögen. Alle Agitation sei nur eine gemachte, die Einschüchterung von Seite
der Geistlichen und die Furcht vor ihrer Feindschaft hätten die Opposition
gegen das zeitgemäße Gesetz vom 8. April 1861 hervorgerufen, man mache
den Leuten, die nie einen Protestanten gesehen, die ungeheuerlichsten Vorstel¬
lungen von der Verworfenheit und Ansteckungsfähigkeit dieser gefährlichen
Menschenrace. Die gebildete Classe stände meist auf seiner Seite, und wenn
die Wälschtiroler nicht wegen ihrer Trennungsbestrebungen größtenteils vom
Landtag weggeblieben, würde man den vorgeblichen Wunsch des Landes auf
ein mehr als bescheidenes Maß beschränkt sehen. Wir bedauern nur, daß sich
der Redner nicht kürzer, schneidender und derber faßte.

Dagegen erhob sich der Fürstbischof von Trient. Man beschuldige den
Klerus ungesetzlicher Aufreizung, dieser habe aber nur über den Werth des
wahren Glaubens und das Unglück einer Neligionsspaltung gepredigt. Eine
einzige Klage (?) sei gegen einen Prediger eingereicht worden. Hätten die Geist¬
lichen das Maß der Klugheit überschritten, so würde es an mehrern nicht ge¬
fehlt haben. Zur Abhaltung von Processionen und weiten Bittgängen sei der
Klerus durch den Ungestüm des Volkes gedrängt worden; ob es denn besser
gewesen, wenn "der kräftige Bergbewohner statt zum Rosenkranz zu den Waffen
gegriffen hätte?" Wir wollen Niemandem etwas in die Schuhe schieben, was
aber der hochwürdigste Herr selbst für erlaubte Agitation hält, zeigte sein be¬
kannter Hirtenbrief, den er aus Anlaß der Jubelfeier des trienter Concils er¬
ließ. Nach Inhalt desselben wäre Luther nur "von seinen Leidenschaften"


durch die Versammlung beim Stern, das Glaubensschießen in Lana und die
vielen Processionen ausgesprochen, wobei er jedoch gelten ließ, daß die Geist¬
lichkeit diese Schauspiele veranstaltet. „Wie groß," rief er aus, „muß ihre
Macht sein, wenn ein ganzes Volk willig gehorcht! Mögen Andere versuchen,
denselben Einfluß zu üben, der Erfolg wird ein Maulwurfshaufen gegen die
Ortelesspitze werden!" Vielleicht paßt das Gleichniß umgekehrt besser.

In würdiger und schlagender Weise deckten Blaas und Baron Ingram
den Flitter dieser frommen Künste auf. Blaas beleuchtete insbesondere mit
ungescheuter Offenheit den gesetzwidrigen Standpunkt, den der Oberstaatsanwalt
eingenommen, er unterstützte seine Ansicht namentlich mit jenen Gründen, wo¬
mit wir schon oben die schiefe Auffassung der Reichsgesetze dargelegt. Zu
Rechtsverletzungen, wie die vorgeschlagenen Ausnahmsgesetze wären, meinte er.
wolle er nicht helfen, „mißfalle es nun, wem es wolle". Ingram erörterte
mit ebenso edlem Freimuth die Nachtheile, die sich aus der Ausschließung so
vieler Deutschen für die einheimische Nationalwirtschaft ergäben, die erschwerte
Stellung der tirolischen Abgeordneten im Reichsrath, denen man stets ihre
Sondcrgelüste vorwerfe; ja den Gewinn, den selbst die katholischen Seelsorger
aus dem Sporn des Wetteifers und der nothgedrungenen besseren Ausbildung
zögen. Alle Agitation sei nur eine gemachte, die Einschüchterung von Seite
der Geistlichen und die Furcht vor ihrer Feindschaft hätten die Opposition
gegen das zeitgemäße Gesetz vom 8. April 1861 hervorgerufen, man mache
den Leuten, die nie einen Protestanten gesehen, die ungeheuerlichsten Vorstel¬
lungen von der Verworfenheit und Ansteckungsfähigkeit dieser gefährlichen
Menschenrace. Die gebildete Classe stände meist auf seiner Seite, und wenn
die Wälschtiroler nicht wegen ihrer Trennungsbestrebungen größtenteils vom
Landtag weggeblieben, würde man den vorgeblichen Wunsch des Landes auf
ein mehr als bescheidenes Maß beschränkt sehen. Wir bedauern nur, daß sich
der Redner nicht kürzer, schneidender und derber faßte.

Dagegen erhob sich der Fürstbischof von Trient. Man beschuldige den
Klerus ungesetzlicher Aufreizung, dieser habe aber nur über den Werth des
wahren Glaubens und das Unglück einer Neligionsspaltung gepredigt. Eine
einzige Klage (?) sei gegen einen Prediger eingereicht worden. Hätten die Geist¬
lichen das Maß der Klugheit überschritten, so würde es an mehrern nicht ge¬
fehlt haben. Zur Abhaltung von Processionen und weiten Bittgängen sei der
Klerus durch den Ungestüm des Volkes gedrängt worden; ob es denn besser
gewesen, wenn „der kräftige Bergbewohner statt zum Rosenkranz zu den Waffen
gegriffen hätte?" Wir wollen Niemandem etwas in die Schuhe schieben, was
aber der hochwürdigste Herr selbst für erlaubte Agitation hält, zeigte sein be¬
kannter Hirtenbrief, den er aus Anlaß der Jubelfeier des trienter Concils er¬
ließ. Nach Inhalt desselben wäre Luther nur „von seinen Leidenschaften"


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[0298] durch die Versammlung beim Stern, das Glaubensschießen in Lana und die vielen Processionen ausgesprochen, wobei er jedoch gelten ließ, daß die Geist¬ lichkeit diese Schauspiele veranstaltet. „Wie groß," rief er aus, „muß ihre Macht sein, wenn ein ganzes Volk willig gehorcht! Mögen Andere versuchen, denselben Einfluß zu üben, der Erfolg wird ein Maulwurfshaufen gegen die Ortelesspitze werden!" Vielleicht paßt das Gleichniß umgekehrt besser. In würdiger und schlagender Weise deckten Blaas und Baron Ingram den Flitter dieser frommen Künste auf. Blaas beleuchtete insbesondere mit ungescheuter Offenheit den gesetzwidrigen Standpunkt, den der Oberstaatsanwalt eingenommen, er unterstützte seine Ansicht namentlich mit jenen Gründen, wo¬ mit wir schon oben die schiefe Auffassung der Reichsgesetze dargelegt. Zu Rechtsverletzungen, wie die vorgeschlagenen Ausnahmsgesetze wären, meinte er. wolle er nicht helfen, „mißfalle es nun, wem es wolle". Ingram erörterte mit ebenso edlem Freimuth die Nachtheile, die sich aus der Ausschließung so vieler Deutschen für die einheimische Nationalwirtschaft ergäben, die erschwerte Stellung der tirolischen Abgeordneten im Reichsrath, denen man stets ihre Sondcrgelüste vorwerfe; ja den Gewinn, den selbst die katholischen Seelsorger aus dem Sporn des Wetteifers und der nothgedrungenen besseren Ausbildung zögen. Alle Agitation sei nur eine gemachte, die Einschüchterung von Seite der Geistlichen und die Furcht vor ihrer Feindschaft hätten die Opposition gegen das zeitgemäße Gesetz vom 8. April 1861 hervorgerufen, man mache den Leuten, die nie einen Protestanten gesehen, die ungeheuerlichsten Vorstel¬ lungen von der Verworfenheit und Ansteckungsfähigkeit dieser gefährlichen Menschenrace. Die gebildete Classe stände meist auf seiner Seite, und wenn die Wälschtiroler nicht wegen ihrer Trennungsbestrebungen größtenteils vom Landtag weggeblieben, würde man den vorgeblichen Wunsch des Landes auf ein mehr als bescheidenes Maß beschränkt sehen. Wir bedauern nur, daß sich der Redner nicht kürzer, schneidender und derber faßte. Dagegen erhob sich der Fürstbischof von Trient. Man beschuldige den Klerus ungesetzlicher Aufreizung, dieser habe aber nur über den Werth des wahren Glaubens und das Unglück einer Neligionsspaltung gepredigt. Eine einzige Klage (?) sei gegen einen Prediger eingereicht worden. Hätten die Geist¬ lichen das Maß der Klugheit überschritten, so würde es an mehrern nicht ge¬ fehlt haben. Zur Abhaltung von Processionen und weiten Bittgängen sei der Klerus durch den Ungestüm des Volkes gedrängt worden; ob es denn besser gewesen, wenn „der kräftige Bergbewohner statt zum Rosenkranz zu den Waffen gegriffen hätte?" Wir wollen Niemandem etwas in die Schuhe schieben, was aber der hochwürdigste Herr selbst für erlaubte Agitation hält, zeigte sein be¬ kannter Hirtenbrief, den er aus Anlaß der Jubelfeier des trienter Concils er¬ ließ. Nach Inhalt desselben wäre Luther nur „von seinen Leidenschaften"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/298>, abgerufen am 28.07.2024.