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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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gekündigte Schauturnen. Etwa 7000 Mann des Zuges stellten sich in einem gro¬
ßen Viereck zur Ausführung von Freiübungen auf, wahrend die anderen sich
an die Geräthe verfügten. Götz von Lindenau, Mitglied des Fünszehner-
ausscbusses und um die Turnsache vielfach verdient, hielt eine Ansprache an
die Versammelten. Dann begannen jene siebentausend unter'Leitung des Direk¬
tors des leipziger Turnwesens Dr. Lion ihre Bewegungen, die von den Mei¬
sten mit großer Präcision ausgeführt wurden und von den zahlreich besetzten
Tribünen gesehen einen höchst eigenthümlichen Anblick gewährten. Bald zuck¬
ten Tausende von Armen taktgerecht auf und nieder, bald wogte es wie ein
See mit grauen Wellen hin und her, bald war es, als ob der Erdboden ela¬
stisch geworden wäre und sich höbe und senkte. Weniger Eindruck machte das
Turnen an den Geräthen, da Viele, von dem Zuge ermüdet, und noch mehr
wohl von den Trinkanstaiten in der großen Halle und den benachbarten Bier¬
zelten verlockt, sich von demselben fern hielten. Man sieht, das Geschlecht der
Eß- und Festturner war auch vertreten, und mehr als billig. Was indeß am
Reck, Barren und Springpferd geleistet wurde, war meist tüchtig. Besonders
gut sahen wir die Berliner und die Pommern sowie die Hamburger turnen.
Ais vorzügliche Springer erwiesen sich die Potsdamer. Sehr mäßig fanden
wir die turnerische Ausbildung der böhmischen Vereine, namentlich am Reck, ja
en wurde uns erzählt, wie einige von ihnen erst bei ihrer Ankunft in Leipzig
erfahren, daß auch Freiübungen ein wesentlicher Theil der Turnkunst sind. Bes¬
ser geschult zeigten sich die Wiener, und auch unter den Bayern und Schwa¬
ben hatte man manche schöne Leistung zu bewundern.

Als es dunkelte, verließen die Turner ihre Geräthe und schwärmten in
dichten Schaaren über den Platz, nach der Halle und den Zelten und Hütten
zur Seite. Der Festplatz mag in diesen Stunden bisweilen an vierzigtausend
Menschen umfaßt haben. Die Chaussee neben ihm war schwarz von Ab- und
Zuströmenden, schwerbeladener Fiakern und Omnibussen. Ueberall Gesang und
lautes Rufen. Auf Tischen und Bänken Redner, welche die Massen haran-
guirten, in Reime gebrachten Patriotismus vortrugen oder ihrer guten Laune
in Scherzen Luft machten. Zahllose Umarmungen von Süd und Nord, Gläser-
klingcn, Hurrahgeschrei und Brüderschafttrinken. Allenthalben und weithin zu
hören das Rauschen und Brander eines großen Volkes.

Als die Uhr am Thurm der Festhalte die neunte Stunde anzeigte, ging
das Nachtmanöver der Leipziger Turm ersc uerwehr an dem in der
Mitte des Festplatzcs für diesen Zweck erbauten Steigerhause vor sich, welches
durch bengalische Flammen in der Weise erleuchtet war, daß es innen zu bren¬
nen schien. Donnernde Bravorufe der Zuschauer lohnten die Gewandtheit,
welche die kecken Gesellen dabei an den Tag legten.

Der Vormittag des vierten August sah das Schauturnen des leip-


gekündigte Schauturnen. Etwa 7000 Mann des Zuges stellten sich in einem gro¬
ßen Viereck zur Ausführung von Freiübungen auf, wahrend die anderen sich
an die Geräthe verfügten. Götz von Lindenau, Mitglied des Fünszehner-
ausscbusses und um die Turnsache vielfach verdient, hielt eine Ansprache an
die Versammelten. Dann begannen jene siebentausend unter'Leitung des Direk¬
tors des leipziger Turnwesens Dr. Lion ihre Bewegungen, die von den Mei¬
sten mit großer Präcision ausgeführt wurden und von den zahlreich besetzten
Tribünen gesehen einen höchst eigenthümlichen Anblick gewährten. Bald zuck¬
ten Tausende von Armen taktgerecht auf und nieder, bald wogte es wie ein
See mit grauen Wellen hin und her, bald war es, als ob der Erdboden ela¬
stisch geworden wäre und sich höbe und senkte. Weniger Eindruck machte das
Turnen an den Geräthen, da Viele, von dem Zuge ermüdet, und noch mehr
wohl von den Trinkanstaiten in der großen Halle und den benachbarten Bier¬
zelten verlockt, sich von demselben fern hielten. Man sieht, das Geschlecht der
Eß- und Festturner war auch vertreten, und mehr als billig. Was indeß am
Reck, Barren und Springpferd geleistet wurde, war meist tüchtig. Besonders
gut sahen wir die Berliner und die Pommern sowie die Hamburger turnen.
Ais vorzügliche Springer erwiesen sich die Potsdamer. Sehr mäßig fanden
wir die turnerische Ausbildung der böhmischen Vereine, namentlich am Reck, ja
en wurde uns erzählt, wie einige von ihnen erst bei ihrer Ankunft in Leipzig
erfahren, daß auch Freiübungen ein wesentlicher Theil der Turnkunst sind. Bes¬
ser geschult zeigten sich die Wiener, und auch unter den Bayern und Schwa¬
ben hatte man manche schöne Leistung zu bewundern.

Als es dunkelte, verließen die Turner ihre Geräthe und schwärmten in
dichten Schaaren über den Platz, nach der Halle und den Zelten und Hütten
zur Seite. Der Festplatz mag in diesen Stunden bisweilen an vierzigtausend
Menschen umfaßt haben. Die Chaussee neben ihm war schwarz von Ab- und
Zuströmenden, schwerbeladener Fiakern und Omnibussen. Ueberall Gesang und
lautes Rufen. Auf Tischen und Bänken Redner, welche die Massen haran-
guirten, in Reime gebrachten Patriotismus vortrugen oder ihrer guten Laune
in Scherzen Luft machten. Zahllose Umarmungen von Süd und Nord, Gläser-
klingcn, Hurrahgeschrei und Brüderschafttrinken. Allenthalben und weithin zu
hören das Rauschen und Brander eines großen Volkes.

Als die Uhr am Thurm der Festhalte die neunte Stunde anzeigte, ging
das Nachtmanöver der Leipziger Turm ersc uerwehr an dem in der
Mitte des Festplatzcs für diesen Zweck erbauten Steigerhause vor sich, welches
durch bengalische Flammen in der Weise erleuchtet war, daß es innen zu bren¬
nen schien. Donnernde Bravorufe der Zuschauer lohnten die Gewandtheit,
welche die kecken Gesellen dabei an den Tag legten.

Der Vormittag des vierten August sah das Schauturnen des leip-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/276>, abgerufen am 28.07.2024.