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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Gedanken an Deutschland dabei nicht ganz zu umgehen, darum auch ein
Plätzchen für die deutschen Farben, was überdies gegenwärtig vielleicht von
Nutzen. Eine Art schwarzrothgoldner Ring, der das Wettinerwappen um¬
schloß, war uns nicht recht deutlich. Doch riethen wir auf hohen Bundestag.
Die Kreisdirection hatte mit anerkennenswerther Ehrlichkeit und Correctheit
nur zwei sächsische Fahnen auf ihren Altan gestellt. Auch unser frommer Herr
Pastor Ahlefeldt hatte den Grad seiner Achtung vor dem Feste auf diese Weise
ausdrücken zu müssen geglaubt. Die ungeheure Mehrzahl der übrigen Stadt¬
bewohner war, wie geschildert, sehr andrer Meinung.

Nun wissen wir sehr wohl, daß deutsche Fahnen zeigen ein Anderes ist
und Deutschlands wahres Interesse kennen und dafür handeln oder gar sich
opfern wollen wieder ein Anderes. Noch ist nicht Zeit zu prüfen und zu
richten. Doch wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß mehr als Einer,
der in diesen Tagen das Patriotenbanncr aus dem Fenster hing, bis jetzt eher
Abneigung als Liebe zu diesen Farben in der Seele trug, daß mancher, der
den deutschen Adler an sein Haus heftete, diesen Vogel im Grunde des Her¬
zens entweder als illoyalen Raubvogel oder als unbequemen Sturmvogel haßt.
Nicht unnütz mochte die Erinnerung sein, daß Kamptz der Dcmagogenjäger im
Jahre 1848 eine der größten schwarzrothgoldnen Kokarden trug, die Berlin
damals auszuweisen hatte. Auf alle Fälle wird Vorsicht bei dieser Betrachtung
so viel Recht haben als Vertrauen. Allein hier ist nicht sowohl die Frage, ob
die Begeisterung des Einzelnen sür Deutschland, die in dieser Fülle von Tri-
coloren und Wappentieren sich auszudrücken scheint , echt ist, als vielmehr, ob
diese Fahnen und Vögel die allgemeine Stimmung, die öffentliche Meinung
bedeuten. Und das Letztere ist zu bejahen. Wir wissen nicht, ob der oder jener
Biedermann sich die volle Bedeutung jener Symbole klar gemacht hat, aber
,es genügt, daß er glaubte, sie heraushängen zu müssen. Selbst die kleine
Tricolore im linken Winkel jener officiösen Zeitungsladenthür ist insofern
'einigermaßen beachtenswerth.

Man glaubt zu führen und man wird geführt, man meint sich herabzu¬
lassen und man wird geduldet. Das Volk führt den Neigen, und die Negierung
ist nicht gerade unwillkommen, wenn sie sich anschließt. Wir denken, daß dies
unzweifelhaft ein Fortschritt ist, mag grämliche Kritik am Einzelnen noch soviel
tadeln und mäkeln.

So kam der Sonnabend heran. Die Stadt war bereit zum Empfang
ihrer Gäste, die Festhalle mit ihren riesigen Küchen und Speisekammern, ihren
andern Nebengebäuden vollendet, der weitgestrcckte Turnplatz vor ihr ebenfalls.
Alle Rollen bei dem zu erwartenden Schauspiel waren vertheilt, Festwein und
Speisungsvermögcn der Wirthe in der Festhalle geprüft und probat erfunden. Die
Ausschüsse legten ihre Schärpen an, aus dem Rathhaus richtete sich das Bureau


Gedanken an Deutschland dabei nicht ganz zu umgehen, darum auch ein
Plätzchen für die deutschen Farben, was überdies gegenwärtig vielleicht von
Nutzen. Eine Art schwarzrothgoldner Ring, der das Wettinerwappen um¬
schloß, war uns nicht recht deutlich. Doch riethen wir auf hohen Bundestag.
Die Kreisdirection hatte mit anerkennenswerther Ehrlichkeit und Correctheit
nur zwei sächsische Fahnen auf ihren Altan gestellt. Auch unser frommer Herr
Pastor Ahlefeldt hatte den Grad seiner Achtung vor dem Feste auf diese Weise
ausdrücken zu müssen geglaubt. Die ungeheure Mehrzahl der übrigen Stadt¬
bewohner war, wie geschildert, sehr andrer Meinung.

Nun wissen wir sehr wohl, daß deutsche Fahnen zeigen ein Anderes ist
und Deutschlands wahres Interesse kennen und dafür handeln oder gar sich
opfern wollen wieder ein Anderes. Noch ist nicht Zeit zu prüfen und zu
richten. Doch wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß mehr als Einer,
der in diesen Tagen das Patriotenbanncr aus dem Fenster hing, bis jetzt eher
Abneigung als Liebe zu diesen Farben in der Seele trug, daß mancher, der
den deutschen Adler an sein Haus heftete, diesen Vogel im Grunde des Her¬
zens entweder als illoyalen Raubvogel oder als unbequemen Sturmvogel haßt.
Nicht unnütz mochte die Erinnerung sein, daß Kamptz der Dcmagogenjäger im
Jahre 1848 eine der größten schwarzrothgoldnen Kokarden trug, die Berlin
damals auszuweisen hatte. Auf alle Fälle wird Vorsicht bei dieser Betrachtung
so viel Recht haben als Vertrauen. Allein hier ist nicht sowohl die Frage, ob
die Begeisterung des Einzelnen sür Deutschland, die in dieser Fülle von Tri-
coloren und Wappentieren sich auszudrücken scheint , echt ist, als vielmehr, ob
diese Fahnen und Vögel die allgemeine Stimmung, die öffentliche Meinung
bedeuten. Und das Letztere ist zu bejahen. Wir wissen nicht, ob der oder jener
Biedermann sich die volle Bedeutung jener Symbole klar gemacht hat, aber
,es genügt, daß er glaubte, sie heraushängen zu müssen. Selbst die kleine
Tricolore im linken Winkel jener officiösen Zeitungsladenthür ist insofern
'einigermaßen beachtenswerth.

Man glaubt zu führen und man wird geführt, man meint sich herabzu¬
lassen und man wird geduldet. Das Volk führt den Neigen, und die Negierung
ist nicht gerade unwillkommen, wenn sie sich anschließt. Wir denken, daß dies
unzweifelhaft ein Fortschritt ist, mag grämliche Kritik am Einzelnen noch soviel
tadeln und mäkeln.

So kam der Sonnabend heran. Die Stadt war bereit zum Empfang
ihrer Gäste, die Festhalle mit ihren riesigen Küchen und Speisekammern, ihren
andern Nebengebäuden vollendet, der weitgestrcckte Turnplatz vor ihr ebenfalls.
Alle Rollen bei dem zu erwartenden Schauspiel waren vertheilt, Festwein und
Speisungsvermögcn der Wirthe in der Festhalle geprüft und probat erfunden. Die
Ausschüsse legten ihre Schärpen an, aus dem Rathhaus richtete sich das Bureau


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[0216] Gedanken an Deutschland dabei nicht ganz zu umgehen, darum auch ein Plätzchen für die deutschen Farben, was überdies gegenwärtig vielleicht von Nutzen. Eine Art schwarzrothgoldner Ring, der das Wettinerwappen um¬ schloß, war uns nicht recht deutlich. Doch riethen wir auf hohen Bundestag. Die Kreisdirection hatte mit anerkennenswerther Ehrlichkeit und Correctheit nur zwei sächsische Fahnen auf ihren Altan gestellt. Auch unser frommer Herr Pastor Ahlefeldt hatte den Grad seiner Achtung vor dem Feste auf diese Weise ausdrücken zu müssen geglaubt. Die ungeheure Mehrzahl der übrigen Stadt¬ bewohner war, wie geschildert, sehr andrer Meinung. Nun wissen wir sehr wohl, daß deutsche Fahnen zeigen ein Anderes ist und Deutschlands wahres Interesse kennen und dafür handeln oder gar sich opfern wollen wieder ein Anderes. Noch ist nicht Zeit zu prüfen und zu richten. Doch wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß mehr als Einer, der in diesen Tagen das Patriotenbanncr aus dem Fenster hing, bis jetzt eher Abneigung als Liebe zu diesen Farben in der Seele trug, daß mancher, der den deutschen Adler an sein Haus heftete, diesen Vogel im Grunde des Her¬ zens entweder als illoyalen Raubvogel oder als unbequemen Sturmvogel haßt. Nicht unnütz mochte die Erinnerung sein, daß Kamptz der Dcmagogenjäger im Jahre 1848 eine der größten schwarzrothgoldnen Kokarden trug, die Berlin damals auszuweisen hatte. Auf alle Fälle wird Vorsicht bei dieser Betrachtung so viel Recht haben als Vertrauen. Allein hier ist nicht sowohl die Frage, ob die Begeisterung des Einzelnen sür Deutschland, die in dieser Fülle von Tri- coloren und Wappentieren sich auszudrücken scheint , echt ist, als vielmehr, ob diese Fahnen und Vögel die allgemeine Stimmung, die öffentliche Meinung bedeuten. Und das Letztere ist zu bejahen. Wir wissen nicht, ob der oder jener Biedermann sich die volle Bedeutung jener Symbole klar gemacht hat, aber ,es genügt, daß er glaubte, sie heraushängen zu müssen. Selbst die kleine Tricolore im linken Winkel jener officiösen Zeitungsladenthür ist insofern 'einigermaßen beachtenswerth. Man glaubt zu führen und man wird geführt, man meint sich herabzu¬ lassen und man wird geduldet. Das Volk führt den Neigen, und die Negierung ist nicht gerade unwillkommen, wenn sie sich anschließt. Wir denken, daß dies unzweifelhaft ein Fortschritt ist, mag grämliche Kritik am Einzelnen noch soviel tadeln und mäkeln. So kam der Sonnabend heran. Die Stadt war bereit zum Empfang ihrer Gäste, die Festhalle mit ihren riesigen Küchen und Speisekammern, ihren andern Nebengebäuden vollendet, der weitgestrcckte Turnplatz vor ihr ebenfalls. Alle Rollen bei dem zu erwartenden Schauspiel waren vertheilt, Festwein und Speisungsvermögcn der Wirthe in der Festhalle geprüft und probat erfunden. Die Ausschüsse legten ihre Schärpen an, aus dem Rathhaus richtete sich das Bureau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/216>, abgerufen am 28.07.2024.