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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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zur Unterbringung der heranrückenden Turnerschaaren ein. Mehre Hundert
flinke Bürschchen im grauen Drellhabit der Turnerci, Zöglinge des leipziger
Turnvereins, standen bereit, den ankommenden Mitgliedern ihrer Genossenschaft
als Führer und Packträger zu dienen. Unbekümmert um die Würde des alten
Nathhaussaales. ohne viel Respect vor den ernsten Gesichtern der weiland hoch¬
preislichen Rathsherren und Bürgermeister, die aus ihren Bilderrahmen erstaunt
auf solch unerhörtes Treiben herabsahen, ungehindert von noch lebendigen Or¬
ganen des städtischen Regiments, schlugen sie in Ermangelung anderer Beschäf¬
tigung muthwillige Purzelbäume, gingen auf den Händen und standen auf den
Köpfen, eine Art scherzhafter Vorkost der ernsten Künste, welche der Leipziger am
Montag bewundern sollte. In den Gassen ein unablässiges Schwärmen schon jetzt
feiernder Massen, welche die Aufregung des Moments nicht mehr zu Hause ge¬
litten. Vor den Bahnhöfen dichte Haufen, Kopf an Kopf auf das Pfeifen der
Locomotive harrend, welche die Züge mit den Gästen herbeiführen sollten.

Und sie kamen endlich, erst einzelne, dann in kleinern und größeren Zügen,
zuletzt in Strömen. Trommeln oder Janitscharenmusik voran, mit fliegenden
Fahnen zogen sie, von frohen Hurrahs empfangen, nach dem Markte, um ihre
Quartierbillets zu erhalten, und in wenigen Stunden war die ganze Stadt
von ihnen erobert. Immer neue Schaaren folgten, Märker und Pommern,
Schlesier, Thüringer und Sachsen, Bayern und Oestreichs, prächtige Gestalten
in Menge darunter, gewaltige Schultern und Brustkasten, mächtige Bärte und
verwegene Blicke. Bis tief in die Nacht hinein währte der Zuzug fort, und
außer den Turnern brachten die Eisenbahnen unzählbare Massen anderer Gäste
zum Feste. Leipzig, außer den Messen so nüchtern und ruhig, summte diesen
Abend bis über die Geisterstunde hinaus wie ein ungeheurer Bienenstock. Die
Straßen voll Jubelgeschrei und Gesang, in den Bierkellern desgleichen in allen
Dialekten. Lachen und Händeschütteln, in den Familien frohe Erwartung, Hor¬
chen auf die Thürklingel, die dem Hause seinen Turner verkünden soll, herz¬
lichstes Bewillkommnen, wenn er endlich sich zeigt. Hätte das große Fest weiter
nichts Gutes geboten, als Gelegenheit, den Stammgenossen aus der Ferne die
Hand ehrlich gemeinter Gastlichkeit zu reichen und den Austausch gegenseitigen
Wohlwollens zwischen den einzelnen Gruppen der Festgenosscn zu vermitteln,
es wäre.nicht umsonst gefeiert worden.

Am Sonntag früh währte der Empfang einrückender Turnerschaaren fort.
Mittags fand zuerst Turntag, dann das erste große Festmahl statt. Der Abend sah
die Stadt und ihre Besucher sich in der Halle und den zahlreichen andern Trink¬
anstalten des Festplatzes vergnügen. Bei Tafel hatte man die Ehre, unter andern
Gästen auch den Freiherrn v. Beust zu sehen, und das Vergnügen, einen in länge¬
rer Rede motivirten Trinkspruch von ihm zu hören, das heißt, so weit zu hören,
als man in unmittelbarer Nähe der Tribüne saß. Schon am dritten Tisch von


Grenzboten III. 1862. 27

zur Unterbringung der heranrückenden Turnerschaaren ein. Mehre Hundert
flinke Bürschchen im grauen Drellhabit der Turnerci, Zöglinge des leipziger
Turnvereins, standen bereit, den ankommenden Mitgliedern ihrer Genossenschaft
als Führer und Packträger zu dienen. Unbekümmert um die Würde des alten
Nathhaussaales. ohne viel Respect vor den ernsten Gesichtern der weiland hoch¬
preislichen Rathsherren und Bürgermeister, die aus ihren Bilderrahmen erstaunt
auf solch unerhörtes Treiben herabsahen, ungehindert von noch lebendigen Or¬
ganen des städtischen Regiments, schlugen sie in Ermangelung anderer Beschäf¬
tigung muthwillige Purzelbäume, gingen auf den Händen und standen auf den
Köpfen, eine Art scherzhafter Vorkost der ernsten Künste, welche der Leipziger am
Montag bewundern sollte. In den Gassen ein unablässiges Schwärmen schon jetzt
feiernder Massen, welche die Aufregung des Moments nicht mehr zu Hause ge¬
litten. Vor den Bahnhöfen dichte Haufen, Kopf an Kopf auf das Pfeifen der
Locomotive harrend, welche die Züge mit den Gästen herbeiführen sollten.

Und sie kamen endlich, erst einzelne, dann in kleinern und größeren Zügen,
zuletzt in Strömen. Trommeln oder Janitscharenmusik voran, mit fliegenden
Fahnen zogen sie, von frohen Hurrahs empfangen, nach dem Markte, um ihre
Quartierbillets zu erhalten, und in wenigen Stunden war die ganze Stadt
von ihnen erobert. Immer neue Schaaren folgten, Märker und Pommern,
Schlesier, Thüringer und Sachsen, Bayern und Oestreichs, prächtige Gestalten
in Menge darunter, gewaltige Schultern und Brustkasten, mächtige Bärte und
verwegene Blicke. Bis tief in die Nacht hinein währte der Zuzug fort, und
außer den Turnern brachten die Eisenbahnen unzählbare Massen anderer Gäste
zum Feste. Leipzig, außer den Messen so nüchtern und ruhig, summte diesen
Abend bis über die Geisterstunde hinaus wie ein ungeheurer Bienenstock. Die
Straßen voll Jubelgeschrei und Gesang, in den Bierkellern desgleichen in allen
Dialekten. Lachen und Händeschütteln, in den Familien frohe Erwartung, Hor¬
chen auf die Thürklingel, die dem Hause seinen Turner verkünden soll, herz¬
lichstes Bewillkommnen, wenn er endlich sich zeigt. Hätte das große Fest weiter
nichts Gutes geboten, als Gelegenheit, den Stammgenossen aus der Ferne die
Hand ehrlich gemeinter Gastlichkeit zu reichen und den Austausch gegenseitigen
Wohlwollens zwischen den einzelnen Gruppen der Festgenosscn zu vermitteln,
es wäre.nicht umsonst gefeiert worden.

Am Sonntag früh währte der Empfang einrückender Turnerschaaren fort.
Mittags fand zuerst Turntag, dann das erste große Festmahl statt. Der Abend sah
die Stadt und ihre Besucher sich in der Halle und den zahlreichen andern Trink¬
anstalten des Festplatzes vergnügen. Bei Tafel hatte man die Ehre, unter andern
Gästen auch den Freiherrn v. Beust zu sehen, und das Vergnügen, einen in länge¬
rer Rede motivirten Trinkspruch von ihm zu hören, das heißt, so weit zu hören,
als man in unmittelbarer Nähe der Tribüne saß. Schon am dritten Tisch von


Grenzboten III. 1862. 27
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[0217] zur Unterbringung der heranrückenden Turnerschaaren ein. Mehre Hundert flinke Bürschchen im grauen Drellhabit der Turnerci, Zöglinge des leipziger Turnvereins, standen bereit, den ankommenden Mitgliedern ihrer Genossenschaft als Führer und Packträger zu dienen. Unbekümmert um die Würde des alten Nathhaussaales. ohne viel Respect vor den ernsten Gesichtern der weiland hoch¬ preislichen Rathsherren und Bürgermeister, die aus ihren Bilderrahmen erstaunt auf solch unerhörtes Treiben herabsahen, ungehindert von noch lebendigen Or¬ ganen des städtischen Regiments, schlugen sie in Ermangelung anderer Beschäf¬ tigung muthwillige Purzelbäume, gingen auf den Händen und standen auf den Köpfen, eine Art scherzhafter Vorkost der ernsten Künste, welche der Leipziger am Montag bewundern sollte. In den Gassen ein unablässiges Schwärmen schon jetzt feiernder Massen, welche die Aufregung des Moments nicht mehr zu Hause ge¬ litten. Vor den Bahnhöfen dichte Haufen, Kopf an Kopf auf das Pfeifen der Locomotive harrend, welche die Züge mit den Gästen herbeiführen sollten. Und sie kamen endlich, erst einzelne, dann in kleinern und größeren Zügen, zuletzt in Strömen. Trommeln oder Janitscharenmusik voran, mit fliegenden Fahnen zogen sie, von frohen Hurrahs empfangen, nach dem Markte, um ihre Quartierbillets zu erhalten, und in wenigen Stunden war die ganze Stadt von ihnen erobert. Immer neue Schaaren folgten, Märker und Pommern, Schlesier, Thüringer und Sachsen, Bayern und Oestreichs, prächtige Gestalten in Menge darunter, gewaltige Schultern und Brustkasten, mächtige Bärte und verwegene Blicke. Bis tief in die Nacht hinein währte der Zuzug fort, und außer den Turnern brachten die Eisenbahnen unzählbare Massen anderer Gäste zum Feste. Leipzig, außer den Messen so nüchtern und ruhig, summte diesen Abend bis über die Geisterstunde hinaus wie ein ungeheurer Bienenstock. Die Straßen voll Jubelgeschrei und Gesang, in den Bierkellern desgleichen in allen Dialekten. Lachen und Händeschütteln, in den Familien frohe Erwartung, Hor¬ chen auf die Thürklingel, die dem Hause seinen Turner verkünden soll, herz¬ lichstes Bewillkommnen, wenn er endlich sich zeigt. Hätte das große Fest weiter nichts Gutes geboten, als Gelegenheit, den Stammgenossen aus der Ferne die Hand ehrlich gemeinter Gastlichkeit zu reichen und den Austausch gegenseitigen Wohlwollens zwischen den einzelnen Gruppen der Festgenosscn zu vermitteln, es wäre.nicht umsonst gefeiert worden. Am Sonntag früh währte der Empfang einrückender Turnerschaaren fort. Mittags fand zuerst Turntag, dann das erste große Festmahl statt. Der Abend sah die Stadt und ihre Besucher sich in der Halle und den zahlreichen andern Trink¬ anstalten des Festplatzes vergnügen. Bei Tafel hatte man die Ehre, unter andern Gästen auch den Freiherrn v. Beust zu sehen, und das Vergnügen, einen in länge¬ rer Rede motivirten Trinkspruch von ihm zu hören, das heißt, so weit zu hören, als man in unmittelbarer Nähe der Tribüne saß. Schon am dritten Tisch von Grenzboten III. 1862. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/217>, abgerufen am 22.12.2024.