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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Der weiße Kopfschmuck der Frau, den sie zum höchsten Staat, anlegt und
welcher die Begriffe biatg, ZlonÄ, Weißkopf, und Koliietg,, Frau, im Voltsmunde
gleichbedeutend machte, trat mir am Sonntage vielfach entgegen. Diese evan¬
gelischen Polen sind gute Wirthe, häusig ihren katholischen Brüdern von den
Propsten zum Muster vorgestellt, sie sind nicht minder sittlich reine, opferwillige
und bildungsfähige Leute und stehen in dieser Beziehung sehr hoch über dem
deutschen Hauländcr. Sie würden wohl die Ersten sein, welche, wenn nach
dem gütigen Vorschlag Jakob-Venedeys der polnische Theil Posens den Polen
zurückgegeben würde, ein Martyrium erführen, denn, ein thatsächlicher Beweis
dafür, daß polnisch und katholisch nicht dasselbe sei, wie dafür, daß dem
rechtschaffenen Polen (ich meine hier dem von Aufruhrsgedanken nicht erfüllten)
die Negierung Wohlwollen und Theilnahme erweise, sind sie dem polnischen
Klerus ein Dorn im Auge.

Die Reise in jenen Gegenden war auch sonst eine interessante. Ueberall
Berührungen mit dem, was drüben vorgeht. Dort erzählte uns ein Viehtreiber,
wie er zum Zeugen eines Gefechtes geworden, da wieder hatte ich das Glück, einige
Meilen lang mit meinen beiden Genossen im Postwagen ein wunderlich Mee-
vlatt zu bilden. Der Eine war ein russischer Offizier, ein ernster, stiller Mann
in höheren Jahren, der Andere ein Pole, die viereckige rothe Cvnfederatkcr auf
dem jungen Haupte, Schnürrock, Stiefelette. --Sie mögen sich die Blicke denken,
die hin und her flogen, dazwischen Ihr muthwilliger Reporter: Prophete rechts,
Prophete links, das Weltkind in der Mitten. Zur Grenze! Wir kamen nahe
an Kottlewo (im Schiltberger Kreise) vorüber. Die Pfarre ist eben neu besetzt,
nachdem Klcmbczynsti, ihr letzter Inhaber, drüben gefallen ist. Er war der
beste Scharfschütz unter seiner Abtheilung, und wenn es nicht polnische Ueber¬
treibung ist, so hat dieselbe Hand, die einst das Sacrament verwaltete, in ein¬
zelnen Treffen zwölf bis vierzehn Russen den Tod gegeben. Ein Bursche lud
für ihn das Gewehr, das er von sicherer Stätte aus immer wieder abfeuerte.
Wir erreichten die Grenze und überschritten sie um einige Fuß, nur um sagen
zu können: ich habe auf russischer Erde gestanden. Es war bei Grabow; weit
lag das Land offen und still und nur ein einzelner Grenzwächter in ab¬
getragener Uniform versah mürrisch sein Amt. Wir legten ihm die homerische
Frage vor: ri? noStv t?? "^nov, natürlich polnisch, damit nicht Einer von
uns bei etwaigen Eventualitäten in Griechenland in Verlegenheit käme; der'
Gefragte lebte über dem Klänge der wenigen Worte auf und erwiederte mit einem
fast provocirende" Ausdruck: total:, Lrtckonial:! Man brauchte ihn nur zu
sehen, diese zwei Worte aus dem Munde eines russischen Beamten zu hören,
um Vieles zu verstehen, was "da drüben" geschieht oder nicht geschieht.

Es ist aber "hüben" auch nicht schön, und die Affaire von Miloslcrw hat
uns wieder gezeigt, wie große Schwierigkeiten es für uns habe, unter strenger


Der weiße Kopfschmuck der Frau, den sie zum höchsten Staat, anlegt und
welcher die Begriffe biatg, ZlonÄ, Weißkopf, und Koliietg,, Frau, im Voltsmunde
gleichbedeutend machte, trat mir am Sonntage vielfach entgegen. Diese evan¬
gelischen Polen sind gute Wirthe, häusig ihren katholischen Brüdern von den
Propsten zum Muster vorgestellt, sie sind nicht minder sittlich reine, opferwillige
und bildungsfähige Leute und stehen in dieser Beziehung sehr hoch über dem
deutschen Hauländcr. Sie würden wohl die Ersten sein, welche, wenn nach
dem gütigen Vorschlag Jakob-Venedeys der polnische Theil Posens den Polen
zurückgegeben würde, ein Martyrium erführen, denn, ein thatsächlicher Beweis
dafür, daß polnisch und katholisch nicht dasselbe sei, wie dafür, daß dem
rechtschaffenen Polen (ich meine hier dem von Aufruhrsgedanken nicht erfüllten)
die Negierung Wohlwollen und Theilnahme erweise, sind sie dem polnischen
Klerus ein Dorn im Auge.

Die Reise in jenen Gegenden war auch sonst eine interessante. Ueberall
Berührungen mit dem, was drüben vorgeht. Dort erzählte uns ein Viehtreiber,
wie er zum Zeugen eines Gefechtes geworden, da wieder hatte ich das Glück, einige
Meilen lang mit meinen beiden Genossen im Postwagen ein wunderlich Mee-
vlatt zu bilden. Der Eine war ein russischer Offizier, ein ernster, stiller Mann
in höheren Jahren, der Andere ein Pole, die viereckige rothe Cvnfederatkcr auf
dem jungen Haupte, Schnürrock, Stiefelette. —Sie mögen sich die Blicke denken,
die hin und her flogen, dazwischen Ihr muthwilliger Reporter: Prophete rechts,
Prophete links, das Weltkind in der Mitten. Zur Grenze! Wir kamen nahe
an Kottlewo (im Schiltberger Kreise) vorüber. Die Pfarre ist eben neu besetzt,
nachdem Klcmbczynsti, ihr letzter Inhaber, drüben gefallen ist. Er war der
beste Scharfschütz unter seiner Abtheilung, und wenn es nicht polnische Ueber¬
treibung ist, so hat dieselbe Hand, die einst das Sacrament verwaltete, in ein¬
zelnen Treffen zwölf bis vierzehn Russen den Tod gegeben. Ein Bursche lud
für ihn das Gewehr, das er von sicherer Stätte aus immer wieder abfeuerte.
Wir erreichten die Grenze und überschritten sie um einige Fuß, nur um sagen
zu können: ich habe auf russischer Erde gestanden. Es war bei Grabow; weit
lag das Land offen und still und nur ein einzelner Grenzwächter in ab¬
getragener Uniform versah mürrisch sein Amt. Wir legten ihm die homerische
Frage vor: ri? noStv t?? «^nov, natürlich polnisch, damit nicht Einer von
uns bei etwaigen Eventualitäten in Griechenland in Verlegenheit käme; der'
Gefragte lebte über dem Klänge der wenigen Worte auf und erwiederte mit einem
fast provocirende» Ausdruck: total:, Lrtckonial:! Man brauchte ihn nur zu
sehen, diese zwei Worte aus dem Munde eines russischen Beamten zu hören,
um Vieles zu verstehen, was „da drüben" geschieht oder nicht geschieht.

Es ist aber „hüben" auch nicht schön, und die Affaire von Miloslcrw hat
uns wieder gezeigt, wie große Schwierigkeiten es für uns habe, unter strenger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/197>, abgerufen am 28.07.2024.