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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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theils aus confessioneller Verblendung, theils aus dummer Eitelkeit auf ver¬
meintliche gelehrte Entdeckungen zu verkleinern und lächerlich zu machen; ein
Bestreben, dessen erniedrigende Absicht ihren Erfolg nur gegen sie selber hat.

Um so freier hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft zu diesen Fragen
gestellt. Wir sagen die deutsche, nicht die östreichische -- ein Unterschied, dessen
Wahrung uns gerade hierbei eine Ehrensache sein muh. Denn in ihr liegt
zugleich ein Anhalt zu der Zuversicht, daß die Erkenntniß des xrmetum saUens
im Verhältnisse Deutschlands zu Böhmen, wie die Geschichte es offenbart, nicht
unfruchtbar bleibe. Aus den Blättern dieser Geschichte -- es sei dahingestellt,
ob Palacky es gern oder ungern bestätigt -- steht in größerer und geringerer
Klarheit der Salz, daß Böhmens wahrhafte politische Bedeutung, wie sie zeit¬
lich mit der deutschen Einwanderung anhebt, so auch steht und fällt mit der
Einwirkung des deutschen Geistes.

Es ist eine der unausbleiblichen Wirkungen der östreichischen Herrschaft,
daß Böhmen den bedauerlichen panslavistischen Wahn nicht leicht los werden
kann, der nur in der Beschränkung Sinn haben würde, daß sich Oestreich mit
Verschiebung seines Centrums zu einem slavischen Staate gestaltete. Aber die
Zeit, wo dies mit Glück hätte geschehen können, ist versäumt. Jetzt stehen die
Originalböhmen in einem sehr bedenklichen Verhältnisse zum Kaiserreich. Nach
den Traditionen, welche sie Pflegen, ist es in der That schwer einzusehen, wie
ihre constitutionelle Haltung im Gesammtstaate wirklich aufrichtig gemeint sein
kann. Zum mindesten aber spielten sie iMnczue dabei: sie sahen den noth¬
wendigen Rückhalt, ohne ihn zu ergreifen. Verharren sie auf dem Verlangen
nach slavischer Gemeinschaft, so läßt sich zwar nicht läugnen, daß es ein ver¬
nünftiger Wunsch aller sprachverwandten Stämme ist, in Einheit zu treten;
aber die Frage, was dabei gewonnen und was dabei verloren wird, muß diese
Velleität bestimmen. Außer der natürlichen gibt es eine Wahlverwandtschaft
unter den Völkern wie unter den einzelnen Menschen, und die Verhältnisse,
welche sie knüpft, gelten hier wie dort gemeinhin für heiliger und unlösbarer,
als die naturgegebenen; denn sie beruhen auf freien sittlichen Bedürfnissen, wie
jene zunächst auf zufälligen Umständen. Die Einsicht dieser Bedürfnisse und
die Pflicht ihrer Erfüllung, die ihre Geschichte ihnen aufdrängt, will der böh¬
mischen Nationalpartei auch heute nicht einleuchten. Ihre Anhänger lieben es,
jede Lockerung ihrer politischen Fesseln mit rohen und kindischen Ausfällen
gegen das deutsche Element zu feiern, das ihr Nachbar im eigenen Hause ge¬
worden ist und ein sehr altes Anrecht hat auf diese Stelle. Das ist es, was
auch in ihrer neuesten Literatur wiederklingt, und daher rührt in letzter Instanz
unser ablehnendes Verhalten zu ihr. Denn die Wahrnehmung derartiger sitt¬
licher Unklarheiten, wie .sie diesem Verhalten der Czechen zu Grunde liegt, zer¬
reißt auf die Dauer selbst die deutsche Geduld. Aber diese jüngste Literatur,


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theils aus confessioneller Verblendung, theils aus dummer Eitelkeit auf ver¬
meintliche gelehrte Entdeckungen zu verkleinern und lächerlich zu machen; ein
Bestreben, dessen erniedrigende Absicht ihren Erfolg nur gegen sie selber hat.

Um so freier hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft zu diesen Fragen
gestellt. Wir sagen die deutsche, nicht die östreichische — ein Unterschied, dessen
Wahrung uns gerade hierbei eine Ehrensache sein muh. Denn in ihr liegt
zugleich ein Anhalt zu der Zuversicht, daß die Erkenntniß des xrmetum saUens
im Verhältnisse Deutschlands zu Böhmen, wie die Geschichte es offenbart, nicht
unfruchtbar bleibe. Aus den Blättern dieser Geschichte — es sei dahingestellt,
ob Palacky es gern oder ungern bestätigt — steht in größerer und geringerer
Klarheit der Salz, daß Böhmens wahrhafte politische Bedeutung, wie sie zeit¬
lich mit der deutschen Einwanderung anhebt, so auch steht und fällt mit der
Einwirkung des deutschen Geistes.

Es ist eine der unausbleiblichen Wirkungen der östreichischen Herrschaft,
daß Böhmen den bedauerlichen panslavistischen Wahn nicht leicht los werden
kann, der nur in der Beschränkung Sinn haben würde, daß sich Oestreich mit
Verschiebung seines Centrums zu einem slavischen Staate gestaltete. Aber die
Zeit, wo dies mit Glück hätte geschehen können, ist versäumt. Jetzt stehen die
Originalböhmen in einem sehr bedenklichen Verhältnisse zum Kaiserreich. Nach
den Traditionen, welche sie Pflegen, ist es in der That schwer einzusehen, wie
ihre constitutionelle Haltung im Gesammtstaate wirklich aufrichtig gemeint sein
kann. Zum mindesten aber spielten sie iMnczue dabei: sie sahen den noth¬
wendigen Rückhalt, ohne ihn zu ergreifen. Verharren sie auf dem Verlangen
nach slavischer Gemeinschaft, so läßt sich zwar nicht läugnen, daß es ein ver¬
nünftiger Wunsch aller sprachverwandten Stämme ist, in Einheit zu treten;
aber die Frage, was dabei gewonnen und was dabei verloren wird, muß diese
Velleität bestimmen. Außer der natürlichen gibt es eine Wahlverwandtschaft
unter den Völkern wie unter den einzelnen Menschen, und die Verhältnisse,
welche sie knüpft, gelten hier wie dort gemeinhin für heiliger und unlösbarer,
als die naturgegebenen; denn sie beruhen auf freien sittlichen Bedürfnissen, wie
jene zunächst auf zufälligen Umständen. Die Einsicht dieser Bedürfnisse und
die Pflicht ihrer Erfüllung, die ihre Geschichte ihnen aufdrängt, will der böh¬
mischen Nationalpartei auch heute nicht einleuchten. Ihre Anhänger lieben es,
jede Lockerung ihrer politischen Fesseln mit rohen und kindischen Ausfällen
gegen das deutsche Element zu feiern, das ihr Nachbar im eigenen Hause ge¬
worden ist und ein sehr altes Anrecht hat auf diese Stelle. Das ist es, was
auch in ihrer neuesten Literatur wiederklingt, und daher rührt in letzter Instanz
unser ablehnendes Verhalten zu ihr. Denn die Wahrnehmung derartiger sitt¬
licher Unklarheiten, wie .sie diesem Verhalten der Czechen zu Grunde liegt, zer¬
reißt auf die Dauer selbst die deutsche Geduld. Aber diese jüngste Literatur,


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[0195] theils aus confessioneller Verblendung, theils aus dummer Eitelkeit auf ver¬ meintliche gelehrte Entdeckungen zu verkleinern und lächerlich zu machen; ein Bestreben, dessen erniedrigende Absicht ihren Erfolg nur gegen sie selber hat. Um so freier hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft zu diesen Fragen gestellt. Wir sagen die deutsche, nicht die östreichische — ein Unterschied, dessen Wahrung uns gerade hierbei eine Ehrensache sein muh. Denn in ihr liegt zugleich ein Anhalt zu der Zuversicht, daß die Erkenntniß des xrmetum saUens im Verhältnisse Deutschlands zu Böhmen, wie die Geschichte es offenbart, nicht unfruchtbar bleibe. Aus den Blättern dieser Geschichte — es sei dahingestellt, ob Palacky es gern oder ungern bestätigt — steht in größerer und geringerer Klarheit der Salz, daß Böhmens wahrhafte politische Bedeutung, wie sie zeit¬ lich mit der deutschen Einwanderung anhebt, so auch steht und fällt mit der Einwirkung des deutschen Geistes. Es ist eine der unausbleiblichen Wirkungen der östreichischen Herrschaft, daß Böhmen den bedauerlichen panslavistischen Wahn nicht leicht los werden kann, der nur in der Beschränkung Sinn haben würde, daß sich Oestreich mit Verschiebung seines Centrums zu einem slavischen Staate gestaltete. Aber die Zeit, wo dies mit Glück hätte geschehen können, ist versäumt. Jetzt stehen die Originalböhmen in einem sehr bedenklichen Verhältnisse zum Kaiserreich. Nach den Traditionen, welche sie Pflegen, ist es in der That schwer einzusehen, wie ihre constitutionelle Haltung im Gesammtstaate wirklich aufrichtig gemeint sein kann. Zum mindesten aber spielten sie iMnczue dabei: sie sahen den noth¬ wendigen Rückhalt, ohne ihn zu ergreifen. Verharren sie auf dem Verlangen nach slavischer Gemeinschaft, so läßt sich zwar nicht läugnen, daß es ein ver¬ nünftiger Wunsch aller sprachverwandten Stämme ist, in Einheit zu treten; aber die Frage, was dabei gewonnen und was dabei verloren wird, muß diese Velleität bestimmen. Außer der natürlichen gibt es eine Wahlverwandtschaft unter den Völkern wie unter den einzelnen Menschen, und die Verhältnisse, welche sie knüpft, gelten hier wie dort gemeinhin für heiliger und unlösbarer, als die naturgegebenen; denn sie beruhen auf freien sittlichen Bedürfnissen, wie jene zunächst auf zufälligen Umständen. Die Einsicht dieser Bedürfnisse und die Pflicht ihrer Erfüllung, die ihre Geschichte ihnen aufdrängt, will der böh¬ mischen Nationalpartei auch heute nicht einleuchten. Ihre Anhänger lieben es, jede Lockerung ihrer politischen Fesseln mit rohen und kindischen Ausfällen gegen das deutsche Element zu feiern, das ihr Nachbar im eigenen Hause ge¬ worden ist und ein sehr altes Anrecht hat auf diese Stelle. Das ist es, was auch in ihrer neuesten Literatur wiederklingt, und daher rührt in letzter Instanz unser ablehnendes Verhalten zu ihr. Denn die Wahrnehmung derartiger sitt¬ licher Unklarheiten, wie .sie diesem Verhalten der Czechen zu Grunde liegt, zer¬ reißt auf die Dauer selbst die deutsche Geduld. Aber diese jüngste Literatur, 24"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/195>, abgerufen am 28.07.2024.