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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Jamaikas, wo sich bereits eine selbständige freiheitliche Organisation der far-
bigen Bevölkerung entwickelt hat, welche mit jedem Jahre vollkommener wird
und einem Gedeihen entgegensieht, welches ihren Konstituenten mit der Zeit
eine achtbare Stellung in der Reihe der Nationen sichert. -- Daß der Süden
sich Angesichts dieser unleugbaren Thatsachen hartnäckig den Anforderungen der
Zeit verschlossen hat, wirft kein günstiges Licht auf die staatsökonomische Weis¬
heit seiner Vertreter, noch auf den Bildungszustand der südlichen Bevölkerung
im Allgemeinen, und statistische Notizen, sowie persönliche Erfahrungen, welche
ich in dieser Richtung gemacht habe, bestätigen diese Vermuthung nur zu
deutlich.

Politische Aufklärung ist in der Republik, wo jeder an der Verwaltung
Theil nimmt, die erste Bedingung ihres Gedeihens; die Presse ist das mächtige
Verbrcitungsmittel derselben, und man kann daher vice versa Wohl annehmen,
daß da, wo am meisten gelesen wird, die politische Aufklärung, sowie die all¬
gemeine Bildung auf der höchsten Stufe steht. Unter dieser Prämisse ist dem
Süden das Urtheil gesprochen, und wir können nicht umhin, dem schon er-
wähnten Helperschen Buche "Revolution or adolition" einige Notizen zu ent¬
nehmen, welche in der That eine schlagende Beweiskraft besitzen. "Das Volk
des Südens ist kein lesendes Volk. Viele Erwachsene haben nie im Leben lesen
gelernt und legen auch keinen Werth darauf. Wie ungeheuer ist der Unter¬
schied, welcher in dieser Beziehung zwischen den mittleren und arbeitenden
Classen in den freien und denselben Classen in den Sklavenstaaten herrscht.
Wie verschieden ist nicht die Beschäftigung der Reisenden auf den Eisenbahnen,
in den Omnibus, auf den Dampfschiffen et. im Norden und Süden! Im
Norden sieht man den größten Theil der Reisenden sich mit dem Inhalte einer
Zeitung oder einem neuerschienenen Buche beschäftigen. Der Kaufmann, der
Mechaniker, der Künstler, der Handwerker und selbst der gewöhnliche Arbeiter
ist, wenn er an seine täglichen Geschäfte geht oder von denselben heimkehrt,
entweder mit seiner Abend- oder Morgenzeitung beschäftigt, oder befindet sich
in einsichtsvoller Unterhaltung und Besprechung irgend eines Gegenstandes von
öffentlichem Interesse. Das ist seine Erholungsstunde, und er widmet sie der
Ausbildung seines Geistes im Geschmack an der Literatur und an den schönen
Wissenschaften. Im Süden kennt man kaum Zeitungen und Bücher; dagegen
bilden laute Discussionen über Localpolitik, Tabaks- und Vaumwollenernte,
Flibustierexpeditionen gegen Cuba, Nicaragua und Sonora, der Preis der Neger
im Allgemeinen und der "schönen Frauenzimmer" im Besonderen, die Vorzüge
des Lynchgesetzes, die Genüsse des Wettrennens, die Aufregung der Straßen¬
kampfe mit Bowiemessern und Revolvern und ähnliche interessante Themata das
A und das O der Unterhaltung."

Die Zahl der weißen Erwachsenen über zwanzig Jahre, die weder lesen


Grenzboten IV. 1362. 34

Jamaikas, wo sich bereits eine selbständige freiheitliche Organisation der far-
bigen Bevölkerung entwickelt hat, welche mit jedem Jahre vollkommener wird
und einem Gedeihen entgegensieht, welches ihren Konstituenten mit der Zeit
eine achtbare Stellung in der Reihe der Nationen sichert. — Daß der Süden
sich Angesichts dieser unleugbaren Thatsachen hartnäckig den Anforderungen der
Zeit verschlossen hat, wirft kein günstiges Licht auf die staatsökonomische Weis¬
heit seiner Vertreter, noch auf den Bildungszustand der südlichen Bevölkerung
im Allgemeinen, und statistische Notizen, sowie persönliche Erfahrungen, welche
ich in dieser Richtung gemacht habe, bestätigen diese Vermuthung nur zu
deutlich.

Politische Aufklärung ist in der Republik, wo jeder an der Verwaltung
Theil nimmt, die erste Bedingung ihres Gedeihens; die Presse ist das mächtige
Verbrcitungsmittel derselben, und man kann daher vice versa Wohl annehmen,
daß da, wo am meisten gelesen wird, die politische Aufklärung, sowie die all¬
gemeine Bildung auf der höchsten Stufe steht. Unter dieser Prämisse ist dem
Süden das Urtheil gesprochen, und wir können nicht umhin, dem schon er-
wähnten Helperschen Buche „Revolution or adolition" einige Notizen zu ent¬
nehmen, welche in der That eine schlagende Beweiskraft besitzen. „Das Volk
des Südens ist kein lesendes Volk. Viele Erwachsene haben nie im Leben lesen
gelernt und legen auch keinen Werth darauf. Wie ungeheuer ist der Unter¬
schied, welcher in dieser Beziehung zwischen den mittleren und arbeitenden
Classen in den freien und denselben Classen in den Sklavenstaaten herrscht.
Wie verschieden ist nicht die Beschäftigung der Reisenden auf den Eisenbahnen,
in den Omnibus, auf den Dampfschiffen et. im Norden und Süden! Im
Norden sieht man den größten Theil der Reisenden sich mit dem Inhalte einer
Zeitung oder einem neuerschienenen Buche beschäftigen. Der Kaufmann, der
Mechaniker, der Künstler, der Handwerker und selbst der gewöhnliche Arbeiter
ist, wenn er an seine täglichen Geschäfte geht oder von denselben heimkehrt,
entweder mit seiner Abend- oder Morgenzeitung beschäftigt, oder befindet sich
in einsichtsvoller Unterhaltung und Besprechung irgend eines Gegenstandes von
öffentlichem Interesse. Das ist seine Erholungsstunde, und er widmet sie der
Ausbildung seines Geistes im Geschmack an der Literatur und an den schönen
Wissenschaften. Im Süden kennt man kaum Zeitungen und Bücher; dagegen
bilden laute Discussionen über Localpolitik, Tabaks- und Vaumwollenernte,
Flibustierexpeditionen gegen Cuba, Nicaragua und Sonora, der Preis der Neger
im Allgemeinen und der „schönen Frauenzimmer" im Besonderen, die Vorzüge
des Lynchgesetzes, die Genüsse des Wettrennens, die Aufregung der Straßen¬
kampfe mit Bowiemessern und Revolvern und ähnliche interessante Themata das
A und das O der Unterhaltung."

Die Zahl der weißen Erwachsenen über zwanzig Jahre, die weder lesen


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[0273] Jamaikas, wo sich bereits eine selbständige freiheitliche Organisation der far- bigen Bevölkerung entwickelt hat, welche mit jedem Jahre vollkommener wird und einem Gedeihen entgegensieht, welches ihren Konstituenten mit der Zeit eine achtbare Stellung in der Reihe der Nationen sichert. — Daß der Süden sich Angesichts dieser unleugbaren Thatsachen hartnäckig den Anforderungen der Zeit verschlossen hat, wirft kein günstiges Licht auf die staatsökonomische Weis¬ heit seiner Vertreter, noch auf den Bildungszustand der südlichen Bevölkerung im Allgemeinen, und statistische Notizen, sowie persönliche Erfahrungen, welche ich in dieser Richtung gemacht habe, bestätigen diese Vermuthung nur zu deutlich. Politische Aufklärung ist in der Republik, wo jeder an der Verwaltung Theil nimmt, die erste Bedingung ihres Gedeihens; die Presse ist das mächtige Verbrcitungsmittel derselben, und man kann daher vice versa Wohl annehmen, daß da, wo am meisten gelesen wird, die politische Aufklärung, sowie die all¬ gemeine Bildung auf der höchsten Stufe steht. Unter dieser Prämisse ist dem Süden das Urtheil gesprochen, und wir können nicht umhin, dem schon er- wähnten Helperschen Buche „Revolution or adolition" einige Notizen zu ent¬ nehmen, welche in der That eine schlagende Beweiskraft besitzen. „Das Volk des Südens ist kein lesendes Volk. Viele Erwachsene haben nie im Leben lesen gelernt und legen auch keinen Werth darauf. Wie ungeheuer ist der Unter¬ schied, welcher in dieser Beziehung zwischen den mittleren und arbeitenden Classen in den freien und denselben Classen in den Sklavenstaaten herrscht. Wie verschieden ist nicht die Beschäftigung der Reisenden auf den Eisenbahnen, in den Omnibus, auf den Dampfschiffen et. im Norden und Süden! Im Norden sieht man den größten Theil der Reisenden sich mit dem Inhalte einer Zeitung oder einem neuerschienenen Buche beschäftigen. Der Kaufmann, der Mechaniker, der Künstler, der Handwerker und selbst der gewöhnliche Arbeiter ist, wenn er an seine täglichen Geschäfte geht oder von denselben heimkehrt, entweder mit seiner Abend- oder Morgenzeitung beschäftigt, oder befindet sich in einsichtsvoller Unterhaltung und Besprechung irgend eines Gegenstandes von öffentlichem Interesse. Das ist seine Erholungsstunde, und er widmet sie der Ausbildung seines Geistes im Geschmack an der Literatur und an den schönen Wissenschaften. Im Süden kennt man kaum Zeitungen und Bücher; dagegen bilden laute Discussionen über Localpolitik, Tabaks- und Vaumwollenernte, Flibustierexpeditionen gegen Cuba, Nicaragua und Sonora, der Preis der Neger im Allgemeinen und der „schönen Frauenzimmer" im Besonderen, die Vorzüge des Lynchgesetzes, die Genüsse des Wettrennens, die Aufregung der Straßen¬ kampfe mit Bowiemessern und Revolvern und ähnliche interessante Themata das A und das O der Unterhaltung." Die Zahl der weißen Erwachsenen über zwanzig Jahre, die weder lesen Grenzboten IV. 1362. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/273>, abgerufen am 21.10.2024.