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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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selbst willen huldigen würden; wie viel weniger'kann man dies von einem
Wesen verlangen, welches kaum zum Bewußtsein der Individualität gelangt
ist, geschweige denn eine Ahnung von seiner Stellung in der menschlichen Ge¬
sellschaft haben kann? Wir kennen die Arbeit als Basis alles gesellschaftlichen
Lebens, wir wissen, daß sie Grundbedingung unsrer Existenz ist. Der Sklave
arbeitet, weil er Hiebe bekommt, wenn er es nicht thut; höchstens schwingt er
sein Fassungsvermögen zu dem Schlüsse auf, daß seine Arbeit ein Capital
repräsentirt und daß "Massa" dieses Capital sich aneignet. Auf welche
Weise soll man ihn nun von dem Werth, von der Nothwendigkeit der
Arbeit überzeugen, wenn die Zwangsmaßregeln wegfallen, unter deren Druck
er bisher seine Kräfte verwerthete? -- Da kommt nun der Pietismus und
sagt: durch das Christenthum, durch die Bibel. Um deren Segnungen
theilhaftig zu werden, müssen die Unglücklichen lesen lernen; wenn dann
der Geist Gottes über sie kommt, werden sie auch schon arbeiten; einst¬
weilen muß man ihnen aber Zeit zur geistigen Entwicklung und Erhebung
lassen. Wie diese Erhebung betrieben wird, ist durch das 'oben angeführte
Beispiel traurig genug illustrirt. Wenn man alle Neger, welche auf diese Weise
des heiligen Geistes harren, einstweilen mit leiblicher Nahrung versehen
wollte, so würde dieser Umstand das Budget der Vereinigten Staaten bedenk¬
lich erhöhen und weder jenen nützen, noch der eigentlichen Freiheitsidee ent¬
sprechen, welche das moralische Princip der Emancipationsfrage bildet.

Die Erfahrung muß dem Sklaven beigebracht werden, wie den Kindern,
die sich selbst erst verbrennen müssen, um vom Ofen fort zu bleiben. Wenn ich
heute zu einem Sklaven sage (ich spreche natürlich immer von der Durchschnitts-
capacität): "Du bist frei, aber du mußt arbeiten, um dich zu ernähren," so wird
er mich kaum verstehen; wenn ich ihm aber eine Zeit lang nichts zu essen
gebe, ihn dann ein Stück Arbeit verrichten lasse und ihm Geld in die Hand
gebe, wofür er sich Brod kauft, so wird er, wenn er wieder hungrig ist, wie¬
der zu mir kommen und so zu der Idee gelangen, daß man sich durch die
Arbeit die Mittel zur Existenz erwerben kann; wenn er zu diesem allgemeinen
Begriff gelangt ist, wird er auch bei Andern Arbeit suchen, d. h. selbständig
werden und sich auf die eigne Kraft verlassen lernen. Mit einem Worte das
Bewußtsein der freiheitlichen Existenz ist ihm wiedergegeben und er fühlt sich als
nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft, welcher er bis dahin nur als
rohe Kraft dienstbar gewesen war. -- Dies System läßt sich nun unter den
gewöhnlichen Bedingungen der Gesellschaft nicht zur Ausführung bringen, weil
es eine zu folgenschwere Revolution unter bestehenden Verhältnissen her¬
vorrufen und den weißen Arbeiter beeinträchtigen würde; der einzige richtige
Weg, den befreiten Sklaven in Masse dieser naturgemäßen Erziehung zur freien
Arbeit theilhaftig werden zu lassen, ist die Kolonisation nach dem Muster


selbst willen huldigen würden; wie viel weniger'kann man dies von einem
Wesen verlangen, welches kaum zum Bewußtsein der Individualität gelangt
ist, geschweige denn eine Ahnung von seiner Stellung in der menschlichen Ge¬
sellschaft haben kann? Wir kennen die Arbeit als Basis alles gesellschaftlichen
Lebens, wir wissen, daß sie Grundbedingung unsrer Existenz ist. Der Sklave
arbeitet, weil er Hiebe bekommt, wenn er es nicht thut; höchstens schwingt er
sein Fassungsvermögen zu dem Schlüsse auf, daß seine Arbeit ein Capital
repräsentirt und daß „Massa" dieses Capital sich aneignet. Auf welche
Weise soll man ihn nun von dem Werth, von der Nothwendigkeit der
Arbeit überzeugen, wenn die Zwangsmaßregeln wegfallen, unter deren Druck
er bisher seine Kräfte verwerthete? — Da kommt nun der Pietismus und
sagt: durch das Christenthum, durch die Bibel. Um deren Segnungen
theilhaftig zu werden, müssen die Unglücklichen lesen lernen; wenn dann
der Geist Gottes über sie kommt, werden sie auch schon arbeiten; einst¬
weilen muß man ihnen aber Zeit zur geistigen Entwicklung und Erhebung
lassen. Wie diese Erhebung betrieben wird, ist durch das 'oben angeführte
Beispiel traurig genug illustrirt. Wenn man alle Neger, welche auf diese Weise
des heiligen Geistes harren, einstweilen mit leiblicher Nahrung versehen
wollte, so würde dieser Umstand das Budget der Vereinigten Staaten bedenk¬
lich erhöhen und weder jenen nützen, noch der eigentlichen Freiheitsidee ent¬
sprechen, welche das moralische Princip der Emancipationsfrage bildet.

Die Erfahrung muß dem Sklaven beigebracht werden, wie den Kindern,
die sich selbst erst verbrennen müssen, um vom Ofen fort zu bleiben. Wenn ich
heute zu einem Sklaven sage (ich spreche natürlich immer von der Durchschnitts-
capacität): „Du bist frei, aber du mußt arbeiten, um dich zu ernähren," so wird
er mich kaum verstehen; wenn ich ihm aber eine Zeit lang nichts zu essen
gebe, ihn dann ein Stück Arbeit verrichten lasse und ihm Geld in die Hand
gebe, wofür er sich Brod kauft, so wird er, wenn er wieder hungrig ist, wie¬
der zu mir kommen und so zu der Idee gelangen, daß man sich durch die
Arbeit die Mittel zur Existenz erwerben kann; wenn er zu diesem allgemeinen
Begriff gelangt ist, wird er auch bei Andern Arbeit suchen, d. h. selbständig
werden und sich auf die eigne Kraft verlassen lernen. Mit einem Worte das
Bewußtsein der freiheitlichen Existenz ist ihm wiedergegeben und er fühlt sich als
nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft, welcher er bis dahin nur als
rohe Kraft dienstbar gewesen war. — Dies System läßt sich nun unter den
gewöhnlichen Bedingungen der Gesellschaft nicht zur Ausführung bringen, weil
es eine zu folgenschwere Revolution unter bestehenden Verhältnissen her¬
vorrufen und den weißen Arbeiter beeinträchtigen würde; der einzige richtige
Weg, den befreiten Sklaven in Masse dieser naturgemäßen Erziehung zur freien
Arbeit theilhaftig werden zu lassen, ist die Kolonisation nach dem Muster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/272>, abgerufen am 21.10.2024.