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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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aber ich erwarte sie mit Geduld, und Ergebung, Was mir am meisten fehlt,
sind Freunde. Mit gewöhnlichen Studenten mag ich keinen Umgang haben;
meine alten Freunde sind alle weg: ich wünsche also oft Dich zu mir, um so
ein Gespräch zu führen, wie wir es im Jahr 88 oft hatten. Mit den wenig¬
sten Menschen komme ich im vertrauten Umgänge zu rechte. In Dir hatte
mir die Natur einen Freund gegeben, wie ich ihn bedarf. Warum müsten so
verschiedene Lebensarten, und solche Entfernungen uns trennen?

Erseze. was dem mündlichen Umgange fehlt, durch Briefe. Schreib mir
oft, und so viel Du willst und kannst. Ich werde Deine Briefe gern lesen,
und beantworten. -- Da Du aber nicht postmäßig schreiben kannst, und da
ich wünsche, daß Du mir große Briefe schriebest, so gieb sie den Fuhrleuten.
-Ich wohne auf der Fleischer Gabe, in Weinholds Hause, 1. Treppe
hoch, vorn heraus.

Ich muß mich jezt mit Bücherschreiben ernähren; wenn ich leben will.
Das ist mir denn nun keine angenehme Arbeit. Will ich was gutes, nüz-
liches, schönes schreiben, wie ich wohl möchte, und könnte, so erfordert es viel
Zeit, und -- der Buchhändler will nichts nüzlicbes. Schreibe ich, wie der
Buchhändler es gern hat. leichte Waare, Mode Zeug, so macht mir das weder
Ehre, noch Vergnügen.

Zur Zeit ist noch nichts erschienen, aber auf die Michaelis-Maße wird
einiges von mir die Prcße verlassen.

Sehen möchte ich Dich, und die übrigen aus dem Hause, die mich lieben,
wohl gern einmal. Aber -- ich hänge in Ansehung des Reifens von meinem
Beutel ab, und der verträgt jetzt keine Reise. Auf Michaelis vielleicht
komme ich -- nicht nach Nammenau; dahin in meinem Leben schwerlich wieder
sondern in eure Nähe, wo mich sehen können, die mich sehen wollen.


Leb recht wohl. Ich bin DeinDich herzlich liebender Bruder
Gottlieb.

"Weise" ist ohne Zweifel der Kreissteuerrath Weiße, sein treuer Beschützer,
der ihm auch die Stelle in der Schweiz verschafft hatte. Der Freiherr von
Miltitz war der Edelmann, der so väterlich für Fichte's Ausbildung sorgte.
Derselbe nahm den Knaben Fichte zuerst wie nach seinem Schlosse Sieben-
eichen bei Meißen an der Elbe, welches in der Biographie (I. 9) auch ganz
richtig beschrieben ist, obwohl daselbst "Oberau" genannt ist, was aber östlich
abseits der Elbe liegt. Herr Pastor Carl Gottfried Beer in Niederau schreibt
mir darüber: "Auf Park und Schloß zu Oberau paßt die Beschreibung gar
nicht. -- Oberau und Niederau gehörten früher mit zu dem manchmal so ge¬
nannten Miltitzer Ländchen, und die letzten Besitzer dieses Namens haben auch
in Oberau gewohnt." Sodann wurde Fichte dem Prediger in Niederau an-


aber ich erwarte sie mit Geduld, und Ergebung, Was mir am meisten fehlt,
sind Freunde. Mit gewöhnlichen Studenten mag ich keinen Umgang haben;
meine alten Freunde sind alle weg: ich wünsche also oft Dich zu mir, um so
ein Gespräch zu führen, wie wir es im Jahr 88 oft hatten. Mit den wenig¬
sten Menschen komme ich im vertrauten Umgänge zu rechte. In Dir hatte
mir die Natur einen Freund gegeben, wie ich ihn bedarf. Warum müsten so
verschiedene Lebensarten, und solche Entfernungen uns trennen?

Erseze. was dem mündlichen Umgange fehlt, durch Briefe. Schreib mir
oft, und so viel Du willst und kannst. Ich werde Deine Briefe gern lesen,
und beantworten. — Da Du aber nicht postmäßig schreiben kannst, und da
ich wünsche, daß Du mir große Briefe schriebest, so gieb sie den Fuhrleuten.
-Ich wohne auf der Fleischer Gabe, in Weinholds Hause, 1. Treppe
hoch, vorn heraus.

Ich muß mich jezt mit Bücherschreiben ernähren; wenn ich leben will.
Das ist mir denn nun keine angenehme Arbeit. Will ich was gutes, nüz-
liches, schönes schreiben, wie ich wohl möchte, und könnte, so erfordert es viel
Zeit, und — der Buchhändler will nichts nüzlicbes. Schreibe ich, wie der
Buchhändler es gern hat. leichte Waare, Mode Zeug, so macht mir das weder
Ehre, noch Vergnügen.

Zur Zeit ist noch nichts erschienen, aber auf die Michaelis-Maße wird
einiges von mir die Prcße verlassen.

Sehen möchte ich Dich, und die übrigen aus dem Hause, die mich lieben,
wohl gern einmal. Aber — ich hänge in Ansehung des Reifens von meinem
Beutel ab, und der verträgt jetzt keine Reise. Auf Michaelis vielleicht
komme ich — nicht nach Nammenau; dahin in meinem Leben schwerlich wieder
sondern in eure Nähe, wo mich sehen können, die mich sehen wollen.


Leb recht wohl. Ich bin DeinDich herzlich liebender Bruder
Gottlieb.

„Weise" ist ohne Zweifel der Kreissteuerrath Weiße, sein treuer Beschützer,
der ihm auch die Stelle in der Schweiz verschafft hatte. Der Freiherr von
Miltitz war der Edelmann, der so väterlich für Fichte's Ausbildung sorgte.
Derselbe nahm den Knaben Fichte zuerst wie nach seinem Schlosse Sieben-
eichen bei Meißen an der Elbe, welches in der Biographie (I. 9) auch ganz
richtig beschrieben ist, obwohl daselbst „Oberau" genannt ist, was aber östlich
abseits der Elbe liegt. Herr Pastor Carl Gottfried Beer in Niederau schreibt
mir darüber: „Auf Park und Schloß zu Oberau paßt die Beschreibung gar
nicht. — Oberau und Niederau gehörten früher mit zu dem manchmal so ge¬
nannten Miltitzer Ländchen, und die letzten Besitzer dieses Namens haben auch
in Oberau gewohnt." Sodann wurde Fichte dem Prediger in Niederau an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/95>, abgerufen am 01.07.2024.